Container dicht

Wegen des Krieges in Jugoslawien ist die Abschiebung von Flüchtlingen nach Bosnien zur Zeit nicht möglich. Die Ausländerbehörden schert das wenig

Der Krieg in Jugoslawien läßt auch ihnen keine Ruhe. Von den einst 350 000 in die Bundesrepublik geflohenen Bosnierinnen und Bosniern leben immer noch an die 80 000 in Deutschland. Doch seitdem sich der Blick der Öffentlichkeit auf die Flüchtlinge aus der an Bosnien angrenzenden serbischen Provinz Kosovo richtet, drohen sie in Vergessenheit zu geraten. Gut für die Ausländerbehörden und Innenministerien der Länder: Ungestört von Protesten, drohen sie wieder mit Abschiebungen - trotz der Weigerung der bosnischen Regierung, zusätzlich zu den Vertriebenen aus dem Kosovo weitere Rückkehrer aufzunehmen.

"Viele Bosniaken verurteilen den Krieg und fürchten, er könne auf andere Länder übergreifen. Andere gönnen den Serben die Erfahrung Luftschutzbunker, wenn ihnen auch die Kinder leid tun", berichtet Uschi Jeske vom Berliner Flüchtlingsrat. Doch unabhängig von diesen Emotionen bestärkt der Krieg die Flüchtlinge in ihrer Überzeugung, daß sie nicht wieder in ihre alte Heimat zurückkehren können. Jeske: "Bosnien-Herzegowina ist jetzt selbst Zielland von Flüchtlingen aus Jugoslawien geworden. Für die Rückkehrer ist kein Platz mehr."

Was nicht verwundert - angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage. Schon vor Kriegsbeginn betrug die Arbeitslosigkeit in Bosnien 70 Prozent, viele Familien waren ohne Obdach. Da seit Beginn der Krise in Jugoslawien viele der mehrheitlich muslimischen Kosovo-Albaner die bosnisch-muslimische Teilrepublik als Fluchtort gewählt haben, um der Vertreibung oder der Einberufung in die jugoslawische Armee zu entkommen, wird die Wohnungssituation immer desolater. Und auch in der serbischen Teilrepublik Bosniens, der Republika Srpska, spitzt sich die Situation zu: Hier hingegen sind es Jugoslawen, die Schutz vor den Nato-Bombardements suchen.

Auch wenn sich das Datum lediglich nach vorne verschiebt - für die Dauer des Krieges brauchen die Bosnierinnen und Bosnier in Deutschland keine Abschiebungen zu fürchten. Zumindest offiziell: Der Luftraum über Bosnien-Herzegowina gilt als unsicher. Zudem lehnt die bosnische Regierung seit Anfang Mai die Aufnahme von Rückkehrern nicht nur an den Flughäfen ab - sondern auch, wenn sie auf dem Landweg kommen.

Die Ausländerbehörden in Deutschland schert das wenig. Trotz ausländerrechtlicher Duldung gelten die Flüchtlinge weiterhin als ausreisepflichtig. Und die Ausländerämter halten den Druck weiter aufrecht. Dabei hatte die Bundesregierung vor Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien in der Diskussion um die Rückkehr der Bosnien-Flüchtlinge neue Töne angeschlagen. Eine Zeitbegrenzung für die Rückkehr werde es nicht geben, hatte Hans Koschnick (SPD), Bosnien-Beauftragter der Bundesregierung, im Februar versprochen. Auch müsse man sich damit abfinden, daß Insassen von Lagern und vom Krieg traumatisierte Menschen länger in der Bundesrepublik bleiben dürften als bislang geplant.

Nachdem der letzte Innenminister Manfred Kanther (CDU) auf individuelle Härten bei der Rückkehr ebensowenig Rücksicht genommen hatte wie auf die instabile Situation in den Rückkehrgebieten selbst, deutete sich unter Rot-Grün ein Kurswechsel an. Die von Kanther als letztes Druckmittel geschätzte - und hundertfach durchgesetzte - Abschiebeoption wollte Koschnick, der im Innenministerium Otto Schily (SPD) untersteht, künftig vermeiden.

Verhandelt haben Vertreter des Innenministeriums deshalb schon im Februar mit Sadako Ogata, der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen - freilich unter veränderten Bedingungen: Abgerückt ist das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) inzwischen von seiner alten Position, keine Minderheitenrückkehrer in anderen Gebieten anzusiedeln als in ihren Herkunftsregionen. Damit, so Ogata, sollte aber nicht die Politik der ethnischen Teilung zementiert werden. Vielmehr sei sie unter dem Druck der Verhältnisse von ihrer bisherigen Position abgerückt: Die Menschen würden von den Zufluchtsländern gedrängt, endlich zurückzukehren. Das habe dazu geführt, daß die Rückkehrer - aus Angst vor Repressionen durch die jeweils andere Bevölkerungsgruppe - in Gebieten gelandet seien, aus denen sie nicht stammten.

Dort müßten sie, fordert nun auch Koschnick, untergebracht werden. Schon Anfang des Jahres hatte der SPD-Politiker angekündigt, mit deutschen Hilfsgeldern Bürgermeister zu unterstützen, die Rückkehrer aus anderen Regionen aufnehmen.

Den Flüchtlingen hier dürfte das wenig nützen. Denn weniger als der Bund entscheiden über aufenthalts- und sozialrechtliche Fragen die Länder und Landkreise. Und die beharren auf ihrer Abschiebedrohung: Auch vier Wochen nach Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien forderten einige Behörden Bosnier weiterhin zur "freiwilligen Rückkehr" auf. Sogenannte Rück-Rückkehrer, Menschen also, die nach Bosnien zurückgekommen waren, dort den Neuanfang nicht schafften und erneut nach Deutschland flohen, erhalten oft keine Sozialhilfe. Von den Ausländerbehörden erhalten sie lediglich eine Duldung - verbunden mit der Unterstellung, allein wegen der Aussicht auf Sozialhilfe nach Deutschland gekommen zu sein. Der Trick hinter der Duldung: Leistungen nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz stehen ihnen nun nicht mehr zu. Wer nicht freiwillig geht, wird am Ende doch abgeschoben.

Uschi Jeske vom Flüchtlingsrat vermutet, daß sich viele Rück-Rückkehrer - aus Angst vor der Abschiebung - gar nicht erst bei den Behörden melden, sondern direkt bei Verwandten in Deutschland unterkommen. Weil auch deren Sozialhilfe meist nicht für die Gäste reicht, suchten sie oft in den Containern von Supermärkten nach Lebensmitteln, deren Verfallsdatum überschritten ist. Jeske: "Manche Supermarktketten reagieren auf die neue Situation, indem sie die Container einfach verschließen."

Genügend Gründe für eine erneute Flucht: Viele Bosnier nutzen den derzeitigen Abschiebeschutz, um ihre Weiterwanderungsanträge in andere Staaten voranzubringen. Als Wunschziel stehen dabei an erster Stelle die USA, die für Kriegstraumatisierte und Menschen aus gemischt-ethnischen Ehen Sonderprogramme anbieten. Aber auch Kanada und Australien stehen als Weiterwanderungsländer hoch im Kurs; wenn auch in geringerem Maße, weil die Formalitäten hier deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen - und die meisten Flüchtlinge so schnell wie möglich weg wollen.

Weit weg. Uschi Jeske: "Die Menschen erhalten von den Rückkehrern Post, daß es in Bosnien-Herzegowina für sie keinerlei Perspektiven gibt, weder Arbeit noch Wohnraum." Vor allem Roma, Rückkehrern aus sogenannten Mischehen und Menschen, die in ihrer Herkunftsregion heute einer Minderheit angehören, verweigern die bosnischen Behörden die Registrierung. Und ohne dieses Dokument gibt es weder Arbeit noch Unterkunft, noch medizinische Versorgung; oft dürfen die Kinder nicht einmal die Schule besuchen.

Am schlimmsten jedoch, so Jeske, seien die Repressalien für Muslime und Roma, die in die bosnisch-serbische Teilrepublik Srpska zurückkehrten. Oft dürften sie ihre eigenen Grundstücke nicht betreten. Ein muslimischer Mann aus der Srpska etwa hatte Jeske geschrieben, daß er mit anderen Rückkehrern in einer Notunterkunft ohne Wasser und Strom hausen müsse, während sein altes Haus inzwischen von einer serbischen Familie bewohnt sei. Grund auch für das UNHCR, bald vier Jahre nach Ende des letzten Balkankrieges und ein Jahr nach Beginn des jüngsten, vor einer Rückkehr von Bosniern in die Srpska zu warnen.