Da hamma den Salat

Antinationales Theater: Johann Kresnik inszeniert in einem U-Boot-Bunker bei Bremen "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Kraus.

Deutsche Räume. Ein Zerschredderungsversuch. Ruhig liegt er da, der Bunker, am oberen Flußlauf der Weser in der Abendsonne. Die hohen, dicken Wände des Monstrums sind aus Beton und moosbewachsen. Die Zeit nagt am Bauwerk, doch kann sie ihr ebensowenig etwas anhaben wie Versuche der Alliierten, den kriegswirtschaftlich wichtigen Ort nach 1945 zu sprengen. Eine versteinerte Endsieg-Phantasie, unkaputtbar, die in mythischem Schlaf der Vollendung des Tausendjährigen Reichs entgegenzuträumen scheint. Und in die Stille hinein erfolgt der Paukenschlag.

Nicht gegen den Raum spielt Kresniks Arbeit, sondern mit ihm und der Vergangenheit, die dieser Ort gleichsam konserviert hat. Natürlich auch mit dem Kopfzerbrechen, das dieser monumentale Erinnerungszwang den aufrechten Deutschen bereitet. Wie viele andere Projekte des bald 60jährigen Kresnik bedient sich auch die Inszenierung der "Letzten Tage der Menschheit" der Strategie des "Wehtuns durch Vergangenheit" (Kresnik). Maßlosigkeit und Groteske sind die Mittel. Und in ihnen ist Kraus' Textmonstrum, das man, so wie es im Buche steht, getrost als unspielbar bezeichnen kann, gut aufgehoben.

"Na Servus, da hamma den Salat!" Lakonisch quittiert ein Offizier einen Todesfall. Doch nicht ein Häftling oder Zivilist wurde da erschossen. Das ist Alltag, keiner Erwähnung wert. Einen Soldaten traf es, da die Kriegsberichterstatterin jetzt endlich auch mal abdrücken wollte. Und, oh!, prompt den falschen traf.

In den gut zwei Stunden werden der Ort, die visuell geprägte Ästhetik Kresniks, der Text, den Kraus als "unmöglich, zerklüftet, heldenlos" bezeichnete, und nicht zuletzt die Gegenwart enggeführt. Die Zusehenden indes verlieren sich in den einander überlagernden Stimmen und Themen der knapp vierzig Szenen.

Eine der drei 400 Meter langen Hallen wird bespielt. Licht und Musik machen daraus einen fast sakralen Raum. Alles Mystische aber wird von den zynischen Bildern - man darf es wohl auch Realität nennen - pausenlos gebrochen. Mal steht einer hemdsärmelig auf einer Leiter, während an die Betonwand hinter ihm historische Aufnahmen geworfen werden. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die in der Endphase des Krieges in und an dem Bunker arbeiten mußten. U-Boot-Produktion für den "Endsieg".

In Reiseleitermanier erklärt der Mann auf der Leiter ganz andere Bilder, rühmt den Kampf im Schützengraben, phantasiert sich in die Vorstellung heroischer Männerkörper hinein. Ernst Jünger, übernehmen Sie! "Deutsche Krieger" und die mörderische Kehrseite dieser, für sich genommen, schon unerträglichen Vorstellung blendet Kresnik an diversen Stellen ineinander, und stellt die Inszenierung als Inszenierung bloß, läßt den Mann immer wieder herabbrüllen: Text! Die Souffleurin reagiert prompt. Lauter! Weiterphantasieren zum nächsten Ausfall.

Die Kriegsberichterstatterin jubiliert. So ein schöner Toter. Der Russe habe nur noch in die Kamera starren können. "Wie gestellt!" Gabriele Möller-Lukasz, Stahlhelm auf dem Kopf, ein Tarnfarbencape um die Schultern geworfen. Eine wiederkehrende Figur, die den Blick der Zusehenden ein wenig zu lenken vermag. Daß wir gerade der Fachfrau in Sachen Kriegs- und sonstiger Propaganda folgen (müssen), ist eine der Fallen, mit denen Kresnik das Publikum in die Monumentalität dieser Inszenierung hineinzieht. Immer wieder zwingt er einen in die Rolle des - wir kennen dieses Argument zur Genüge - vorgeblich so unbeteiligten Zuschauers.

Oft hetzt der Kriegsberichterstatterin eine Horde hellbraun gekleideter Schreiber hinterher, die ihr neugierigen Blicks, Block und Bleistift im Anschlag, bereitwillig auch den letzten ideologischen Schwachsinn abkaufen. Und die hin- und wegschauen, wenn sie - "Meine Herren: Der einfache Mann!" - einen Soldaten aus dem Schützengraben fischt, um ihn mit einer pinkfarbenen Torte einzuschmieren und anschließend ausführlich mit ihm zu kopulieren.

Kraus' Abneigung gegen die Presse wird in diesem Untergangsszenario in die Gegenwart erweitert. Auf den Mythos der verlorenen Wahrheit, von dem Georg Seeßlen (Jungle World, Nr.21/99) schrieb, bezieht sich auch Kresnik, wenn er die unlösbare Verbindung von Schützengraben, Vernichtung und Heimatfront herausstellt und immer wieder auf den Kitt der "Volksgemeinschaft" rekurriert. Die Parallelerzählungen verdichten sich im Rückblick auf das Jahrhundert zu einer einzigen deutschen "Kriegsnovelle".

Zum Kriegsausbruch 1914 schrieb Karl Kraus: "Die Unterwerfung der Menschheit unter die Wirtschaft hat ihr nur die Freiheit zur Feindschaft gelassen, und schärfte ihr der Fortschritt der Waffen, so schuf er ihr die mörderischste von allen, eine, die ihr jenseits ihrer heiligen Notwendigkeit noch die Sorge um ihr irdisches Seelenheil benahm: die Presse."

Eine weitere Referenz - unvermeidbar, wenn man durch die riesige Halle trottet - ist die Ausstellung "Vernichtungskrieg". Die Obszönität der Propagandafotografie wird ebenso herbeizitiert wie die unsäglichen Legitimationsversuche der Fotografen. Ein Motorrad mit Beiwagen bahnt sich den Weg durchs Publikum. Es hält vor einer Gruppe serbischer "Partisanen", die in langer Reihe an der Wand stehen. "Hier in Belgrad", trompetet Möller-Lukasz, "interessiert mich das allgemein-menschliche Moment."

Warum muß das Programmheft das eindeutige Statement des Regisseurs unterlaufen, indem es Rainer Fabian Platz einräumt, einen verklärenden Blick auf die Kriegsfotografie im 20. Jahrhundert zu werfen? Diese sei "manchmal eine Art Pornographie". Manchmal? Eine Art? Diese deutsche Variante jedenfalls, der systematische völkische Blick, ist zu spezifisch, um in diese Worte hineinzupassen.

Durch Schlachten und Soldatentum, Propaganda und Volksgemeinschaft, Heimatfront und Vernichtung hangelt sich die Inszenierung. Alles ineinandergeblendet, gerade weil es losgelöst nicht zu denken ist. Das ist erstens plausibel und ist zweitens vom großen Ensemble trotz einiger Längen überzeugend dargeboten. Viel mehr war nicht rauszuspielen.

Das liegt weniger am Material als vielmehr daran, daß der Raum selbst sich gegen die Inszenierung sperrt. Man sieht hinauf zur Betondecke, von der Wasser tropft, hört, wie die Stimmen sich an den Wänden brechen: Und denkt, ob das nicht vielleicht auch genügt hätte, ob es der Performance überhaupt bedarf. Ob nicht dieser Ort der Vernichtung und Selbstüberschätzung doch am besten für sich selbst spricht. Immerhin macht die Inszenierung aufmerksam auf diesen Ort. Der nämlich liegt sonst leise und unbegehbar im Abseits - als Depot der Bundes-, Verzeihung!, der Deutschen Marine.

Kleinigkeiten sind es, nicht große Gesten, die am ehesten überzeugen. Eine Frau rezitiert einen Brief an ihren Mann an der Front. Sie sei schwanger, habe einen anderen. Währenddessen wetzt sie das Messer und häutet ein Kaninchen. Starke Bilder in der kalkulierten Unübersichtlichkeit. Was die Fülle betrifft. Ansonsten setzt die Inszenierung auf Eindeutigkeit. Wenig ist verrätselt, so daß fast dokumentarisches Theater entsteht. Auch wenn Kresnik um Selbstzitate (Wehrmachtsmäntel etc.) kaum herumkommt und einiges sich totläuft wie das elende Pyro-Geballer oder die wenig motivierten Fahrten auf schwerem Gerät - "Die letzten Tage der Menschheit" ist konsequent antinationales Theater. Das funktioniert, allen Debatten um Theater und Politik zum Trotz.

In "Wendewut" (1994) ließ Kresnik Menschen in Nationalfahnen einnähen. Kein Entkommen, sollte das heißen. Hier will gar keiner entkommen. Irgendwann hängt ein weißer Engel im Raum, ganz hinten auf der anderen Seite, und faselt etwas von Krieg als ultima ratio. Und wenn man die Nation nur so retten könne, sei's sowieso okay. Zumal, denkt man weiter, wenn er auch noch wie zur Zeit einen prima moralischen Mehrwert abwirft.

Schließlich reitet die Unschuld nackt auf weißem Schimmel durch die Halle und spricht sich, und das meint hier: "das deutsche Volk", kurzerhand von allem frei. Entschwindet dann in irgendwelche Sphären. Nichts ist vorbei. Kresnik verzichtet genüßlich auf die so heftig herbeigesehnte Erlösung.

Man muß nach dem Ende, auf der - Achtung, Event! - Schiffahrt zurück nach Bremen, Sätze wie "Krieg ist immer schlimm" über sich ergehen lassen. Wundern tut es einen nicht. Gegen Ende läuft die Kriegsberichterstatterin mit dem Mikrophon bewaffnet herum, hält es den ramponierten Soldaten ins Gesicht: "Was fühlen Sie gerade?"

Karl Kraus: "Die letzten Tage der Menschheit". Regie: Johannes Kresnik. Bremer Theater. Karten unter: 0421 / 36 53-333. Weitere Vorstellungen: 9.,10., 11.,20.,22. bis 26. Juni sowie 29. Juni