CDU kritisiert Schröders EU-Politik

Nationale Trampeltiere

Die europäische Einigung sei eine Frage von "Krieg oder Frieden", hatte Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl einst behauptet. Die Aussage wurde von seinem Nachfolger Gerhard Schröder als Pathos eines alten Mannes zurückgewiesen. Schröders Credo lautet: Nationale Interessen würden durch die Währungsunion nicht verschwinden, sondern neu herausgefordert - und diese wolle er ungeniert formulieren.

Kohl sieht sich heute voll bestätigt. "Nationalismus heißt Krieg, Europa heißt Frieden", erklärte er vergangene Woche in einer Rede. Daß der Krieg gegen Jugoslawien nicht - wie schon zweimal in diesem Jahrhundert - auf den ganzen Kontinent übergreife, sei ein Ergebnis der europäischen Integration. Denn die Grenzen in Europa seien nicht Ergebnis vernünftiger Entwicklungen, ihre Veränderungen bedeuteten Krieg. Ergo müßten innerhalb der EU Grenzen überwunden und die Union erweitert werden.

Das sehen Wolfgang Schäuble, Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, und Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der Partei, ebenso. Gemeinsam präsentierten sie vor kurzem ein Grundsatzpapier mit dem Titel "Überlegungen zur europäischen Politik". Darin greifen sie die rot-grüne Bundesregierung heftig an - und zwar nicht wegen zuwenig, sondern zuviel nationaler Stimmungsmache.

So wird Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, wie ein ignorantes Trampeltier über die bis dahin ausgezeichneten deutsch-französischen Beziehungen hinweggestapft zu sein. Seine Forderung beispielsweise auf dem Berliner Gipfel nach einer nationalen Ko-Finanzierung der Agrarausgaben habe die Freundschaft mit dem Nachbarland unnötig aufs Spiel gesetzt.

Diese Freundschaft bilde jedoch die Grundlage für die europäische Einigung. Bereits 1994 hatte Schäuble in einem Papier die These von "Kerneuropa" formuliert: Im "Europa der zwei Geschwindigkeiten" bildeten Deutschland und Frankreich den harten "Kern", an dem sich die restlichen Mitgliedsländer zu orientieren hätten. Die erfolgreiche Etablierung des Euro habe dieses Konzept bestätigt, auch wenn die wenig geliebten Mittelmeerländer hereingenommen werden mußten.

Jetzt müsse die Union schnell in Richtung Osten erweitert werden - und auch in dieser Aufgabe habe Schröder voll versagt. Seine populistische Forderung nach einem Aufschub bei der teuren EU-Ost-Erweiterung habe nicht nur den Integrationsprozeß gefährdet, sondern auch alte Ängste im Osten wiederbelebt.

Die Erweiterung sei jedoch notwendig für die Stabilität auf dem ganzen Kontinent, inklusive des Balkan. "Die Verwobenheit der nationalen Interessen in Europa ist die Folge der supranationalen Wirklichkeit im europäischen Ausschnitt der Globalisierung", schreiben die beiden Autoren in ihrem Papier, und der "Motor dieser Entwicklung ist die Wirtschaft".

Nun müsse der Ausbau der Wirtschaftsgemeinschaft in eine politische Union erfolgen, die auch über entsprechende militärische Kapazitäten verfüge. Und dafür möchten die CDU-Strategen auch die bisherigen Entscheidungsstrukturen in der EU verändern.

Denn mit der Währungsunion sei ein "neuartiges föderales System in Europa entstanden", das eine gemeinsame Verfassung brauche. Ziel einer solchen Verfassungsdebatte soll eine neue Entscheidungsstruktur sein: Statt des bisherigen Prinzips der Einstimmigkeit sollen Entscheidungen künftig nach dem Mehrheitsprinzip erfolgen.

Wenn in der Union die Mehrheit entscheidet, ist zumindest eines sicher: daß Deutschland seine Interessen künftig noch besser vertreten wird. Denn die neuen Ost-Beitrittsländer werden es sich kaum erlauben können, gegen den großen Bruder in Berlin zu stimmen. Und auf die Nachbarn im Westen müßte man dann weniger Rücksicht nehmen.

Die Christdemokraten verfolgen in ihrem Grundsatzpapier daher durchaus ein rationales Konzept im nationalen Interesse. Der Ausbau der EU von einer wirtschaftlichen zu einer politischen und damit auch militärischen Gemeinschaft dient auch deutschen Hegemonievorstellungen.

Die deutsche EU-Politik wurde bisher vor allem durch eine "vorsichtige Diplomatie" geprägt. Und sie war damit "ungewöhnlich erfolgreich", wie Schäuble und Lamers in ihrem Papier betonen. Kein Wunder also, daß sie empört auf den lautstarken Nationalismus von Schröder reagieren. Denn ausgerechnet mit seinem konzeptlosen Populismus könnte er die langfristigen Europapläne der CDU nachhaltig stören.