Sinnkrise des Europa-Parlaments

Beratende Funktion

Europa wählt - doch nur wenige gehen hin. Traditionell beteiligen sich deutlich weniger WählerInnen an der Europa-Wahl als an nationalen Wahlen. Und obwohl die Europäische Union in den letzten Jahren viel Geld in Öffentlichkeitsarbeit investiert hat, wird auch die Wahl am 13. Juni voraussichtlich nicht viel mehr als 60 Prozent der 297 Millionen aufgerufenen BürgerInnen zur Urne locken. Zu unwichtig erscheint vielen EuropäerInnen das, was das Europa-Parlament tut - und zu undurchsichtig das, was im allgemeinen in Brüssel abgeht.

Daran konnte wohl auch die Sternstunde des Europa-Parlaments vom Herbst 1998 nicht viel ändern. Die ParlamentarierInnen hatten damals der Kommission die Entlastung des Haushalts 1996 verweigert und mit dazu beigetragen, daß das Thema Brüsseler Institutionen in stärkerem Maße in die Öffentlichkeit gelangte.

Wer MdEP (Mitglied des Europäischen Parlaments) ist, muß theoretisch einmal im Monat nach Straßburg zum Plenum reisen. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, als MdEP aktiv zu werden: in einem der 20 Fachausschüsse. MdEP können Parlamentarische Anfragen an den Europäischen Rat oder die EU-Kommission richten.

So richtig mitbestimmen darf das Parlament trotz einiger Reformen, die im Hinblick auf "mehr Demokratie" in den Regierungsverträgen festgehalten wurden, allerdings nicht. Seine offiziellen Befugnisse liegen im Bereich des EU-Haushalts und der Gesetzgebung, d.h. beratend bei der Verabschiedung von Richtlinien und Direktiven mitzuwirken, die die Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen haben.

Genauer betrachtet, existiert dieser Handlungsspielraum jedoch oft nur auf dem Papier. "Konsultation" heißt beispielsweise ein Verfahren, nach dem das Parlament zu einem von der Kommission geplanten Gesetz eine Stellungnahme abgibt, die die Entscheidung des Europäischen Rates beeinflussen soll. Der Rat ist das regelmäßige Treffen der jeweils zuständigen MinisterInnen oder der Staats- bzw. Regierungschefs, auf dem die wichtigen Entscheidungen gefällt werden. Bindend ist das Statement der ParlamentarierInnen allerdings nicht - oft genug wurden auf den Tagungen der verschiedenen Räte die Ratschläge des Parlaments ignoriert.

Lehnt das Parlament den "gemeinsamen Standpunkt" des Rates ab, muß dieser sich dem nicht beugen: Ministerräte können sich über die Position des Parlaments hinwegsetzen - unter der Bedingung, daß sie dem Vorschlag einstimmig zustimmen. In diesen Situationen wird dann ein Vermittlungsausschuß eingesetzt, der sich um einen Kompromiß zwischen beiden Gremien bemüht. Der Vermittlungsausschuß ist paritätisch aus dem Rat und dem Parlament zusammengesetzt und soll einen gemeinsamen Entwurf erarbeiten.

Entscheidend aber ist, daß das Europäische Parlament kein Vorschlagsrecht besitzt - allein die Kommission verfügt über das sogenannte Initiativrecht, Gesetzesentwürfe einzubringen. Der Rat und das Parlament können auf solche Vorschläge lediglich reagieren oder die Kommission auffordern, Entwürfe vorzulegen. Zum Vergleich: In Deutschland haben die Bundesregierung, der Bundesrat und die Fraktionen des Bundestages das Initiativrecht auf Bundesebene.

Europa-ParlamentarierInnen stehen in darüber hinaus doppelter Schuld: Zum einen verlangen ihre Parteien meist, daß sie nationale Interessen vertreten - zum anderen sind sie ihrer Fraktion verpflichtet.