Langer Prozeß mit Apo

Vor dem Prozeßauftakt gegen PKK-Chef Öcalan wird die türkische Öffentlichkeit auf das Todesurteil vorbereitet

Bei der türkischen Staatssicherheit läuft man sich warm fürs große Finale: Ge-gen zwei ehemalige Abgeordnete der verbotenen islamistischen Wohlfahrtspartei erhob der Staatsanwalt letzte Woche Klage wegen Landesverrats. Plädiert wird auf Todesstrafe. Für 24 Funktionäre der islamistischen Jugendorganisation Stiftung der nationalen Jugend forderte das Gericht Haftstrafen zwischen sechs Monaten und 22 Jahren.

Wegweisend für die am kommenden Montag beginnende Hauptverhandlung gegen PKK-Führer Abdullah Öcalan sind allerdings die Todesurteile für die Brüder Arif und Semdin Sakik vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir. Der Vorsitzende Richter Fahrettin Gültekin warf den beiden in seinem Urteil vom vergangenen Freitag vor, aus separatistischen Beweggründen die Unteilbarkeit des türkischen Bodens antasten zu wollen. Das gilt als Landesverrat und wird mit dem Tode bestraft. Einen Strafnachlaß für den Paragraphen 125 des Strafgesetzbuches gibt es nicht.

Die Brüder Sakik, ehemals Führungskader der PKK, wurden nach offiziellen Angaben am 14. April 1998 im Nordirak gefaßt. Semdin Sakik, früher die rechte Hand Öcalans, war mit einem Todesurteil "Apos" auch in der PKK für vogelfrei erklärt worden. Die Guerilla hatte ihm seine Waffen abgenommen, er selbst wurde mit Schimpf und Schande aus dem damaligen Hauptquartier in Syrien verjagt. Sakik soll sich daraufhin über die nordirakische Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) um Massud Barsani mit dem türkischen Geheimdienst auf einen Deal geeinigt haben: die Gewährung der Kronzeugenregelung für Aussagen über die PKK und ihre Verbindungsleute in den noch nicht verbotenen prokurdischen Organisationen.

Von Sakik stammt etwa die Behauptung, der Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD), Akin Birdal, erhalte Weisungen von der PKK. Kurze Zeit, nachdem er diese Aussage gemacht hatte, entging Birdal bei einem Attentat in den Räumen des IHD nur knapp dem Tode. Dennoch gehört Birdal zu den Menschenrechtsaktivsten, die gegen das Urteil protestierten und vor den Europäischen Menschenrechtshof ziehen wollen.

Am Freitag wiederholte Sakik vor Gericht noch einmal, daß er die PKK verurteile und sich von seiner früheren Rolle distanziere. Er galt als verantwortlich für den Mord an 32 unbewaffneten Rekruten, die 1993 im Südosten von der Guerilla erschossen worden waren. Daran scheiterten damals Gespräche zwischen PKK und türkischer Regierung, die bereits an einem Amnestiegesetz arbeitete. Eine historische Chance ging verloren.

Während der Vernehmungen bestritt Sakik diese Tat. Sie sei ohne sein Wissen von dem PKK-Chef angeordnet worden. Öcalan behauptet das gleiche und belastet Sakik. Den Sakiks bleibt jetzt noch die Revision. Falls das Urteil auch dort bestätigt wird, muß in der Nationalversammlung darüber abgestimmt werden, ob es vollstreckt wird.

Eine ähnliche Vorgehensweise wird nun auch für den Öcalan-Prozeß erwartet. Anders als Semdin Sakik, der sich noch in seiner Verteidigungsrede am Freitag ausdrücklich von der PKK distanzierte, planen die Anwälte Öcalans eine politisch begründete Verteidigung. Die Terroraktionen der PKK sollen demnach den Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates gegenübergestellt werden, um den Konflikt im Kontext eines Kriegszustands zu beschreiben.

So hatte es Öcalan bereits bei seiner Odyssee durch Europa vor der Festnahme in Nairobi geplant: Er wollte sich vor ein internationales Kriegsgericht stellen lassen und damit auch die Kurdenfrage auf eine internationale politische Plattform bringen. Genau das liegt natürlich überhaupt nicht im Interesse des türkischen Generalstabs und der sich neu formierenden nationalistischen Regierung, die sich wohl aus der Demokratischen Linkspartei, der ultranationalistischen Nationalistischen Bewegungspartei (MHP) und der konservativen Mutterlandspartei (Anap) konstituieren wird.

Der Vorsitzende der MHP, Devlet Bahceli, ließ bereits am Samstag wissen, daß sich die Regierung nicht auf Einmischungen aus dem Ausland einlassen werde. Im Inland wird die Öffentlichkeit derweil auf die große Hinrichtung vorbereitet: das Massenblatt Hürriyet etwa betitelte das Foto eines geschockten Semdin Sakiks nach der Urteilsverkündigung mit den Worten: "Nun fühlt er auch einmal den nahenden Tod". Doch entgegen den gängigen Erwartungen, Öcalan werde innerhalb von zwei Wochen abgeurteilt, informierte die Presseabteilung des Amtes des Ministerpräsidenten, daß allein der Auftakt des Prozesses zwei Wochen dauern werde. In dieser Zeit wird vor allem die Anklage ihre Punkte vorbringen. Erst nach einer etwa zehntägigen Pause soll mit der zweiten Runde fortgefahren werden. Erst dann soll sich abzeichnen, ob der Prozeß doch mehrere Monate dauern wird. Offenbar will die Regierung also Zeit gewinnen.

Seit die Anwaltsdelegation Öcalans am 30. April von eigentlich für ihre Sicherheit zuständigen Polizeibeamten mit Gewalt in einen Minibus gezwungen wurde, um die Verteidiger dann auf offener Straße im Ankaraer Viertel Yenisehir zu verprügeln, protestieren die Advokaten ständig gegen Unregelmäßigkeiten. Die Anklageschrift etwa erschien in den türkischen Medien, bevor die Anwälte sie überhaupt in Händen hielten. Vorverurteilungen durch Begriffe wie "Kopf der Separatisten" benutzt sogar der Oberstaatsanwalt Volkan Vural. In den staatlich gelenkten türkischen Medien wird Öcalan bevorzugt als "Babykiller" betitelt, ein Begriff, der durch den Spiegel auch schon Eingang in die deutsche Mediensprache gefunden hat.

Öcalan ist nicht nur der Isolationshaft ausgesetzt. Selbst seine Familie darf den Gefangenen zur Zeit nicht auf der Insel Imrali besuchen. Und obwohl vom Strafgesetz verboten, müssen sich die Anwälte mit ihrem Mandanten unter Anwesenheit von maskierten Mitgliedern der Spezialeinheiten besprechen.

Über den Prozeßablauf und die Zugänglichkeit von Informationen herrscht zur Zeit noch beabsichtigte Unklarheit. Zwanzig Journalisten, zwölf türkische und acht Vertreter nicht-türkischer Medien, sollen täglich auf die Insel dürfen. Die Mehrheit der Medienvertreter wird also kaum die Chance haben, den Prozeß zu besuchen. Noch herrscht Unklarheit darüber, ob Beobachter vom Pressezentrum im nahegelegenen Küstenort Mudanya die Verhandlung über Bildschirm mitverfolgen können.

Öcalan wird den Sitzungen in einem speziell angefertigten Kasten aus Panzerglas beiwohnen, aus dem er nur über Kopfhörer und Mikrofon kommunizieren kann. Vor Prozeßbeginn ist bislang nur eines klar: Der Ausgang wird am wenigsten von den Richtern abhängen.