Wirtschaftsminister Müller bei der Atomindustrie

Trojanisches Pferd

Die Kommentare in den Tageszeitungen sind wohlwollend. Endlich scheint in die festgefahrene Diskussion um den Atomkonsens wieder Schwung zu kommen. Endlich nimmt einer "das Primat der Politik" ernst und überläßt nicht den Konzernen das Handeln: Wirtschaftsminister Werner Müller hat letzte Woche auf der Jahrestagung Kerntechnik in Karlsruhe erstaunliche Äußerungen zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung in Sachen Atom getan.

Irritation macht sich breit. Viele halten Müller für das Trojanische Pferd der Atomstromer in der Regierung. Und jetzt stellt er sich vor die mehr als tausendköpfige Atomgemeinde und provoziert so lange, bis er Buh-Rufe erntet.

Er erteilt dem Bau des neuen Siemens-Reaktors EPR in der Bundesrepublik eine Absage. Er rechnet der Branche vor, daß sie selbst in den letzten Jahren stillschweigend 40 000 Arbeitsplätze wegrationalisiert habe. Er greift die Unternehmen scharf an, weil sie seiner Ansicht nach die Diskussion "unredlich" führten: Niemand wolle neue AKW bauen und trotzdem werde die Regierung dafür kritisiert, daß sie dies gesetzlich festschreiben möchte. Müller: "Der merkwürdige Streit um die Kernenergieoption wird für beendet erklärt."

Schließlich stellt der Minister ein Ultimatum: Da im September das neue Atomgesetz auf den Weg gebracht werden soll, ist eine Einigung über die Restlaufzeiten der Reaktoren nur noch bis Ende Juni möglich. Scheitert dies, dann wird die Regierung die entsprechenden Fristen eigenständig festlegen.

Kommt der Atomausstieg jetzt doch noch, nachdem inzwischen auch die hoffnungsvollsten AnhängerInnen von Rot-Grün das Projekt als gescheitert angesehen haben? Mitnichten! Denn das Konzept, für das der Minister in Karlsruhe mit provokantem Beiwerk wirbt, entspricht voll und ganz den Interessen der Konzerne. Der entscheidende Satz: "Die Politik nimmt die Kernenergie, wie sie hierzulande behandelt wird, also als Restnutzung des Investments."

Zwischendurch läßt Müller wissen, daß auch 2005 (also sieben Jahre nach dem rot-grünen Regierungsantritt) "die Masse der deutschen Kernenergieleistung noch am Netz sein wird". Ausstieg bedeutet für den Ex-Veba-Manager wie für seinen Kanzler, Restlaufzeiten von 20 bis 30 Jahren festzuschreiben und dann erst - aufgrund betriebswirtschaftlicher Maßstäbe - abzuschalten.

Werner Müller bleibt sich also auch in Karlsruhe treu - als geschickter Makler für die Interessen der Stromwirtschaft: Umstrittenes, Teures und Überflüssiges abstoßen - so z.B. den EPR und mittelfristig Wiederaufarbeitung sowie Castor-Transporte -, um damit Akzeptanz für den möglichst langfristigen Weiterbetrieb der lukrativen Reaktoren zu schaffen.