Schwarz in Schwarz

Über die Verwechslung rechter und linker Strategien in Lutz Dammbecks "Meisterspiel".

Der Film von Lutz Dammbeck über die obskure Aktion gegen den Künstler Arnulf Rainer, bei der 30 seiner Bilder schwarz übermalt wurden, widerspricht zunächst einem vereinfachenden Verständnis der Sache. Mit jedem Zug seines "Meisterspiels" wird es schwieriger, den Anschlag als einen singulären Akt zu verstehen, geschweige denn als jenen immer noch unaufgeklärten Verstoß gegen das Gesetz, der durch Tatzeit und -ort zumindest auf einen Septembertag des Jahres 1994 in Wien einzugrenzen wäre. Der Filmemacher trägt statt dessen die Erkenntnisse über den Vorgang wie einen McGuffin von Schauplatz zu Schauplatz, wobei die Komplexität der gesellschaftlichen Situation immer deutlicher vor Augen tritt.

Die Aktion gegen den österreichischen Künstler ist also nur für einen unreflektierten dokumentarischen Ansatz das, was vielleicht rein faktisch von ihr festgestellt werden kann, und so ist es konsequent, wenn Dammbeck bereits das Einschreiten der staatlichen Garanten objektiver Tatbestände als problematische Angelegenheit festhält. Der ermittelnde Kommissar gesteht vor der Kamera, daß er die ihm angezeigte Zerstörung anfangs gar nicht habe erkennen können und ganz auf die Angaben des geschädigten Künstlers angewiesen war. Man spürt, daß mit diesem Mangel an Kompetenz etwas ins Ungleichgewicht kommt, wofür nun eigentlich auch ein Verantwortlicher gefunden werden müßte, aber dann kann der Staatsbeamte berichten, daß selbst der Künstler nicht alle Schäden gleich erkannt habe, und die Balance scheint wiedergefunden.

Die Aktion wurde also vom ersten Moment an zum Anlaß für Bewertungen, neuerliche Beleidigungen, Parteinahmen und Denunziationen; das bestehende gesellschaftliche Gefüge zeigt sich als ein ständig aktives Feld, das mit seinen Kräften, Interessen und Mächten die Wirklichkeit und ihre Fakten fortwährend vor- oder nachkonstruiert, so daß hier keinesfalls ein objektives, gerechtes oder zufälliges Urteil zu erwarten ist (früher wurde für die Orientierung der meisten Effekte dieser Art ein Begriff wie Klassenjustiz verwendet; heute wird ein Schauplatz dieser Vorgänge mit dem Begriff institutioneller Rassismus gefaßt).

Der Filmemacher bewahrt gegenüber seinem Fall zunächst eine gewisse Gelassenheit; er läßt statt dessen einige Menschen zu Wort kommen, die offensichtlich etwas mehr mit der Sache zu tun haben wollen und denen zuzuhören ziemlich erschreckend ist. Da sitzt der ehemalige Apo-Aktivist Reinhold Oberlercher in seiner Hamburger Wohnung und redet von Wien als einer "Wetterecke des deutschen Geistes", in der allerhand für und wider die "deutsche Hochkultur" -wie er sagt - "gebacken" wurde. Während er in Strukturen wie "Ordnung gegen Moderne" denkt, zeigt sein Gesicht doch recht deutlich, daß er Lust an Bestrafungen hat, und man kann sich vorstellen, wie weit die gehen, wenn zum Beispiel Freuds Psychoanalyse, die "erste wirklich großartige jüdische Nationalideologie" (Oberlercher), für sein "Empfinden" nur "Pornographie" ist.

Oder ein Mitarbeiter der Zeitschrift Tumult, der sich unbeschwert durch die Zeiten fabuliert, um die Moderne der Nachkriegsgeschichte als "strukturellen Nachfolger" des Nationalsozialismus darzustellen, zur Zeit die "einzige erlaubte Diktatur". Oder schließlich auch die Cousine des Künstlers, die da ganz rosig und spitz ihren Faschismus anhat wie ein fesches Dirndl und weiß, daß "das eigentliche Volk" nach der Niederlage ein Hereinbrechen "artfremder Strömungen" nicht hat verhindern können. "Und das war auch in der Kunst so Ö die entartete KunstÖ"

Ich habe nichts dagegen, daß diese Menschen im Film zu Wort kommen; ich brauche da keinen Zensurrahmen, der mir sagt: "Achtung, das ist ein Nazi! Nicht glauben, was er oder sie sagt!" Das kann ich selbst entscheiden, und außerdem schätze ich gerade diese Zeichenlosigkeit oder die alltägliche und unvorbereitete Schauseite, die zur nazistischen Gefahr ebenso gehört hat wie sie ein Kennzeichen derer sein wird, die in Zukunft dieselbe oder ähnliche Arbeit ohne das historische Etikett verrichten wollen. Der Film zeigt von dieser Wirklichkeit aufschlußreich viel.

Dammbeck läßt die Kamera in den Kaffeehäusern immer mal wieder zu den Nachbartischen hinüberschweifen und neben der Genügsamkeit des Herumsitzens dieser fremden Menschen entwickelt seine Dokumentation allmählich einen leicht koketten Blick. Und wenn der Film dann in einem schmalzigen Beschwichtigungsgesang beim Heurigen längst vergangener Tage endet, lehnen sich auch Dammbecks Motive ein wenig zurück: Was soll man schon machen in dieser Ecke der Welt, die so sehr ihrem zeitlosen Klischee gleichen möchte? Der resignative Schußakkord versiegelt seine Dokumentation und schützt sie als Abrechnung mit im Grunde doch der Vergangenheit angehörenden Begriffen. Da kann man schon mal vermuten, daß auch der Unterschied zwischen links und rechts eine veraltete Sache sei ...

Nun war allerdings im Film gerade ein Stück des zeitgenössischen gesellschaftlichen Panoramas in seiner ganzen Komplexität sichtbar geworden und auffallend deutlich hatte man in den Elementen des modernen Lebens die Konturen einer alten, allzu bekannten und aktiven Welt gesehen. Will Dammbeck dieses moderne Bild nicht erkennen, diese Banalität der Gesichter des Terrors? Auch alt und wieder neu die brave Normalität, die zum Anblick des Schrecklichen gehört, mag man glauben, sie hätten nichts miteinander zu tun: die herausgeputzte Cousine mit ihrer über sich selbst erfreuten Sauberkeit, der souveräne Stratege aus Haiders Riege, der aus der Logik der Zeit die Eckpunkte eines generellen Alibis für alle rechten Terrorakte hervorzieht, der Kommissar, der nicht so recht erkennen will, was er angesichts dieser Kunst gegen ihre Zerstörung tun soll, und dann - Dammbeck nimmt diese Seite der Gegenwart mit Recht hinzu - die Opfer jener Briefbomben, die von rechtsradikalen Militanten in Österreich verschickt wurden; eine ihrer Bomben tötete in Oberwart vier Roma.

Die Kommentare im Umkreis dieser Bilder gestatten sich nun eine bemerkenswerte Unschärfe der Begriffe. Dammbeck läßt sich vor allem auf die haarsträubenden Konstruktionslinien irgendeiner historischen Legitimität ein, die die Bajuwarische Befreiungsarmee in ihren Bekennerschreiben zu den Briefbomben zusammenphantasiert, um eine "deutsche Identität Österreichs" und allerhand anderen Plunder ins Gespräch zu bringen, und gerade hier spricht er noch einmal ausdrücklich von einem Spiel, einem "aktionistischen Gesamtkunstwerk aus militärischen, historischen und künstlerischen Elementen, ein Kunstspiel Ö"

Gründungsmythologien für Nationen, Sekten oder Militärapparate suchen für ihre schwache und meistens unlogische oder willkürliche Argumentation immer ein haltbares Gerüst aus geheimnisvollen Zeichen und vielfältig deutbaren Bezügen, um insbesondere Widersprüche verleugnen zu können. Und bekanntlich führt die paranoide Struktur in extrem autoritären Hierarchien zu Wahngebilden bei ihren Mitgliedern, die sich meist ausgesprochen resistent - um nicht zu sagen aggressiv - gegenüber jedem Realitätsbezug verhalten; nichts anderes teilt die rigide Dürftigkeit des starren Formenkanons ihrer Zeichenwelt mit.

Wer also jedes Bild oder jede Vision ein Kunstwerk und jede Bewegung innerhalb eines Beziehungswahns einen Spielzug nennt, verliert nicht nur die Begriffe. Und wenn er ausgerechnet das zwanghafte Bedeutungssystem, in dem die Bajuwarische Befreiungsarmee ihren Größenwahn spinnt, als etwas Künstlerisches oder gar Spielerisches wahrnimmt, ist das mehr als nur naiv. Es ist gefährlich und verdreht die Tatsachen, denn offensichtlich waren diese Aktionen alles andere als ein Spiel.

Angesichts der Toten von Oberwart zeigt sich Dammbeck als der zynische Beobachter, der er, nicht ganz so deutlich, auch dann ist, wenn man ihn um genauere Auskünfte bittet und er die Interesselosigkeit seines "Meisterspiels" in Frage gestellt sieht. Er hat es natürlich leicht, gegenüber einer sich zu schnell erhitzenden Empörung demonstrativ Ruhe zu bewahren, aber daß er gegenüber Kritikern besonders gern mit der Unendlichkeit all der nicht verwendeten Ergebnisse seiner Recherchen jongliert, verrät ein Spiel, das die verdeckten Karten braucht.

An dieser Stelle können wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkehren: Es gibt zu dem Attentat auf Rainers Kunstwerke einen ziemlich langen Text, der sich gleichermaßen als politischer Essay und Bekennerschreiben gefällt. Dammbeck bemerkt im Film, dieser "Text ist interessant und macht Lust, ins Spiel einzusteigen"; das klingt zwar, als sei der Text zum Anlaß für den Film geworden, aber nach ein paar herausgefischten Stichworten und Anstreichungen hat er ihn schon wieder zur Seite gelegt.

Wenn man das ganze Bekennerschreiben liest, wundert man sich darüber nicht: Es ist eigentlich uninteressant, in der Hauptsache eitel und geschwätzig. Es wiederholt zum Beispiel die kunstfeindlichen Standards des konservativen Lagers, das sich nicht erst seit den fünfziger Jahren immer daran ergötzt hat, irgendwelche halbverstandenen Bruchstücke der Moderne wie Absurditäten aufzuspießen, um dann ein gesundes Kunst- und Volksempfinden dagegenzuhalten. Wenn dieses Schriftstück zu irgend etwas Anlaß geben kann, dann dazu, die Feigheit, Selbstgerechtigkeit und Aggressivität seiner nicht nur an Kunst nicht interessierten Autoren aufzudecken.

Allerdings spricht Dammbeck in seinem Film auch nicht sonderlich klar über das Attentat, dem das Bekennerschreiben nachgeschoben war, und anstatt diese Tat von der Kunst Rainers abzugrenzen, macht er sich zum Komplizen knalliger Vereinfachungen: Der Übermaler wurde übermalt, der Provokateur provoziert. Diese vordergründigen Eindeutigkeiten bilden auch den aggressiven Kern der Aktion, die die künstlerische Haltung von Rainer und mit ihr die moderne Kunst erschüttern wollte. Es gibt jedoch einen eklatanten Unterschied, der sehr einfach benannt ist: Als Rainer zum Beispiel 1961 während einer Vernissage das preisgekrönte Kunstwerk einer anderen Künstlerin übermalte, wurde er sofort als Täter dingfest gemacht und bekannte - etwas geschockt von den Konsequenzen - er habe nur auf seine eigene Ausstellung aufmerksam machen wollen. Rainer handelte in der Öffentlichkeit, verwies auf sich und wagte den Konflikt mit allen.

Diese individualistische Provokation wollen die Attentäter treffen. Wenn sie sich über 30 Jahre später in Rainers Haltung einschleichen, an seiner Stelle handeln und dann ins Ungreifbare verschwinden, ist ihr Ziel ein einzelner, der sich kenntlich und sichtbar macht. Für ihre eigene Person bewahren sie die Anonymität, und anstatt sich zu ihrer Tat zu bekennen, lassen sie ihr Opfer damit allein. Sie liefern es statt dessen einer Öffentlichkeit aus, von der man weiß und folglich auch im Film sehen kann, daß in ihr immer genügend Stimmen mobilisierbar sind, die im plakativen Verständnis des Vorgangs den Platz für ihre Vorurteile suchen, auch die Verdächtigung mitspielen lassen, der Künstler habe seine Werke womöglich selbst übermalt und zwar, weil er - wie sollte es anders sein - dadurch zu noch mehr Geld und Ruhm gelangen würde.

Die Anhänger solcher Vereinfachungen im Umgang mit der Kunst reichen leider bis weit ins linke Lager, und wenn Dammbeck an irgendeiner Stelle recht damit haben sollte, daß zwischen rechts und links nicht mehr unterschieden werden könne, dann vielleicht hier, denn tatsächlich wollen in der Linken es sich viele mit der Kunst nur allzu oft genauso einfach machen wie die Rechten.

Dammbeck kommt diese Ungenauigkeit nicht nur gelegen; er betreibt sie selbst. Er gibt kaum Anhaltspunkte für einen Unterschied zwischen der Kunst von Rainer und dem Akt des Attentäters. Obwohl es in seiner Dokumentation im Grunde nur um die Kunst dieses Malers geht, wird ihrem Verständnis kein Raum gegeben, wird nicht klar, warum Rainer malt. Dammbeck begnügt sich mit einigen geliehenen Äußerungen und Kommentaren, die als unverständliche Abfolge von komplizierten Begriffen oder verwunderlichen Fremdworten stehen bleibt und die Vereinfachung nicht stören, sondern eher dazu reizen, sie als unnötige Umständlichkeit beiseite zu schieben.

Der Anschlag auf Rainer lag auf dieser Linie; er war eine Mobilisierung von Unterstellungen, die sich nicht weiter bekennen müssen, um wirksam zu bleiben; er war ein grobes Nachäffen der Praxis des Künstlers, bei dem die unsichtbare Grimasse seinem Opfer anlastet, was der Täter selbst eigentlich gern wäre: ein kleiner Hitler, den man nicht erwischt.

In Jungle World, Nr.22/99, schrieb Ulrike Becker über "Das Meisterspiel".