Elend am Zapfhahn

Armut macht keinen Spaß. "The Acid House" nach Irvine Welsh beweist es

Und wieder trifft das Schicksal den kleinen Mann von der Straße mit unvermittelter Härte. Boab, der so und nicht Bob heißt, weil man im schottischen Edinburgh nach alter Sitte die Vokale launig zu dehnen pflegt, sitzt in einer staubigen Pinte und spült den Ärger eines deprimierenden Tages in viel zu großen Schlucken mit einem lauwarmen Bier herunter. Innerhalb der letzten 24 Stunden hat Boab seinen Stammplatz in der Mannschaft, sein Zimmer im Haus der Eltern und seine Freundin verloren.

Sein Job als Fahrer in einem aufstrebenden Umzugsunternehmen ist einer wirtschaftlich sinnvollen Rationalisierungsmaßnahme zum Opfer gefallen, im Zuge eines plötzlichen Nervenzusammenbruchs hat man ihn verhaftet, erniedrigt und verprügelt. Innerlich wie äußerlich zerzaust sitzt er nun an einem stabilen Tresen, die letzte Grundfeste seines gescheiterten Lebens, als ein alter Mann den Raum betritt.

Das Licht fällt auf die Szenerie wie in einem Siebziger-Jahre-Italo-Western. Doch der alte Mann ist nicht der Killer, er ist auch kein Bösewicht, sondern er ist einfach nur Gott. Und unrasiert, zynisch und selbstgerecht, wie Gott nun mal ist, schleudert er seine Wut über die Menschheit, das mißratene Bild seiner selbst, dem unglücklichen Boab entgegen, dem geringsten seiner Kinder, einer mitgenommenen, ins gesellschaftliche Aus katapultierten Existenz, die nichts Besseres verdiente, als für ihr vergeigtes Leben nach alttestamentarischem Brauch in ein stinkendes, mieses Insekt verwandelt zu werden.

"Dieser Idiot Nietzsche lag daneben, als er sagte, ich sei tot. Ich bin nicht tot. Ich scher' mich 'n Scheiß." Das Bild wackelt, die Tonspur ruckelt, also kommt es, wie es kommen muß, und aus Boab wird - Vorhang, Tusch und haste nich gesehn! - subito eine gemeine Fliege.

Zumindest dem Kameramann bietet diese Spontanmutation ungeahnte Möglichkeiten: Man sieht spektakuläre Überlandflüge aus atemraubender Stubenfliegen-Perspektive oder Ketchup, Pommes und Hundescheiße in feinkörniger Nahaufnahme. Alles ist ausgetüftelt, mit krummer Linse durch gewagte Schwenks betrachtet, sogar gewissermaßen schräg, und führt zu der plietschen Erkenntnis, daß es kein trockenes Leben im Feuchten gibt.

Bier macht betrunken, von Armut kann man sich nichts kaufen, und Fliegen lassen sich prima mit Tageszeitungen zur Strecke bringen. Also geht Boab den Weg aller Insekten, doch der Film, der geht weiter.

Gemeinsam mit Irvine Welsh als Drehbuchschreiber hat sich Regisseur Paul McGuigan der Kurzgeschichtensammlung "The Acid House" des Autors angenommen und daraus einen Drei-Episoden-Film gebastelt. Dabei hat sich Welsh keinen Sixpack von seiner eigenen Vorlage entfernt, der Verleih verspricht deshalb einen "100 Prozent unverdünnten, ungeschnittenen und authentischen Irvine Welsh". Nicht ganz ohne Grund hofft man sich irgendwie auf der Zielgeraden Richtung "Trainspotting" und Welterfolg. Doch was für "Trainspotting" die Coolness der Heroinsucht war, ist für "The Acid House" das Elend der Zapfanlage.

Die Schnittstellen sind die Pubs von Edinburgh, das Filmpersonal ist fies, dumm und häßlich. Hoffnungslos stecken sie alle bis zur Halskrause im eigenen Dreck. Johnny, der Trottel, Catriona, die Schlampe, Larry, das Arschloch, Coco Bryce, der LSD-Proll, und Kirsty, die dumme Kuh. Ihr Leben ist ein grotesk stumpfes Einerlei ohne Arbeit, Hoffnung und Vitamine, ihre Wohnungen sind bis auf den Putz heruntergerockt; avanciert fotografiert, suhlt sich das Subproletariat im eigenen Morast.

Kaum, daß die Geschichten in Fahrt kommen, sind sie schon wieder vorüber und verabschieden sich mit müden Pointen, so interessant wie Dosenfutter. In einer Episode schlupft der Geist von Acid-Hool Coco in den Körper eines neugeborenen und unschuldigen Mittelstandsbabys mit dem Resultat, daß nicht einmal die Säuglinge in "The Acid House" Sympathieträger sind.

Der Film hat seine Eigenheiten, seine Vorzüge sind recht überschaubar. Der Soundtrack könnte die Sache noch retten. Primal Scream und die Chemical Brothers, Oasis, Arab Strap und The Verve singen und spielen Lieder mit ansteckenden Melodien, starken Lyrics und gutem Rhythmus. "I stay home to defrost the fridge / now the kid has gone to bed / a feeling of dread / at least when she's around / the troubles there / it's worse to wake up with her falling round the room", hauchen Belle & Sebastian in der Episode "Ein Weich-Ei" dem geschlauchten Gemütsmenschen Johnny über die Schultern, während seine Catriona ("she") mit dem unappetitlichen Fiesling Larry eine Etage drüber lautstark die geheimen Freuden multipler Orgasmen durchbuchstabiert.

Das ist nicht nett, eigentlich ist hier gar nichts nett, und das ist alles in allem ungefähr die Botschaft, die man selbst aus der letzten Reihe mit nach Hause nimmt. Die Songs heißen "Leave Home", "Slow Graffiti", "Going Nowhere", "On Your Own" oder "Nothing To Be Done". Schlaff und freundlich kullern die Akkorde aus den Lautsprechern, beiläufig werden die unschönen Verhältnisse larmoyant skizziert, aus denen man nicht raus kann und es eigentlich auch gar nicht will, weil es schließlich so, wie man es kennt, auch irgendwie ganz gemütlich, vertraut und sicher scheint.

Was soll man auch machen, wenn man erst einmal ganz unten ist? Einfach eine tolle Platte auflegen? Larry jedenfalls strippt zu T-Rex vor dem Spiegel und spielt Luftgitarre unter der Dusche, Johnny geht Billardspielen, Catriona geht ficken, das Baby scheißt in die Windeln, Fliege Boab schlürft genießerisch einen Rüssel Ketchup. Die Sozialbauten von Edinburgh bieten tolle Möglichkeiten und zahlreiche Alternativen. Die Armut bringt Lokalkolorit in die Gegend. Das Subproletariat sorgt für tolle Anekdoten und Geschichten. Irvine Welsh hat viele aufgeschrieben, Paul McGuigan hat manche davon verfilmt.

Gymnasiasten werden sich die Pointen noch in der großen Pause erzählen.

"The Acid House". GB 1999. Regie: Paul McGuigan, Darsteller: Ewen Bremner, Kevin McKidd, Maurice Roeves, Martin Clunes, Jemma Redgrave, Stephen McCole, Michelle Gomez, Arlene Cockburn, Gary McCormack. Start: 3. Juni