Die Sterne: "Wo ist hier"

Anderswo ist es auch nicht besser

"Der da drüben ist jetzt DJ in Berlin. Überhaupt ziehn jetzt einige dahin", dichteten 1995 Tocotronic. Da waren sie noch neu in der Hamburger Schule. Von Freiburg und aus Bad Salzuflen zog man nach Hamburg, ins Soundgarden Tonstudio, um sich von Chris von Rautenkranz unterrichten zu lassen. Deutschsprachige Musik fernab von Schlager und Nummer 1-Hit kam aus Hamburg. Selbst die Berliner Lassie Singers sehnten sich nach der Hansestadt. Von Berlin war nicht die Rede.

Die Zeiten haben sich geändert. Einige sind inzwischen nach Berlin gezogen, die Bundesregierung z.B., und auch MTV hat jetzt eine Filiale in der Hauptstadt. Jeder ist ein DJ und Gott sowieso. Eine Generation hat sich aufgemacht ins Zentrum der Macht, in die Mitte Deutschlands. Berlin-Mitte ist zum Inbegriff von Subkultur geworden, ein "schwarzes Loch", wie Diedrich Diederichsen meint. Hier ist, wer verstanden werden will. Hier spielt das Leben. Aber: Wo ist hier?

Das haben sich auch Die Sterne gefragt und sich auf die Reise begeben. "Der Ort, in dem wir leben, ist im Vergleich zu dem, der kommt, ein Kaff", heißt es in "Ich variiere meinen Rhythmus". Das kann, was die Proportionen angeht, nicht ganz stimmen. Und auch sonst hat Hamburg sicherlich einiges zu bieten. Nur: Berlin ist schon wieder so groß geworden, daß alles andere provinziell erscheinen muß.

Dem Sog, den die Stadt des vermeintlichen Aufbruchs und Neuanfangs ausübt, kann sich scheinbar niemand widersetzen. Der überheblichen Haltung "existentiellen Besserwissens" (Diederichsen) treten Die Sterne lässig entgegen. Sie sind zwar älter geworden, haben aber immer noch keinen Plan, und wie viele andere auch finden sie sich im neuen Berlin nicht zurecht. Die Sterne sind alles andere als "Big in Berlin": "Wir steigen irgendwo aus und wissen nicht mehr, wo wir sind. Die Welt ist voller Zeichen, aber für manche sind wir blind. Wir kommen durcheinander mit verschiedenen Signalen."

"Wo ist hier" verspricht auch keine aufgesetzte programmatische Wendung. Eher ein Ausprobieren, alte Ausdrucksformen, der gewohnt groovende Sound wird mit einfachen und neuen Klängen kombiniert und elektronisch aufbereitet. Die Sterne versuchen nicht, sich selbst zu kopieren, und singen: "Wir müssen nichts so machen wie wir's kennen, nur weil wir's kennen wie wir's kennen."

Manchmal klingt das nach einer Blues Explosion, abgeschwächt, versteht sich, manchmal wie ein Captain Future-Soundtrack. Meistens aber wie Die Sterne. Die Ortsbestimmung ist vage, und so sind auch die Songs. Das reicht von auffallend redundanten Stücken wie "Biestbeat" und "Manchmal sagt man vertraute Sachen vor sich hin" bis zum beschwingten "Das bißchen besser" oder dem schlichten und monotonen "Melodie d'Amour".

So wenig Bedeutung sie sich auch selbst zumessen, Spuren hinterlassen wollen sie trotzdem und suchen immer noch den "Krieg mit der Normalität". Auf der Suche nach sich selbst bleiben sich Die Sterne treu, ohne das Alte ständig zu wiederholen. Sie "sind unterwegs und doch irgendwie zu Haus". Berlin ist keine Enttäuschung, aber es ist auch kein bißchen besser als anderswo. Irgendwie kommt es doch auf die Leute an, nicht auf den Ort, und da ist es auch "cool, wenn jemand Händchen hält". Mit dieser unaufdringlichen Botschaft haben Die Sterne vielleicht doch ein Zeichen gesetzt: "Mit der Kaffeetasse, kleine Ringe auf dem Tisch".

Die Sterne: Wo ist hier. Epic