Die sinnlosen Bekenntnisse des Maik W.

Ruhe im Karton: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen wegen des Lübecker Brandanschlages gegen die Grevesmühlener Männer ein

Für Detailfragen ist Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz nicht zu sprechen. Deshalb wollte der Lübecker Strafverfolger der Jungle World auch nicht erklären, warum der Brandausbruchsort beim Feuer in der Flüchtlingsunterkunft definitiv "in der Mitte des rechten Flures des ersten Obergeschosses" lag. Das hätten die Untersuchungen der Sachverständigen von Landeskriminalamt und Bundeskriminalamt ergeben, sagt Schultz dann doch. Immerhin. Und folgert: Das Feuer, bei dem zehn Menschen starben, wurde nicht von außen gelegt. Und die anderen, gegenteiligen Gutachten? Etwa das des britischen Brandexperten Aid?

Nein, nein, das sind Detailfragen. In der Hauptlinie haben sich die Strafverfolger der Hansestadt vergangene Woche festgelegt: "Das Ermittlungsverfahren gegen vier Beschuldigte aus Mecklenburg-Vorpommern" wegen Brandstiftung in der Lübecker Hafenstraße wird eingestellt. Gegen die als "Grevesmühlener" bekanntgewordenen jungen Männer Maik Wotenow, Dirk Techentien, René Burmeister und Heiko Patynowski ist nach Worten der Strafverfolger ein hinreichender Tatverdacht nicht zu begründen.

Dabei hatte sich Wotenow alle Mühe gegeben, das Gegenteil zu erweisen. Gleich mehrmals berichtete der 21jährige verurteilte Kleinkriminelle seinen Mitgefangenen sowie Journalisten, Kripo-Beamten und dem Anstaltsleiter des Neustrelitzer Knastes, wie er in jener Nacht zum 18. Januar 1996 mit den drei Freunden in der Hansestadt unterwegs war. Gemeinsam seien sie damals von Grevesmühlen nach Lübeck gefahren, hätten einen Golf geklaut - "das sollte unser Alibi sein" -, um dann über Umwege in die Hafenstraße zu gelangen. Dort sei Burmeister in das "Asylantenheim" eingestiegen und habe einen Holzbalken mit Benzin übergossen, während er, Wotenow, 100 Meter entfernt Schmiere gestanden habe. Später, so gegen 3.30 Uhr, seien sie dann nochmal an der Unterkunft vorbeigekommen, weil der Fahrer die Ausfahrt nach Grevesmühlen verpaßt habe. Da war aber schon kein Durchkommen mehr: Feuerwehrfahrzeuge und Krankenwagen blockierten die Straße. Nach kurzer Beratung habe das Quartett beschlossen: Wir spielen "neugierige Passanten". Wenige Minuten später seien sie dann von der Polizei kontrolliert worden.

Diese Schilderung, wie sie der junge Rechtsradikale im Frühjahr vergangenen Jahres den Lübecker Beamten zu Protokoll gab, hat für Staatsanwalt Schultz "keinerlei Beweiswert". Nicht nur, weil Wotenow seine Geständnisse wiederholt widerrufen habe. "Nach dem vorliegenden Ergebnis bestehen keine Zweifel, daß Mitgefangene Druck ausgeübt haben." Dabei hat sich der Mann mehrmals der Tat bezichtigt, lange bevor ihn die Strafverfolger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neustrelitz vernahmen. Bereits ein knappes Jahr nach dem Feuer in der Unterkunft drohte er einem Verkäufer im mecklenburgischen Güstrow, der ihn beim Ladendiebstahl erwischte, mit den Worten: "Ich war sogar beim Brandanschlag in Lübeck dabei."

Auch die Geständnisse im Knast, durch die das neue Ermittlungsverfahren im Februar 1998 erst wieder in Gang gekommen war, dürften wohl mindestens genauso Wotenows Profilierungssucht wie dem Druck anderer Häftlinge geschuldet sein. Tino B. etwa erinnert sich an die ausführlichen Schilderungen seines Mitgefangenen: "Wotenow hat sogar gesehen, wie ein Neger da noch gebrannt hat, der auf dem Fußboden lag." Wer erpreßt wird, zügelt gemeinhin eher sein Mitteilungsbedürfnis. Der Grevesmühlener hat sich dagegen regelrecht angestrengt, seine Geschichte loszuwerden.

So auch gegenüber den Lübecker Strafverfolgern. Doch die wollten Wotenow schon bei dessen Vernehmung keinen Glauben schenken. Haftleiter Peter Dannenberg, dem der Gefangene schon vorher von seiner Tatbeteiligung berichtet hatte, war nach dem Verhör seines Zöglings "erstaunt" über die Skepsis der angereisten Beamten: "Wenn jemand zweimal quasi das gleiche sagt, ist das eigentlich schon glaubwürdig." Wotenow selbst war recht verärgert über das Verhalten der Lübecker Beamten. Wenn man ihm nicht glaube, könne er auch nichts dazu. Seine Konsequenz: "Jetzt sage ich gar nichts mehr." Drei Tage später widerrief er seine Aussagen - und lieferte damit den Strafverfolgern den Grund, mit dem Schultz heute an der Glaubwürdigkeit des Geständnisses zweifelt. Angekündigt hatte der Staatsanwalt schon kurz nach der Vernehmung im vergangenen Jahr, daß er "keine Wende in der Brandsache Hafenstraße" sehe.

"Klein-Adolf", wie sich der Grevesmühlener gern nennen läßt, konnte die Klappe freilich trotzdem nicht halten. Bereits vier Monate später plauderte er wieder über die Brandnacht. Dieses Mal gegenüber dem Spiegel. In einem umfangreichen Gespräch erzählte er einem Journalisten des Nachrichtenmagazins, wie die Idee aufkam, "das Asylbewerberheim anzuzünden". Vergeblich. Weil der Reporter seinem Interview-Partner 500 Mark zugeschoben hat, wollen die Strafverfolger nun auch diesen Angaben keinen Glauben schenken.

Unter welchen Vorzeichen dieses Gespräch auch immer zustande gekommen ist, für die Ermittler hat es wie die anderen Tatbekenntnisse allein deshalb keine besondere Bedeutung, weil die "sich widersprechenden Inhalte" der Geständnisse "nicht die notwendige Tataufklärung" ermöglichten. Staatsanwalt Schultz: "Einmal sollen Brandflaschen zur Brandlegung benutzt worden sein. Dann soll das Feuer mit Hilfe eines Benzinkanisters gelegt worden sein. Schließlich sollen zur Brandlegung zwei Flaschen Feuerzeugbenzin benutzt worden sein."

Solch widersprüchliche Aussagen, das ist unbestritten, müssen einen Juristen aufmerksam machen. Dennoch verwundert diese Bewertung aus dem Munde eines Lübecker Staatsanwaltes. Schließlich waren es Schultz und andere Vertreter seiner Behörde, die dem Rettungssanitäter Jens Leonhardt geradezu penetrant die Glaubwürdigkeit bestätigten, obwohl er sich in ähnliche Widersprüche verwickelt hatte. Leonhardt, der als Kronzeuge gegen den ehemaligen Hausbewohner Safwan Eid ausgesagt hatte, lieferte sogar eine wesentlich breitere Palette dessen, was er von dem Beschuldigten zu Brandbeschleunigern und Brandort gehört haben will. Dennoch wird der Sanitäter auch beim nächsten Prozeß um die Tatverantwortung gegen den Libanesen den einzigen Belastungszeugen abgeben.

"Eine bodenlose Entscheidung", reagierte Gabriele Heinecke, eine der beiden Verteidigerinnen Eids, auf den Lübecker Beschluß der vergangenen Woche. Auch sie hat nach den Erfahrungen mit den Staatsanwälten der Hansestadt wohl kaum damit gerechnet, daß die Ermittlungen gegen die Grevesmühlener zu einer Anklage führen. Dennoch sind mit der jetzt erfolgten Einstellung weitere Vorzeichen für den Prozeß gegen Eid gesetzt, der im Herbst vor dem Kieler Oberlandesgericht beginnen soll. Bereits vor wenigen Wochen wurde bekannt, daß beinahe alle Nebenkläger im Verfahren nicht zugelassen sind.

Demnach wird nur noch die Familie El Omari, die gegen den Freispruch Eids im Juli 1997 in die Revision gegangen war, auf der Nebenklage-Bank sitzen. Alle anderen Hausbewohner und Hausbewohnerinnen, die sich hinter Safwan Eid gestellt und am Prozeß beteiligt hatten, um die wahren Hintergründe des Anschlages herauszufinden, bleiben als Kläger außen vor.

Eine weitere Entscheidung setzt der Wahrheitsfindung neue Grenzen: Nach einer Verfügung der Lübecker Ausländerbehörde wurde Ende Mai der Flüchtling Victor Atoe in Abschiebehaft genommen. Der 38jährige hielt sich in der Brandnacht in der Unterkunft auf und verletzte sich damals schwer. Trotzdem wurde er als einziger der Überlebenden im Mai 1996 abgeschoben, kehrte aber jetzt, drei Jahre später, wieder nach Deutschland zurück.

Im Gegensatz zu allen anderen ehemaligen Bewohnern und Bewohnerinnen soll ihm das Bleiberecht versagt bleiben, das Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Januar verfügt hat. Mittlerweile sitzt Atoe bereits im Abschiebeknast in Eisenhüttenstadt und wartet auf seine "Rückführung" nach Nigeria - obwohl er als Zeuge im Brandprozeß geladen werden müßte.

Mit Zeugenvernehmungen muß sich der Lübecker Staatsanwalt Schultz ohnehin nicht mehr herumschlagen, nachdem das Revisionsverfahren gegen Eid in die schleswig-holsteinische Hauptstadt verlegt wurde. Und wenn alles gut läuft, muß er sich auch nicht mehr um die Grevesmühlener Tatverdächtigen kümmern. Auch wenn die Strafverfolger bis heute nicht erklären können, wie sich die jungen Männer in der Brandnacht ihre leichten Verbrennungen an Kopfhaaren, Wimpern und Augenbrauen zugezogen haben.

Daß Wotenow einen Hund angezündet und Burmeister gleichzeitig Opfer einer Stichflamme beim Mofa-Reparieren wurde, während sich Techentien - ebenfalls zur gleichen Zeit - beim Ofenanzünden verbrannt hat, könne "letztlich nicht zweifelsfrei widerlegt werden", meint Schultz. "Allein der Umstand, daß das zeitlich/örtliche Zusammentreffen von drei Personen mit Haarversengungen, die jeweils auf andere Art und Weise verursacht worden sein sollen, ungewöhnlich ist, vermag angesichts der anderen Feststellungen einen hinreichenden Tatverdacht nicht zu begründen." Noch Detailfragen?