Task Force für Europa

Auf dem Kölner EU-Gipfel steht auch der Aufbau einer gemeinsamen Armee auf dem Programm

Wirtschaftlich ist sie ein Riese, militärisch aber immer noch ein Zwerg: Spätestens seit dem Krieg in Jugoslawien ist offensichtlich, daß die Europäische Union bei militärischen Interventionen nach wie vor völlig auf die USA angewiesen ist. Doch das soll bald anders werden. Auf ihrem Kölner Gipfel am 3. Juni will die EU eine Initiative zur Weiterentwicklung der "Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität" (ESVI) starten. Was sich anhört wie eine psychoanalytische Gruppentherapie zur Selbstfindung für frustrierte europäische Staatsmänner, ist in Wirklichkeit ein Aufrüstungsprogramm.

Der Ausbau der europäischen Militärkapazitäten stand bereits auf der Tagesordnung des Washingtoner Nato-Gipfels im April. Und mit dem gleichen Thema beschäftigten sich auch Mitte Mai in Bremen die Außen- und Verteidigungsminister der Westeuropäischen Union (WEU). Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer "europäischen Armee": Dazu soll bis zum Jahr 2000 die WEU in die EU integriert werden.

Die Integration der WEU, 1948 in Brüssel gegründet, in die EU könnte das Ende der eigenständigen Militärorganisation bedeuten. Derzeit sind zehn Staaten Vollmitglied, weitere achtzehn Nationen sind assoziiert oder haben Beobachterstatus. Denn bereits mit dem Vertrag von Maastricht 1992 hatte die EU eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik beschlossen. Im selben Jahr vereinbarten die Mitgliedsstaaten, künftig auch gemeinsame Militärinterventionen vorzubereiten. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, hat die WEU seitdem darauf hingearbeitet, sich als westeuropäische Militärallianz zu etablieren: So beschlossen die WEU-Staaten vor zwei Jahren den Aufbau eines eigenen Militärstabes als Grundlage für eine eigenständige militärische Entscheidungsstruktur. Ein Grund, warum die WEU seit ihrer Gründung gegenüber der Nato ein Schattendasein führt, liegt darin, daß sie über keine militärische Kommandostruktur verfügt.

Auf der Berliner Konferenz im Juni 1996 kamen die Nato-Außenminister den WEU-Bestrebungen entgegen und verabschiedeten das Konzept der "Combined Joint Task Force" (CJTF): Die westeuropäischen Staaten sollten auch ohne Beteiligung der USA Militärinterventionen durchführen können, indem sie auf ihre nationalen Truppenkontingente zurückgreifen dürfen, selbst wenn diese formal der Nato unterstellt sind.

Dafür wurden bei den Nato-Stäben CJTF-Planungszellen eingerichtet. Da die USA bei strategischen Aufklärungs- und Kommunikationseinrichtungen ein militärtechnisches Monopol haben, das sie den Europäern dann zur Verfügung stellen müßten, sicherte sich Washington seine politischen Einflußmöglichkeiten durch die Hintertür; die Nato erhält so Einfluß auf die Militärpolitik von europäischen Nicht-Nato-Staaten.

Die WEU-Truppe soll aus maximal 2 500 verschiedenen Truppeneinheiten bestehen. Bisher ist es noch zu keinem CJTF-Einsatz gekommen, aber unter der Tarnbezeichnung "Krisenmanagement" finden schon entsprechende "Crisex"-Übungen statt. Auf dem Washingtoner Gipfel im April wurde die bisherige "Arbeitsteilung" zwischen den beiden Militärbündnissen Nato und WEU prinzipiell bestätigt.

Bis zur vollständigen Integration des westeuropäischen Verteidigungsbündnisses in die EU gilt es allerdings noch einige Hindernisse zu überwinden: Alle WEU-Staaten müßten bis dahin Mitglied der EU werden - was unter anderem am Widerstand von Österreich scheitern könnte. Das hat sich in seiner Verfassung und in dem Staatsvertrag mit Rußland zu "immerwährender Neutralität" verpflichtet. Die Politiker in Wien würden diesen Machtzuwachs zwar begrüßen, doch gibt sich die Bevölkerung eher störrisch.

Und auch die Türkei könnte noch für Probleme sorgen. Die Regierung in Ankara betrachtet es als Affront, daß osteuropäische Staaten bei der geplanten EU-Erweiterung berücksichtigt werden, obwohl die Türkei sich schon seit Jahren vergeblich um die Aufnahme in die Union bemüht. Da die Türkei Nato-Mitglied ist, nutzen nationalistische Politiker in Ankara ihr Mitbestimmungsrecht, um indirekt auf die Politik der WEU und EU einzuwirken.

Noch ist unklar, wieviel Einfluß die Europäer zukünftig auf die europäische Sicherheitspolitik ausüben dürfen. Vielleicht aber bestätigt die EU durch ihr neues "Emanzipationsbestreben" wieder nur die alten transatlantischen Machtverhältnisse. Dies scheint auch im Interesse der rot-grünen Bundesregierung zu sein, die noch die EU-Präsidentschaft innehat.

In einem Grünen-Papier für den EU-Gipfel heißt es, "die Bemühungen zur Stärkung der europäischen Verteidigung (...) tragen zur Vitalität und Wirksamkeit der Atlantik-Allianz bei, indem sie deren europäische Säule stärken". Außerdem wird die "Fähigkeit aller EU-Mitgliedsstaaten, voll an europäischen Operationen unter Einsatz von Nato-Ressourcen teilzunehmen", eingefordert. Dadurch würde Europa zu einem bloßen Anhang der Nato, kritisieren die Grünen. Allerdings die aus Österreich, nicht die aus Deutschland.