Schirrmacher und der Krieg

Ein deutscher Bildungsroman

Da der tiefere Sinn all dessen, was in der Innen- und Außenpolitik, in der Wirtschaft und im Sport sich ereignet, immer noch von denjenigen ausgeschenkt wird, die am wenigsten davon verstehen, muß man den Dr. Schirrmacher von der FAZ fragen, wenn man denn unbedingt wissen will, was die "Lehre" des gegenwärtigen Krieges ist.

Zunächst schien Frank Schirrmacher es dem Jugoslawien-Krieg zu verübeln, daß er tatsächlich als Krieg in Jugoslawien stattfand und nicht etwa als Debatte "in dieser Zeitung". Solch fragwürdige Figuren wie Joseph Fischer und Rudolf Scharping konnten die Meinungsführerschaft an sich bringen, und Schirrmacher mußte schon seine ganze überlegene Bildung aufbieten, um sie ihnen wieder zu entreißen. Also erklärte er ihnen erstens, warum sie einen "Luftkampf" führen und keinen Bodenkrieg. Nämlich deshalb: "Antaios, der libysche Riese der Mythologie, ist unbesiegbar, solange seine Füße die Erde berühren."

Wer das nicht weiß, dürfte es in einer modernen, demokratischen Armee kaum zum Unteroffizier bringen, denn logischerweise bleibt umgekehrt die Nato nur dann unbesiegbar, wenn ihre Panzerketten den serbischen Boden nicht berühren.

Zweitens mußte Schirrmacher die Minister Fischer und Scharping rügen, weil sie ständig von Hitler, Auschwitz, Selektionen und Konzentrationslagern sprechen, obwohl sie doch nur einen "modernen Staat" bombardieren, "der Verbrechen begeht und nicht bereit ist, sich an die Regeln zu halten". (Er meinte aber gar nicht die Regeln des Verbrechens und auch nicht das internationale Recht, gegen das die Nato ja selbst verstößt, sondernÖ die Regeln halt. Einfach so.)

Es sei irgendwie ungut, sogar "gefährlich", die deutschen Schandtaten der Vergangenheit mit allem möglichen Gegenwärtigen zu vergleichen. Auschwitz, das wisse man spätestens seit der Walser-Debatte ("in dieser Zeitung") tauge nicht zur Instrumentalisierung. Gutwillige verstanden, Auschwitz sei eben singulär, Böswillige meinten, Schirrmacher wolle von Auschwitz einfach überhaupt nichts mehr hören.

Wenige Wochen später nun hat Schirrmacher es sich offenbar anders überlegt. Wie Marcel Reif, der neuerdings Fußballspiele "lesen" kann, "liest" er den Jugoslawien-Krieg, und zwar als einen Bildungsroman. Fischer wird nun gelobt, weil er zusammenwirft, was nicht zusammengehört: Mao Tse Tung und Rugova, die lateinamerikanische Guerilla und die UCK. Mit solch genialer Rhetorik "heilt" Fischer "den biographischen Riß, der durch die Lebensläufe seines Publikums geht". Wenn Che Guevara, gegen den man auch einiges vorbringen kann, liebe Freundinnen und Freunde, wenn Che Guevara heute lebte, würde er nicht in Bolivien kämpfen, sondern im Kosovo, liebe Freundinnen und Freunde!

Schirrmachers Texte enthüllen den tieferen Sinn des rätselhaften historischen Geschehens nicht selten nur demjenigen Leser, der ihn selber mitbringt. Die wirkliche Botschaft des Bildungsromans Kosovo, verbirgt sich vielleicht in einem unscheinbaren Nebensatz: "Auschwitz, das er (Fischer; J.R.), Ernst Nolte rehabilitierend, auch in Bielefeld beschwor (...)" Nein, Schirrmacher sagt nicht, daß Nolte im Recht war, er sagt nur, daß Fischer ihn rehabilitiert. Aber wenn selbst Fischer ihn rehabilitiert, dann muß er ja wohl im Recht gewesen sein. Und die Debatte, die vor anderthalb Jahrzehnten "in dieser Zeitung" begann, wird so lange fortgeführt, bis Nolte und die Herausgeber siegen.