Dreckige Domspatzen

Nicht nur zur Gipfelzeit sorgen im Kölner Bahnhofsumfeld Ordnungsamt, blaue Sheriffs und die Polizei für "freundliches Ambiente"

Wer derzeit am Kölner Hauptbahnhof ankommt, ist vor Belästigungen nicht sicher. In der Passage werden rund 200 000 Touristen und Pendler täglich vom Lärm der Baumaschinen empfangen, die altes Gemäuer unterhalb der Gleise wegreißen: Für 130 Millionen Mark wandelt die Deutsche Bahn AG den Bahnhof aus dem letzten Jahrhundert um zu einer "modernen Verkehrsstation mit integriertem Einzelhandels- und Dienstleistungsbereich".

Natürlich gab es in der Passage, die Reisende in die Fünfziger-Jahre-Halle mit Blick zum Dom leitet, schon immer Süßigkeitenstände, Kneipen und Zeitungsläden. Doch zum Ende des Jahrtausends strebt die Bahn nun einen grundlegenden Imagewandel hin zu einem "hellen, freundlichen Ambiente" an - das moderne Einkaufscenter mitten in der City ist das Ziel. Die alten Markenzeichen werden ersetzt: Der Blumenstand, jahrzehntelang Treffpunkt für die ankommende Oma und ihre Enkel, ist verschwunden, Treffpunkt ist jetzt dort, wo "Treffpunkt" draufsteht. Und der Warteraum heißt dann "Lounge".

Um dem Bahnhof ein "freundlicheres Image" zu verschaffen, genügen aber nicht die architektonischen Zitate, die auch in Berlin, Stuttgart oder Frankfurt verwandt werden. Unfreundlichkeit gegenüber den bahnhofstypischen Szenen gehört fest zum Kölner Konzept "sicherer" Innenstadtpolitik im Verbund mit der Deutschen Bahn AG. Deren Abteilung Personenbahnhöfe hatte bereits 1995 erklärt, daß sie das Gelände künftig nicht mehr "als Kontaktstelle für die verschiedenen hilfsbedürftigen Randgruppen unserer Gesellschaft zur Verfügung stellen" möchte. Durch nächtliche Eingangskontrollen und Wachdienste in den U-Bahnen sind die Möglichkeiten, einen Unterschlupf zu finden, bereits seit 1993 ständig eingeschränkt worden.

Übernachtungsangebote im direkten Bahnhofsumfeld sind rar, etwa 30 Plätze in Notschlafstellen für Benutzer illegaler Drogen gibt es. Und wer nachts doch in der Bahnhofsmission strandet, den schicken die Missionare in die drei Kilometer entfernte "Annostraße", eine Notunterkunft für Obdachlose. Die Zustände dort beschreibt ein Wohnungsloser als so "verdreckt und gegen die Menschenwürde verstoßend", daß die meisten Betroffenen es vorziehen, sich ein Plätzchen im Freien zu suchen.

Der Privatbereich der "Immobilie Bahnhof" endet in Köln erst hinter den Pendeltüren - das kontrollierte Areal erstreckt sich bis zum Aufgang zur Domplatte. Sorgen in den Hallen noch Hausordnung, Bundesgrenzschutz (BGS) und blaue Sheriffs selbst für Ordnung, sind es draußen auch noch Bahnpolizei und Vertreter des Ordnungsamts, die die "offene" Drogenbenutzerszene durch Platzverweise und Aufenthaltsverbote vertreiben.

Doch auch im weiteren Umfeld sind Gruppen, für die der öffentliche Raum Lebensmittelpunkt ist, kaum noch zu finden. Angeschnorrt jedenfalls wird man auf der Treppe zur Domplatte nur noch selten. Vor drei Jahren noch war das Straßenleben Obdachloser hautnah mitzuerleben: Unter den Vordächern des Römisch-Germanischen Museums, zwischen den steinernen Zeugen römischer Geschichte ("Die ersten Kölner waren Ausländer", Werbung der Stadt Köln), hatten sie sich mit Matratzen, Schlafsäcken und Radiogeräten niedergelassen. Das Ordnungsamt schritt ein und zäunte den zum "Lagern" in Frage kommenden Bereich ein. Heute sind auch diese Zäune nicht mehr nötig.

Um die soziale Säuberung rechtlich abzusichern, entwarf das Ordnungsamt das "Nutzungskonzept Domvorplatz und -Umgebung", kurz "die Domplattenverordnung". Hier ist festgelegt, wer stört. Seit April 1997 sind im gesamten Domumfeld "Lärmen", "störender Alkoholgenuß" und "Betteln" verboten - und werden als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Diese Nutzungen beeinträchtigen nach Meinung der von SPD und CDU verabschiedeten Verordnung das "ungestörte Erleben und Betrachten des Bauwerkes". Um den "Blick auf den Dom zu gewährleisten" (O-Ton Ordnungsamt) patrouillieren Mitarbeiter der Behörde gemeinsam mit der Polizei.

Allein im ersten Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung sprachen sie 600 Platzverweise aus. Dabei wird die Auswahl häufig "ohne Angaben von Gründen" und unterstützt von einem "aggressiven Auftreten" der Ordnungshüter vorgenommen, wie die Katholische Fachhochschule bei einer Befragung von Berbern, Junkies, Punks und Trebern herausfand. Der Leiter des Ordnungsamtes behauptet zwar: "Es wird nicht nach Kleiderordnung verfahren." Doch eben diese Praxis wurde zuletzt an Pfingsten 1998 offenkundig, als in der Stadt ein Gruftietreffen stattfand. Aus Angst vor der "drohenden Müllmenge", die eine ähnliche Veranstaltung hinterlassen hatte, erteilte ein Großaufgebot innerhalb nur eines Tages fast 500 Platzverweise. Gerade Angekommene mußten kurzerhand die Rückreise antreten.

Betroffene selbst haben sich bislang gegen die Maßnahmen der Ordnungskräfte nicht zur Wehr gesetzt. Die Kölner Polizei will nur von Beschwerden gegenüber den Ordnungshütern vor Ort wissen, schriftliche seien nicht bekannt geworden. Dabei hätte eine juristische Anfechtung der "Domplattenverordnung" durchaus Chancen auf Erfolg, nachdem im Juli 1998 der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das Bettelverbot der Stuttgarter Polizeiverordnung für nichtig erklärt hatte.

Doch nicht nur im kleinen vollzieht sich der Klimawandel im Schatten des Domes. Stein des Anstoßes für die privaten Interessenverbände wie den Kölner Haus- und Grundbesitzer Verein und für die Regierungsfraktionen CDU und SPD im Kölner Rat war seit 1991 immer wieder die am Fuße des Doms errichtete "Kölner Klagemauer".

Das von Walter Herrmann inszenierte Gebilde aus an Schnüren befestigten Papptäfelchen, auf denen jeder seine Botschaft artikulieren durfte, wurde zur Attraktion und schließlich 1997 sogar in "Baedeker's" Reiseführer ausdrücklich erwähnt. Doch die Touristen suchten vergeblich nach diesem Stück neuerer Stadtgeschichte: Im Oktober 1996 schon hatten Beamte das Werk beseitigt.

Herrmann wehrte sich gegen die Vertreibung. Auf Demonstrationenen thematisiert er den Umgang mit Obdachlosen und dem Symbol Klagemauer. Seitdem wird er mit zivil- und strafrechlichen Verfahren überzogen. Im jüngsten Prozeß wurde er wegen Verleumdung verurteilt, weil er einen Polizisten, der ihn in den Würgegriff genommen hatte, auf einer Papptafel in der Fußgängerzone öffentlich angeprangert hatte. Herrmann zeigt sich unbeeindruckt von dem Urteil, das "den Täter zum Opfer gemacht hat". In einer Stadt mit einer von Alfred Neven Du Mont - dem ehemaligen Vorsitzenden der Industrie- und Handelskammer der Stadt - beherrschten Presse sieht er in seinen Aktionen den einzigen Weg, "sich unabhängig von den Medien im öffentlichen Raum zu artikulieren. Dort haben sich ja demokratische Strukturen zuerst entwickelt."

Vom Fenster des Leiters des Ordnungsamtes sieht man die Domspitzen. Von hier aus sind die "Sondernutzungen des öffentlichen Raumes" im Dom-Umfeld unterbunden worden. Gaukler, Musikanten, bunte Gestalten, die die Domplatte jahrelang belebten, sind nun per Anordnung verschwunden. Für Engels ein "ordnungspolitischer Erfolg".

So bleibt die Kulisse aus dem letzten Jahrhundert inmitten einer geputzten Platte stehen, auf der allenfalls noch Skateboardfahrer für Bewegung sorgen. Und daneben soll in diesem Jahr der neu gestaltete Bahnhof mit leichten Glasdächern eingeweiht werden - für ein helles, freundliches Ambiente. Bis dahin dürfte die Oberfläche auch dort bereinigt sein. Und was sich sonst noch un-kontrolliert artikuliert, wie etwa durch Wandmalereien, wird im Rahmen der "Kölner Anti-Sprayer-Kampagne" (KASA) schnellstmöglich beseitigt.