Schröders Steuermann

Finanzminister Hans Eichel will nicht nur weniger Steuern einnehmen, sondern vor allem noch viel weniger Geld ausgeben

Noch bevor es richtig warm wird, soll alles schon wieder vorbei sein. Hans Eichel hat sich viel vorgenommen für den Frühsommer. Nicht nur den Etat-Entwurf für das Jahr 2000 will der neue SPD-Finanzminister bald fertig haben. Bis zum 30. Juni soll auch der Finanzplan für die Jahre 2000 bis 2003 stehen. Und die vom Bundesverfassungsgericht aufgetragenen Aufgaben gilt es ebenfalls zu erledigen: Ein neues Familienentlastungsgesetz muß her.

Wichtiger noch aber ist das neue Unternehmenssteuergesetz, von dem sich die Wirtschaft deutliche Abgabensenkungen erwartet. Auch dieses soll vor der Sommerpause fertig sein - so will es der Koalitionsplan. Um ein Vorzeigeprojekt von Rot-Grün nicht zu vergessen: Fleißig basteln die Beamten im Finanzministerium an der zweiten und der dritten Stufe der Ökosteuerreform. Deadline auch hier: der 30. Juni.

Eichels großer Wurf zum Amtsantritt? Wohl kaum. Der dröge Hesse versucht mit seinem selbstgetauften "Gesamtpaket", was bislang keinem seiner Vorgänger gelang: Schröders Kassenwart will nicht nur weniger Steuern einnehmen, sondern vor allem noch viel weniger Geld ausgeben - und alles nur, damit der Staat endlich weniger Schulden macht.

Dreißig Milliarden will Eichel schon im nächsten Jahr einsparen, woraufhin die Börsenzeitung zum Superlativ griff: Für die geplanten rabiaten Einschnitte in das Bundesbudget kürte das Blatt Eichel kurzerhand zum "Sparminister des Jahrzehnts". Die Dreißig-Milliarden-Methode ist einfach: Genau 7,4 Prozent weniger soll jedes Ministerium im kommenden Jahr ausgeben.

Gut für ihn, daß Eichel als Ex-Oberbürgermeister der Bürokratenstadt Kassel den nötigen Eifer aufbringt: Daß er im Gegensatz zu seinem Vorgänger noch nachts um zwei Uhr am Schreibtisch zu finden sei, attestierten ihm die Bonner Finanzbeamten bereits - daß er hält, was er verspricht, steht zumindest zu befürchten.

Einer, der ihn dazu treiben könnte, die Drohungen wahr zu machen, ist Oswald Metzger. Hatte sich der grüne Sparschweine-Hüter schon zu Oppositionszeiten als knallharter Haushaltssanierer zu profilieren versucht, so ist er jetzt - einen Winter lang wegen Lafontaine verstecken, war ja auch genug - wieder voll da. Zwar mag der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Eichels pauschale Kürzungen nicht mittragen, weil ja beispielsweise die Forschung wichtig für den Standort ist, aber an anderen Stellen könne, so Metzger, nicht genug gespart werden: Um zehn Prozent sollen nach seinen Vorstellungen die Subventionen gekürzt werden.

Auf den grünen Protest hin ließ SPD-Fraktionschef Peter Struck einen weiteren Versuchsballon los. Mit Blick auf die nächsten Wahlen schlug Struck eine Verschiebung der kommenden Stufen der Ökosteuer vor. Flugs kursierten für die Zapfsäulen-Steuer 20-, 30- oder 40-Pfennig-Forderungen, bis Autokanzler Schröder ein Machtwort sprach.

Buchhalter Eichel hat es nicht leicht: Er muß die Vorhaben der Bundesregierung finanzpolitisch untermauern. Die Schröder-Fischer-Regierung hat dabei drei Reformen im Sinn. An die erste, die ökologische, glaubt sie selbst allerdings immer weniger. Der auf breite Zustimmung gestoßene Einfall, mit einer Energiesteuer die Arbeitskosten zu verbilligen, scheitert langfristig an seiner eigenen Logik: Mit der Einschränkung ihres Verbrauchs sollen die Lohnabhängigen ihre Einkommen selber subventionieren.

Die Ökosteuer macht aber finanzpolitisch nur Sinn, wenn sie auch kalkulierbare Einnahmen bringt, also weiter ordentlich Benzin und Strom verbraucht wird. Beispiel Verkehr: Nur auf sehr lange Sicht gebe es einen Zusammenhang zwischen Benzinpreis, Fahrzeuggröße und Verbrauch, erklärte Andreas Togge, Präsident des Bundesumweltamtes.

Wollte man den Benzinverbrauch, so Togge, wirklich einschränken - um damit das vordergründige Ziel der Ökosteuer, weniger Schadstoffe auszustoßen, zu erreichen - wäre an einem Tempolimit nicht vorbeizukommen. An diesem Punkt aber hört der Spaß für Schröder auf: Wer schon mehr zahlen muß fürs Autofahren, soll wenigstens aufs Gaspedal drücken dürfen - bis in den nächsten Stau.

Das zweite große Vorhaben ist in seinen langfristigen Auswirkungen ebenso schwer kalkulierbar. Zwar versucht die Bundesregierung, das sogenannte Bündnis für Arbeit nicht mehr auf eine allgemeine Lohnsenkung - wie unter Kohl - einzuschwören, doch statt dessen will sie eine Lohnspreizung durchsetzen.

Dieser Sinneswandel zieht beträchtliche Konsequenzen nach sich. In der Rentenpolitk beispielsweise bedeuten niedrige Löhne auch niedrigere Einnahmen der Rentenversicherung - bei weiter steigenden Ausgaben. Eine Erhöhung der Beitragssätze kann sich die Bundesregierung jedoch politisch nicht leisten.

Und auch die Idee, die Einführung eines breiten Niedriglohnbereiches staatlich zu subventionieren, könnte Eichel in arge Verlegenheit bringen. Zwar wollen die Protagonisten dieser Idee, Wolfgang Streeck und Rolf Heinze, das nötige Kleingeld bei den Empfängern von Arbeitslosen- und Sozialhilfe selbst hereinholen - ob es allerdings realistisch ist, beispielsweise so viele Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu streichen, daß sämtliche Mitnahmeeffekte der Lohnsubventionierung finanziert werden können, darf getrost bezweifelt werden.

Natürlich mache, so Streeck und Heinze, ein solcher ausgeweiteter Niedriglohnsektor ein "anderes Arbeitsregime" und "ein Überdenken von Gerechtigkeitsvorstellungen" nötig. Und sei er noch so gering bezahlt: "Jeder Arbeitsplatz ist besser als gar keiner."

Das stimmt die Republik auf die dritte Reform ein, die über jeden Zweifel erhaben zu sein scheint: die der Unternehmenssteuern. Diese sollen in ihrer Breite drastisch gesenkt werden - nur zum Teil ist vorgesehen, dies durch die Abschaffung von bestimmten Steuerprivilegien gegenzufinanzieren. Der Rest dürfte über die Erhöhung indirekter Steuern - zum Beispiel Öko- und Mehrwertsteuer - hereingeholt werden.

Die Formel im Kanzleramt ist einfach: Mobilisierung der Reserven für den Niedriglohnbereich bedeutet mehr Löhne und Abgaben und steuerliche Privilegierung der Vermögenden mehr Investitionen. Selbst wenn dies stimmen sollte - der Verwirklichung dieser Vorstellungen stehen das Familienentlastungsurteil aus Karlsruhe und die flaue Konjunktur entgegen.

Überhaupt unterliegen Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Staatsminister Bodo Hombach einem grandiosen Irrtum. Der Staat soll sparen und die Steuern marktfreundlicher gestalten. Der Staat kann jedoch bestenfalls auf seine Ausgaben achten, eine Kontrolle über seine Einnahmen hat er nicht; die jährlichen Steuerschätzungen kommen jedesmal einem staatlichen Offenbarungseid gleich.

Staatliche Ausgaben lassen - so widersinnig es jedem Budgetverstand erscheinen mag - mehr gesellschaftpolitischen Einfluß zu als Steuergesetze. Die Frage allerdings ist, ob dieser politische Einfluß von Rot-Grün nach dem Abgang von Oskar Lafontaine überhaupt gewollt ist oder ob nicht das zunehmend freiere Spiel der Marktkräfte alles regeln soll?

Derweil geben sich Schröder und Eichel sparsam, weil Sparsamkeit in Deutschland immer gut ankommt. Zumindest so lange, wie man selber nicht davon betroffen ist. Haushaltspolitik ist, so wissen wir seit Joseph Schumpeter, ein Schlüssel zur Gesellschaftsdiagnose. Während Ronald Reagan und Margaret Thatcher ihre innenpolitischen Anfangsschwächen durch Kriegsaktionen auf Grenada und den Falkland-Inseln auffangen konnten, darf sich die neue Bundesregierung solchen Hoffnungen nicht hingeben. Wirtschafts- und sozialpolitisch hat Rot-Grün keine Gnade zu erwarten, denn beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf.

Helmut Kohl versprach eine Vereinigung ohne Steuererhöhungen. Schröder und sein Umweltminister Jürgen Trittin sind mit einem Ausstieg aus der Atomindustrie angetreten, der als kostenlos in Aussicht gestellt wurde. Nun will die Regierung auch das Bündnis für Arbeit gratis haben. Die konzertierte Aktion Karl Schillers besaß noch finanzielle Spielräume; diese will der neue Korporatismus offenbar durch Tricks ersetzen.