Das Imperium schlägt alle

Italiens linke Kriegsgegner diskutieren den postfordistischen Krieg

Die Parole avancierte zum Erkennungszeichen der linken Anti-Kriegs-Bewegung: "Siamo in guerra" - Wir sind im Krieg. Seit dem 24. März erschien die kommunistische Tageszeitung il manifesto mit dieser Aussage, die zunächst lediglich eine Schlagzeile gegen den Euphemismus von der "humanitären Intervention" war, aber bald zur Kennung der täglichen Rubrik wurde, die sich der Berichterstattung, Kommentierung und Analyse des Kriegs in Jugoslawien widmete. "Siamo in guerra" enthält zugleich das Eingeständnis, das "humanitäre Massaker" (Rossana Rossanda) als "Krieg der Linken" zu begreifen.

Der Vorwurf des Verrats, des Renegatentums oder der Demenz des beteiligten Personals aus der politischen Linken hat in dieser Debatte eine untergeordnete Rolle gespielt. Eher dient der Topos vom "Krieg der Linken" dazu, die Auseinandersetzung zu politisieren und notwendige Trennungen zu ziehen. Rossana Rossanda etwa mahnt in einer Sonderausgabe von il manifesto an, die Kritik müsse an der Tendenz in der Linken, zum Staat zu werden, ansetzen. Zu berücksichtigen sei dabei die Frage, wie sich in der Geschichte des proletarischen Internationalismus Nationalstaaten und zudem auch nationale Bourgeoisien konstituierten.

Marco Revelli interessiert, anläßlich der zweitägigen Diskussionsveranstaltung "Cantiere di Pace" Anfang Juni in Venedig, das Zusammenspiel von "denen" - sozialdemokratischen Eliten, die für die Hardware des Kriegs, also Regierungen, Planungsstäbe und Streitkräfte, sorgen - mit Teilen "unserer Linken" - von Susan Sontag bis Daniel Cohn-Bendit, die die Software liefern, also Diskurse, Bilder, Werte und Moral. Und Franco Berardi, genannt Bifo, der in der 77er-Bewegung zum "kreativen" Flügel der Autonomia gehörte, entziffert bei einer Diskussion Ende Mai in Bologna in den "Gemetzeln des Idealismus" die ideologischen Traditionen des Antitotalitarismus, wie er von Ex-Maoisten wie Glucksmann vertreten wird. Deren Humanismus diene schon seit seiner Erfindung Mitte der siebziger Jahre der Denunziation der proletarischen und der antiautoritären Revolte gleichermaßen.

Der Eindruck, hier strapaziere eine in die Jahre gekommene "Neue Linke" das Publikum mit linken Glaubensfragen, trügt. Eher zeigt sich in den intellektuellen Lockerungsübungen der Versuch einer politischen Selbstüberprüfung. Darum geht es auch, wenn die in den vergangenen Jahren entwickelten Thesen und Analysen zum Postfordismus auf ihre Tragfähigkeit befragt werden: In diesem Sinn etwa fordert der Soziologe Aldo Bonomi in einem "Offenen Brief an die gesellschaftliche Linke", diesen Krieg "als gewollt und gezielt, als territoriale Intervention in Europa im Zeitalter der Globalisierung" zu erklären. Sein Kollege Marco Revelli spitzt diese These noch weiter zu, indem er den Krieg als die "extreme Synthese" des Postfordismus interpretiert.

Postfordistisch zu nennen sind nach Ansicht von Revelli bereits die Unbestimmbarkeit der zeitlichen und räumlichen Grenzen eines nichterklärten Kriegs (oder erklärten Nicht-Kriegs). Postfordistische Merkmale trägt die Regionalisierung universeller Rechte und die Universalisierung partikularer (etwa ökonomischer) Interessen. Postfordistisch ist auch eine Öffentlichkeit, die nicht die "totale Mobilmachung" kennzeichnet, sondern die flexible Verbindung aus lokaler Betroffenheit und globaler medialer Inszenierung, welche den Ort des Politischen verschwinden läßt.

Die eigentümliche Form des Krieges analysiert Revelli als Verdopplung: Auf der einen Ebene agiert ein militärisch-technologischer Machtapparat, der als totale informatisierte Kontrolle auf das Territorium zugreift. Die andere Ebene bildet eine lokale, nationalistische und rassistische Identitäten schaffende Operation im Territorium. So entsteht eine Militarisierung gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse von zwei Seiten, deren Massaker sich zudem gegenseitig (ver)decken.

Einen weiteren Aspekt der Kritik des postfordistischen Kriegs pointiert Toni Negri, Philosoph und früherer Theoretiker der Autonomia operaia. Seine Analyse geht aus von einem Paradigmenwechsel des Politischen: der Konstitution eines neuen Imperiums. Die Neuordnung läßt sich als Tendenz beschreiben, in der dem entgrenzten Weltmarkt auf der Ebene der politischen Macht ein autoritäres Pendant entsteht.

Die Agonie nationalstaatlichen Handelns führt, so Negri, zur Verschiebung der politischen Macht und Souveränität - und zwar zugunsten der bereits existierenden Macht, die gewillt und in der Lage ist, dem Markt mittels "Waffen und Geld" eine Konstitution zu garantieren. Weniger machiavellistisch ausgedrückt, heißt dies: die Verwertungsbedingungen des Kapitals und die Kooperationsbereitschaft der Subjekte sicherzustellen. Den jüngsten Krieg, so Negri, könne man folglich interpretieren als einen Weg, den die USA eingeschlagen haben, jene Konstitutionstendenz in ihrem Sinn zu forcieren.

Nach der Verfaßtheit der sich herausbildenden neuen Ordnung fragt der Philosoph Giorgio Agamben unter dem Aspekt der Mutation des Kriegs zur Polizeiaktion. In der neuen Weltordnung vollzieht sich der Übergang vom souveränen Recht zur souveränen Gewaltanwendung. Indem sie die Geltung des Rechts aussetzt und den Ausnahmezustand erklärt, gelangt die Souveränität, so Agambens These, an einen Punkt, wo Gewalt und Recht ununterscheidbar werden. Die imperiale Ordnung verlangt deshalb die Einsetzung des Souveräns als Büttel, die Polizeisouveränität. Die Feinderklärung richtet sich nicht mehr an eine - als gleich anerkannte - andere Souveränität, sondern eliminiert vielmehr alle Merkmale der Souveränität ebenso wie etwa die Unterscheidung zwischen Souverän und Untertanen, oder auch die zwischen Zivilisten und Soldaten, und kennt nur noch Delinquenten, Kriminelle. Gegen sie zielt die "nicht begrenzte" Gewalt der Polizeiaktion.

Die politisch-ökonomischen Interessen - ob im Bereich der Währungen, der Rohstoffe oder der Verfügung über die menschliche Arbeitskraft - , die in diesem Krieg eine Rolle spielen, problematisiert der Journalist Gianpaolo Capisani und betont, daß diese Interessen nicht im Rückgriff auf die Logik des "alten" Imperialismus zu analysieren sind. Zielte der imperialistische Krieg auf Expansion oder die Eroberung von Gebieten, so geht es im imperialen Krieg vor allem darum, eine Art territoriales Overlay zu erzwingen und die Kontrolle über die vielfältigen produktiven, politischen, sozialen Beziehungen, die innerhalb des Territoriums existieren, durchzusetzen.

Aldo Bonomi bezieht sich auf dieses Argument, wenn er gegen die romantisierende Vorstellung von den Traditionen proletarischer Macht in den Teilen der Linken polemisiert, die vor allem in Ländern des Ostens ein "Bollwerk" gegen den Neoliberalismus ausgemacht haben. Seine Analyse des "molekularen Kapitalismus" der lokalen Gemeinschaften im Territorium macht die postfordistische Transformation jener vormals proletarischen Zusammenhänge deutlich.

Im Territorium entfalten und überlagern sich zwei Arten von produktiven und sozialen Netzwerken: zum einen die Netzwerke der lokalen Produktion, die vielen Kleinstbetriebe und Klitschen und deren soziale Verbindungen; zum anderen globale Netzwerke für Information, Logistik, Finanzen, Transport etc. Die Ausbreitung und das Zusammentreffen der Netzwerkstrukturen führen zu Konflikten. In ihnen geht es um den Zugriff auf die lebendige Arbeit, um Einschluß und Kontrolle, Herrschaft und Ausbeutung, um Regime von Identitäten und Grenzen.

Genau dieses Zwangsregime der Identitäten und Grenzen, das machen die Debatten der linken Kriegsgegner deutlich, bildete den zentralen Einsatz dieses Kriegs. Es besteht daher ein breites Einverständnis, daß die Kritik daran in eine Perspektive politischer Praxis münden müsse, welche nur umschrieben werden könne mit: Die Grenzen auf, die Lager weg! Oder wie Bifo erklärte: "Die Frauen und Männer (aus Serbien, aus Kosovo, und nicht nur sie, sondern alle) haben das Recht zu gehen, wohin sie wollen." Weggehen, desertieren, sich verweigern, so buchstabiert Negri die Perspektive der Kämpfe um gesellschaftliche Befreiung gegen die imperiale Neuordnung. Das Lagerregime bekämpfen hieße, an diesem speziellen Punkt die Möglichkeiten der Subversion auszuloten.