Hexenjagd auf die Basis

Während Italiens Polizei Anschläge der Vergangenheit noch einmal untersuchen will, schießen sich Politiker auf die Basisgewerkschaften ein

Das tödliche Attentat der Roten Brigaden (BR) auf Massimo D'Antona, den Berater des Arbeitsministeriums, vor knapp zwei Wochen in Rom hat die italienische Linke ins Zentrum der öffentliche Angriffe gerückt.

Seither stehen vor allem Rifondazione Comunista und ihr Vorsitzender Fausto Bertinotti - der erklärt hat, dem Schreiben der Brigadisten sei "vom Standpunkt der Analyse aus gesehen teilweise zuzustimmen" - im Zentrum der Kritik. Die regierenden Linksdemokraten und ihr Partner, die italienischen Kommunisten, werfen Rifondazione mittlerweile vor, das Klima für den Anschlag vorbereitet zu haben.

Einzig Staatschef Massimo D'Alema bemüht sich vor den anstehenden Europa-Wahlen um Deeskalation: Er erklärte, die neuen BR seien nicht die der Vergangenheit, die "über eine tiefe Verwurzelung, Zustimmung, Ideologie und ein intellektuelles Umfeld verfügten. Sie sind nur eine terroristische Bande." Es sei zwar möglich, daß sie noch einmal zuschlagen, den Konflikt der "bleiernen Jahre" könnten sie jedoch nicht wieder erzeugen.

Dafür werden nun die linken Basisgewerkschaften (Cobas) zu den Opfern einer neuen Hexenjagd. Der Vorsitzende der parlamentarischen Antimafia-Kommission Ottaviano Del Turco verkündete, es sei sehr interessant, in Richtung der Basisgewerkschaften zu schauen. Der Mailänder Bürgermeister wähnte gar eine "terroristische Zelle" innerhalb der Cobas der Mailänder Verkehrsbetriebe. Piero Bernocchi, Sprecher der Cobas der Schulen, wies stellvertretend für viele Basisgewerkschaften die Angriffe zurück: "Kaum beginnen wieder Kämpfe von Bewegungen, erscheint auch pünktlich wieder der provokatorische Terrorismus auf der Bildfläche (...). Wir wissen nicht, was oder wer hinter dem plötzlich wieder aufgetauchten Kürzel BR steht. Doch sicher ist (...), daß der terroristische Anschlag benutzt wird, um die Cobas anzugreifen und zu kriminalisieren, den Basissyndikalismus, die Bewegungen gegen die Arbeitslosigkeit und gegen den Krieg, die sozialen Zentren, Rifondazione Comunista und jeden, der sich mit demokratischen Mitteln und den Werkzeugen der Massen der neuen Rechten von D'Alema entgegenstellt."

Zwar geben viele Basisgewerkschafter, wie etwa Pierpaolo Leonardi, Koordinator der RDB (Basisvertretungen des Öffentlichen Dienstes), zu, daß in der BR-Analyse der ökonomischen Umstrukturierungen viele Sätze "aus unseren Zeitschriften zu stammen scheinen". Doch fürchten sie eher ein Manöver der Geheimdienste und bemerken, daß in ihren Organisationen kein Platz für solche Formen der Auseinandersetzung sei.

Die Kritik der italienischen Linken an dem Anschlag ist weitgehend einhellig. Luca Casarini, Sprecher der sozialen Zentren des Nordostens, äußerte gar, "wer D'Antona getötet hat, ist auch gegen uns, gehört zu unseren schlimmsten Feinden, da er will, daß sich jeder Raum der Vermittlung schließt". Das Leoncavallo, Italiens bekanntestes soziales Zentrum, verurteilte das Attentat ebenfalls, da es sich "gegen die Antikriegsbewegung, gegen die selbstorganisierten Arbeiter, die am 13. Mai gegen den Krieg gestreikt haben, und gegen die sozialen Zentren wendet, die jetzt mit ins Spiel gebracht werden". Gewarnt wurde auch vor der Gefahr einer "Kultur des Neo-Notstandes, die jene Situation zurückbringen kann, die schon in der Vergangenheit soviel Schaden angerichtet hat".

Eine neue "terroristische Gefahr", gegen die sich die "gesamte Nation einhellig stellen muß", wird indes von der italienischen Rechten ausgemacht. Teile der Ermittlungsorgane sehen das ähnlich und verweisen auf den Ablauf des Anschlags. In der Tat war der Anschlag auf D'Antona gut vorbereitet: In der Umgebung standen zwei gestohlene Lieferwagen mit verdeckten Scheiben, aus denen D'Antona beobachtet worden war. Die zwei Attentäter entkamen auf einem Moped. Für eventuelle Schwierigkeiten stand ein weiteres Moped bereit.

Italiens Geheimdienste geben vor, auch nicht mehr zu wissen. Sie hatten zwar seit längerer Zeit über eine Reorganisierung der BR gemutmaßt, doch noch in einem Bericht, der dem Parlament im Februar zuging, wurde die Tierbefreiungsfront als die größere Gefahr für die Innere Sicherheit ausgemacht. Klar ist den Geheimdienstlern angeblich nur, daß es sich bei den neuen BR um nicht mehr als 30 Personen handelt, die sich nun in die Klandestinität begeben haben. Auch wurden 130 weitere potentielle Angriffsziele ausgemacht, über die sich vor allem die privaten Sicherheitsdienste freuen.

Zusammen mit Politikern und der Presse versuchen die Geheimdienste nun, das Attentat in einen Zusammenhang mit Anschlägen zu stellen, die es seit Kriegsbeginn auf Parteibüros der Regierungskoalition und auf Fahrzeuge von Nato-Angehörigen gegeben hat. Im Blick der Fahnder stehen auch eine Reihe ungeklärter Raubüberfälle der letzten Jahre, vor allem ein Banküberfall in Frosinone vom Dezember 1997, bei dem die Waffen von sechs Polizeibeamten entwendet wurden. Hinzu kommen verschiedene nicht aufgeklärte Anschläge der letzten Jahre in Rom - im Oktober 1992 auf den Industriearbeitgeberverband und im Januar 1994 auf das Nato Defense College - zu denen sich die Kämpfenden Kommunistischen Zellen (NCC) bekannten.

Dabei sind sich die Ermittler nicht einig, wie sie die Selbsterklärung der neuen BR bewerten sollen: Diese hatte sich als "revolutionäre Avantgarde" bezeichnet, die eine "Rolle der objektiven Kontinuität" zu den Initiativen der alten BR-PCC einnehme "und daher die politische Verantwortung" übernehmen könne, "ihren Namen zu tragen".

In einem kurzen Schreiben, unterzeichnet von neun ehemaligen BR-Aktiven, die sich nie von ihrer Zeit in den BR distanziert haben, wird hingegen jeder "objektiven und subjektiven Kontinuität" eine Abfuhr erteilt: "Die historischen Bedingungen haben sich radikal verändert. Die Arbeit der Kommunisten kann sich heute nur auf einem offenen Terrain der Massen abspielen und muß sich mit dem (wirklich epochalen) Problem der Rekonstruktion der politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dessen stellen, das sich einst Transformation des Existierenden nannte."

Die Erklärung endet mit den Worten: "Diesem Ereignis, dessen Notwendigkeit man nicht verspürt hat und dessen negative Folgen für alle ersichtlich sind, ist nichts weiter hinzuzufügen."