Attentat in Italien

Marsmenschen

Elf Jahre nach dem letzten tödlichen Anschlag der Roten Brigaden (BR) starb am vergangenen Donnerstag in Rom der Berater des Arbeitsministeriums Massimo D'Antona, vermutlich durch sechs Schüsse der zerschlagen geglaubten Organisation. Der Jurist war maßgeblich an der Ausarbeitung eines neuen italienischen Arbeits- und Streikrechts beteiligt.

Noch am selben Tag kam in Form eines 28seitigen Dokuments, das mit mit einem fünfzackigen Stern gekennzeichnet war, die Bestätigung: "Am 20. Mai 1999 haben die Roten Brigaden für den Aufbau der kämpfenden kommunistischen Partei Massimo D'Antona getroffen." Damit "nehmen die Roten Brigaden ihren Kampf für die Errichtung der Diktatur des Proletariats wieder auf", so die selbsternannten "revolutionären Avantgarden". Doch während sich die BR der siebziger Jahre als bewaffnete Organisation im Rahmen einer offensiven Bewegung sahen, begründen ihre vermeintlichen Nachfahren den Griff zu den Waffen als "Notwendigkeit, um die neokorporativistische Konsolidierung zu blockieren".

Es wird wieder der "Angriff auf das Herz des Staates" propagiert, der den BR schon einmal das Rückgrat gebrochen und ihr zunächst noch verankertes politisches Projekt in einen isolierten militaristischen Kampf gegen den Staat verwandelt hatte. Diesmal gelte es, "seine konjunkturelle politische Zentralität" und die "imperialistische Bourgeoisie" zu attackieren.

Das Papier kennt weder die Gesellschaft samt ihrer unterschiedlichen Dynamiken noch einen Adressaten: Ein Bezug zu Arbeiterkämpfen oder gesellschaftlichen Konflikten ist nicht zu finden. Im Gegenteil wird der bewaffnete Kampf propagiert, der eine Perspektive für eine "offensive Bewegung" eröffnen soll.

Und schon blasen Regierung und Opposition, Presse und offizielle Gewerkschaften zum Angriff gegen jene Linke, die sich der sozialdemokratischen Rechten entgegenstellt: Die Basisgewerkschaften, die Sozialen Zentren, die Antikriegs- und Arbeitslosenbewegung und die im letzten Jahr aus der Regierung ausgetretene Rifondazione Comunista samt ihrem Generalsekretär Fausto Bertinotti.

Denn der verurteilte zwar den Anschlag, betonte aber, dem Schreiben der BR sei "vom Standpunkt der Analyse aus teilweise zuzustimmen". Bertinottis ehemaliger Parteikollege, der regierungstreue Armando Cossuta, weiß es besser: "Man kann nicht denken oder sagen, man teile die Analysen der BR. Teilt man ihre Analysen, teilt man schließlich auch ihre abnormen Schlüsse."

Die Gleichung: sozialer Widerstand ist Terrorismus wird aufgemacht und die "Einheitsfront gegen den Terrorismus" droht jeden Dissens zu überdecken. Die offiziellen Gewerkschaften, gestern noch damit beschäftigt, den Druck der Basis nach Anti-Kriegs-Streiks zu mildern, rufen nun ihrerseits zu einem befristeten Streik auf - gegen das Attentat. Und: Der Streik wird weitgehend befolgt. Fast alle Parteien sprechen sich dafür aus, Pläne zu einem Straferlaß für die Gefangenen und Exilierten der früheren bewaffneten Bewegung auf Eis zu legen.

Die Hexenjagd-Stimmung der siebziger Jahre ist wieder da, obwohl nichts so ist, wie es damals war: Weder die Rahmenbedingungen noch die Bewegung, weder die globale Situation noch das politische Projekt. Ein autonomer Aktivist aus Rom sagt treffend: "Vor 20 Jahren haben Arbeiter BR-Flugblätter an andere Arbeiter verteilt. Heute sind es, mal angenommen, es sind wirklich die BR, keine Kämpfer, es sind Marsmenschen. Von wegen Nähe zu den sozialen Zentren - Nähe zu etwas, das es gar nicht gibt?"