Ab durch die Mitte

In Paris präsentierten die europäischen Sozialdemokraten ihre einzige gemeinsame Veranstaltung zu den EU-Wahlen

Es sollte das Großereignis des Wahlkampfs für die Wahlen zum Europa-Parlament am 13. Juni werden. Im Palais des Sports in Paris traten vor einer karminroten Riesen-Rose u.a. gleich sechs der elf sozialistischen bzw. sozialdemokratischen Regierungschefs auf, um sich gegenseitig im europäischen Wahlkampf zu unterstützen. "Tous ensemble" hieß es da - "alle zusammen" für Europa.

Dabei ist es mit der Gemeinsamkeit nicht so weit her. Ursprünglich wollten die sozialdemokratischen Parteien eine ganze Reihe gemeinsamer Wahlveranstaltungen durchführen. Doch nach der Tagung der Europäischen Sozialistischen Partei in Mailand Ende Februar dieses Jahres wurde darauf verzichtet. Dort hatte insbesondere Gerhard Schröder die Stimmung verdorben, weil er vordringlich über die Senkung der deutschen EU-Beitragszahlungen reden wollte. Und auch Tony Blair förderte nicht gerade die Gemeinsamkeiten, als er energisch "Modernität" einforderte und die "archaischen" Politikansätze einiger der anwesenden sozialistischen Schwesterparteien geißelte.

Viel mehr als schöne Wahlkampfformeln in für Berufspolitiker typischem Sprachstil war dann auch in Paris nicht zu hören. Der Saal im Sportpalast war mit rund 5 000 Personen nur zu zwei Dritteln gefüllt, als Frankreichs sozialistischer Ex-Kulturminister Jack Lang die Show eröffnete. "Soziales", so konnten die Zuhörer lernen, bedeutet für die "S"-Parteien keinesfalls etwas Konkretes, das man präsentieren oder gar mit handfesten materiellen Forderungen verbinden kann. Nein, vielmehr handelt es sich dabei um "Werte", denen man "treu" bleibt - oder auch nicht.

So verlief die Debatte zwischen dem "Modernisierer" Tony Blair ("man muß seine Werte den heutigen Realitäten anpassen") und dem sozialistischen "Traditionalisten" Lionel Jospin ("man muß seine Mittel anpassen, aber seinen Werten treu bleiben") auf dieser Ebene, während Portugals sozialistische Eminenz Mario Soares die Anwesenden aufforderte, auch in der Regierung "den sozialistischen Idealen treu zu bleiben". Blair erhielt einige Pfiffe dafür, daß er das gemeinsame Projekt "in der linken Mitte" positionieren wollte.

Abenteuerlich wurde es mit Gerhard Schröder. Er definierte die sozialdemokratische Vision der Werte der französischen Revolution: Zu "Freiheit" fiel ihm als erstes die Gewerbefreiheit ein ("ein Unternehmen zu gründen, andere zu beschäftigen und dabei Geld zu verdienen") und dann auch noch "die Abwesenheit von Angst, ohne Arbeit zu sein". "Gleichheit" buchstabierte er als Chancengleichheit im Bildungssystem, vergaß dabei aber die ökonomische Gleichheit im späteren Wirtschafts- und Arbeitsleben.

Und "Brüderlichkeit", ja, dafür sei das beste Beispiel der Krieg für die Rechte der Kosovo-Albaner, bzw., in den Worten Schröders, "für eine Lösung auf Grundlage der Prinzipien der westlichen Staatengemeinschaft".

Den Nato-Kriegseinsatz hatten im übrigen alle Redner angesprochen und befürwortet, mit einer leichten Dissonanz im Beitrag von Italiens Premierminister Massimo D'Alema. Der betonte zwar die Zuverlässigkeit Italiens. Gleichzeitig aber wollte er nicht an eine rein militärische Lösung glauben und so rasch wie möglich über eine Einstellung der Luftangriffe "nachdenken", um eine politische Lösung anzusteuern. Auch eine Protestaktion linksradikaler Gruppen, die mit "Nato - Mörder"-Rufen und einem Transparent mit Hammer-und-Sichel-Emblem in den Saal eindrangen, konnte die sozialdemokratische Harmonie nur kurzfristig stören.

Eigentlich wollten die französischen Sozialisten mit der gemeinsamen Großveranstaltung der EU-weiten Sozialdemokratie ihr Konzept eines "europäischen Sozialpakts" voranbringen. Dieser soll nach ihren Vorstellungen genauso verbindlich sein wie der "Stabilitätspakt", der auf dem Amsterdamer Gipfel 1997 verabschiedet wurde und etwa die EU-weite Einführung der 35-Stunden-Woche innerhalb von fünf Jahren vorsieht.

Eine ähnliche Idee hatte auch der grüne Spitzenkandidat in Frankreich, Daniel Cohn-Bendit, bereits zuvor im Wahlkampf vorgeschlagen, wobei seine Idee wesentlich unverbindlicher blieb: Eine Einigung über "Konvergenzkriterien" zur Arbeitszeitverkürzung solle in den EU-Ländern binnen zehn Jahren zu einer Arbeitszeitverkürzung um zehn Prozent führen. Dabei solle den Ländern und den "Sozialpartnern" ein möglichst großer Spielraum bei der Umsetzung gelassen werden, was ein "Tauschgeschäft" wie das derzeit in Frankreich praktizierte - Arbeitszeitverkürzung gegen Flexibilität - erahnen läßt.

Auf der Pariser Veranstaltung war allerdings von jenem "Sozialpakt" nur noch wenig zu hören. Lediglich der Spitzenkandidat der französischen Sozialisten am 13. Juni, Fran ç ois Hollande, und sein belgischer Kollege erwähnten das Projekt überhaupt noch in ihren Redebeiträgen.