Rebellion, die sich lohnt

Kriege und andere Kreisläufe in Afrika werden weitgehend vom Tribalismus bestimmt

Ob in Guinea-Bissau, im Senegal, in Sierra Leone, dem Sudan, zwischen Äthiopien und Eritrea, in Somalia, in der Demokratischen Republik Kongo oder in Kongo-Brazzaville und schließlich auch seit über 30 Jahren in Angola: Afrika trägt seine politischen Konflikte auf dem Schlachtfeld aus.

Warum ist das so? Seit der Unabhängigkeit gab es in Afrika fünf zwischenstaatliche Kriege. Die anderen sind Bürgerkriege, interne Konflikte, zum Teil jedoch, wie im Kongo, unter Beteiligung mehrerer Nationen. Die Grenzen in Europa entstanden durch jahrhundertelange Kriege, die in Afrika durch kolonialistische Willkür. Sprachlich und kulturell recht homogene Gruppen fanden sich in verschiedenen Nationen wieder, während andere, die vieles trennte, in eine zusammengebastelt wurden.

Ein Merkmal, das sich durch alle Bürgerkriege zieht, sei es durch die Rekrutierung einer bestimmten Gruppe in die kämpfenden Einheiten, sei es durch Massaker an einer anderen Gruppe, ist deren Tribalisierung, das heißt die Politisierung von Ethnizität. "Stämme" gibt es in vielen Regionen Afrikas erst seit der Kolonialzeit. Eine maßgebliche Rolle spielten dabei die Rasse-Ideologien, die während der Ära des Imperialismus dominant waren. Sie wurden außerdem im Interesse effektiver Verwaltungseinheiten und zur besseren Kontrolle der Bevölkerungen geschaffen.

Ein gutes Beispiel dafür ist das britische Verwaltungssystem des "Indirect Rule", in dem Paramount Chiefs ernannt wurden, wo es vorher keine gemeinsame Führung gab. In den Bürgerkriegen kämpfen aber nicht unbedingt "Stämme" gegeneinander. Die Einheiten werden willkürlich gebildet und können in kleinere Untergruppen zerfallen oder sich zu Allianzen zusammenschließen. Gemeinsame Erfahrungen und eine gemeinsame Geschichte von Herrschaft und Marginalisierung sind die Grundlage dafür.

Die ökonomische Seite des Tribalismus ist der Paternalismus. Die afrikanischen Staaten mit ihren Verwaltungen sind zumeist Hüllen, die den eigentlichen Verteilungsmechanismen übergestülpt sind. Als deutlichstes Beispiel dafür kann wohl Kenia gelten. Die Kanu-Regierung ist eine Koalition von Politikern, die jeweils ihre Region und damit ihre ethnische Gruppe vertreten. Sie nutzen ihre Machtposition für allerlei Geschäfte - Importe ohne Zoll, Firmenaufträge durch den Staat oder Kredite von staatlichen Banken.

Die Profite werden zum Teil an die Regionen weitergegeben: indirekt über den Bau von Krankenhäusern oder Schulen, oder direkt über den Kauf von Wahlstimmen. Größere Projekte wie Straßen und Dämme werden ohnehin aus Entwicklungshilfemitteln bezahlt. "Gute Politiker" sind also jene, die etwas für ihre Regionen und ihre Leute tun. Jeder afrikanische Politiker kennt die Bittsteller, die zu ihm kommen und von der kranken Tochter berichten, oder dem Sohn, der auf die Schule gehen soll.

Dieser Verteilungsmechanismus ist kaum zu demokratisieren. Durchbrechen läßt er sich nur, indem die Eliten aus den Machtpositionen vertrieben werden, mit etwas Glück durch Wahlen, oder, da die meisten afrikanischen Politiker gelernt haben, wie man Wahlen gewinnt, mit gewaltsamen Mitteln. Mitglied einer erweiterten Familie, eines Klans oder Stammes zu sein, ist für viele Afrikaner eine soziale Realität. Diese Einheiten wirken quasi als Solidargemeinschaften, auf die man sich im Notfall verlassen kann.

Dieses Bewußtsein hat sich als langlebig erwiesen. Selbst Afrikaner, die in moderne Sektoren der Wirtschaft integriert sind, die bei internationalen Firmen oder Organisationen in der Hauptstadt arbeiten, bleiben im Grunde "Dörfler". Wenn sie den Verwandten, die zu Besuch kommen, nicht Kost und Logis anbieten, sollten sie sich in ihrem Herkunftsort besser nicht mehr sehen lassen. Obwohl soziale Realität, muß dieses Bewußtsein nicht per se zur Gewalt zwischen den verschiedenen Solidargruppen führen. Hinzu kommt, daß in Afrika größere Gruppen von Menschen nicht oder nur schlecht durch politische Ziele mobilisiert werden können, da Entwicklungserfolge, wenn überhaupt, nur kurzfristig sind.

So sank zum Beispiel in Kenia das durchschnittliche (jährliche) Pro-Kopf-Einkommen im Zeitraum zwischen 1980 und 1990 von 411 auf 300 US-Dollar. In der Mehrzahl der afrikanischen Länder ging die wirtschaftliche Entwicklung seit der Unabhängigkeit stetig - teilweise nach einer kurzen Wachstumsphase in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre - bergab. Überall übersteigen die Schuldenleistungen inzwischen die Exporteinnahmen. Ansätze der Industrialisierung sind in fast keinem Land mehr zu sehen.

Auch sind die jeweiligen Gesellschaften, oft mit einer großen Mehrzahl von Subsistenzbauern, wenig ausdifferenziert. Interessengruppen wie Gewerkschaften, Bauern- oder Studentenverbände haben kaum Bedeutung oder Einfluß, da deren Führung im Normalfall schon lange auf Regierungslinie ge-bracht wurde.

Wenn man an der Macht ist oder an die Macht will, liegt es also nahe, die einfache Lösung zu wählen und auf tribale Loyalität zu setzen: Politischer und ökonomischer Wandel äußert sich nur im Wechsel der Personen - der Teufelskreis bleibt bestehen. Einerseits könnte nur der Fordismus, die Einbeziehung breiter Teile der Bevölkerung in die modernen Sektoren, den Tribalismus auflösen. Andererseits sind die tribalen Strukturen mit ihrer anti-aufklärerischen Tendenz und ihrem irrationalen wirtschaftlichen Handeln das größte Hindernis für die Entwicklung zum Fordismus.

Die patriarchale Struktur der jeweiligen Gesellschaften ist mit diesen Voraussetzungen verwoben. In den afrikanischen Ländern mit ihren schwachen Infrastrukturen kann man mit ein paar hundert Gewehren und der Unterstützung seiner tribalen Gruppe eine Menge Ärger machen, vielleicht sogar einen Aufstand entfachen, der sich ausbreitet.

In Kenia zum Beispiel kommen nach Schätzungen jedes Jahr rund 600 000 Menschen neu auf den Arbeitsmarkt. Im gleichen Zeitraum enstehen aber nur 100 000 Stellen. Wie in vielen afrikanischen Ländern gibt es eine Reservearmee schlecht ausgebildeter, junger Männer, denen man nur eine geringe Bezahlung - einen Bruchteil der Kriegsbeute - versprechen muß, um sie für sich ge-winnen zu können.

Waffen sind trotz allerlei Embargos problemlos zu kaufen und über die durchlässigen afrikanischen Grenzen leicht zu transportieren. Die Guerilla-Bewegungen nutzen auch den Rohstoffreichtum ihrer Regionen, um den Krieg zu finanzieren. Ohne die Diamanten in den von ihnen kontrollierten Gebieten gäbe es schon lange keine Rebellenbewegung mehr in Angola oder Sierra Leone.

Auch stellen viele afrikanische Regierungen den Guerilla-Bewegungen ihr Territorium zur Verfügung, zum Angriff, zur Verteidigung oder für beides. Sie destabilisieren den jeweiligen Nachbarstaat, um dort eine ihnen gewogene Regierung zu installieren. Oft erreichen sie nur das Gegenteil, da der Nachbarstaat wiederum eine Rebellenbewegung bildet oder stützt, die destabilisierend in das Ausgangsland zurückwirkt. Längerfristige Sanktionen muß niemand befürchten.

Den Regierungen, die mit einem Guerilla-Krieg konfrontiert sind, bleibt oft nichts anderes übrig, als mit den Rebellen zu verhandeln, egal wie gerechtfertigt ihre Ziele sind. Für die jeweiligen Rebellen - ganz gleich ob sie installiert wurden oder nicht - rentiert sich der Krieg somit fast immer.