Frieden mit Gewähr

Die UCK läßt sich so einfach nicht entwaffnen.Schließlich mausert sie sich zur Vormacht im Kosovo

Trotzig stemmte sich der Kommandant des deutschen Sektors im Kosovo, Rolf Bescht, gegen das Unvermeidliche: "Wir sind hier die einzige Autorität und nicht die UCK." Doch die UCK kann dem wenig abgewinnen. Ihre Kämpfer haben seit dem Abzug der jugoslawischen Truppen aus dem Kosovo das entstandene Machtvakuum recht ordentlich ausgefüllt und fühlen sich zumindest bisweilen als die legitimen Herrscher des Landstriches.

In der Stadt Prizren hat der selbsternannte kosovo-albanische "Premierminister" Hashim Thaqi einen der Seinen zum Kommandanten ernannt. Rexhem Ekrem, von seinen Mannen liebevoll "Kommandant Drini" genannt, hat in einer Villa Prizrens Quartier bezogen. Er weiß um die breite Machtbasis der UCK und hält nicht viel von den autoritären Gelüsten der militärischen Konkurrenz Kfor: "Wenn man sagt, daß der eine den anderen kommandiert, klingt das für den anderen nicht so gut", philosophiert Drini und beeindruckt damit zumindest die drei UCK-Bodyguards hinter ihm. Die deutschen Besatzer gehen etwas zaghaft vor bei der Entwaffnung der ehemaligen Guerillas. Und das Selbstbewußtsein der UCK wird auch nicht durch den Protest der Uno eingeschränkt, die sich darüber erregte, daß die Inbesitznahme administrativer Macht durch die UCK "illegal" sei.

Auch Grenzkontrollen werden inzwischen von UCK-Trupps durchgeführt: Am Grenzübergang Morina haben die Einheiten der "Befreiungsarmee" die Geschäfte übernommen. Business as usual, sollte man meinen. Doch am letzten Wochenende sollte alles anders werden. Da gab sich der deutsche Kommandant des Sektors einen Ruck und handelte mit den Kommandanten ein Abkommen aus: Die UCK sollte alle ihre Waffen abgeben, ebensowenig sollen in Zukunft ihre Uniformen in den Straßen Prizrens geduldet sein.

Doch es ist schwer absehbar, ob Kommandant Drini und seinen Mannen tatsächlich die Resozialisierung über sich ergehen lassen werden. Zumindest der bisherige EU-Vermittler für das Kosovo und wahrscheinlich künftige Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch bezweifelt das: "Das Problem liegt weniger bei der politischen Führung als bei den lokalen Kommandanten. Die sind nicht darauf vorbereitet, politische Strukturen aufzubauen", so Petritsch gegenüber Jungle World.

Außerdem befürchtet der österreichische Diplomat, die UCK könnte durchaus diktatorische Gelüste zeigen. "Ich kenne ja diese ganzen Typen, von einer Demokratie ist da keine Spur." Mittelfristig könnte die UCK gar ihren Nimbus als Befreiungsarmee unter der zivilen kosovo-albanischen Bevölkerung verlieren. Immerhin ging die Truppe bislang mit vermeintlichen Kollaborateuren ebensowenig nachsichtig um wie die serbischen Einheiten dies taten. Neben von den serbischen Militärs hinterlassenen Massengräbern entdeckten am Freitag deutsche Soldaten der Kfor-Truppe in Prizren eine ehemalige Folterkammer der UCK. Ein 70jähriger Mann wurde mit den Spuren schlimmster Mißhandlungen tot aufgefunden, 15 weitere verletzte Albaner und Roma lagen in den provisorischen Verliesen herum. Mittlerweile mehren sich Berichte über gezielte UCK-Übergriffe gegen die im Kosovo ansässigen Roma, und erste Warnungen vor einer Massenflucht der Minderheit kursieren.

Der Kosovo-Präsident Ibrahim Rugova kann den UCK-Herrschern nur noch wenig entgegensetzen. Die Tendenzen zu einer Palastrevolte innerhalb der LDK verstärken sich: "Erst vor einigen Wochen versuchten einige Mitarbeiter Rugovas, den Präsidenten loszuwerden. Sie haben es nicht ganz geschafft", erzählt Petritsch. Daher sei die Unterstützung Rugovas durch die europäischen Mächte auch nur noch symbolisch: Man wolle einfach den UCK-Anführern zeigen, daß der Westen den gewaltlosen Weg Rugovas mehr schätze. Doch das ist auch schon die einzige Unterstützung für den Gescheiterten: "Zwei Drittel der kosovo-albanischen politischen Landschaft unterstützen inzwischen direkt oder indirekt die UCK."

In dieser Woche noch werden Petritsch und der britische Außenminister Robin Cook in Pristina mit Hashim Thaqi zusammentreffen. Dabei wollen sie ihm etwas vorschlagen, was über die Demilitarisierung der UCK hinausgeht: Binnen drei Monaten sollen die Kämpfer ihre Waffen abgeben und sich in den von den internationalen Organisationen vorgegebenen demokratischen Prozeß eingliedern. Dazu gehört nach dem Willen des Westens auch die Mutation von 3 000 ehemaligen UCK-Pistoleros zu regulären Polizisten. Die werden dann unter Aufsicht der Kfor die undankbare Aufgabe haben, nicht nur die eigenen Landsleute, sondern auch serbische Zivilisten im Kosovo zu beschützen.

Unterdessen gibt sich Thaqi gegenüber den westlichen Rettern versöhnlich. Bei seinen Gesprächen mit Petritsch versicherte Thaqi, die UCK werde "an den Prinzipien des Abkommens von Rambouillet" festhalten. Das ist mitnichten eine gute Nachricht: Anders als der nun implementierte G 8-Friedensplan sieht der Vertrag von Rambouillet nach einer gewissen Übergangszeit ein Referendum über den künftigen Status des Kosovo vor. Wie solch ein Referendum in einer beinahe 100-prozentig von Kosovo-Albanern bewohnten Provinz wohl ausgehen wird, ist nicht allzu schwer zu prognostizieren.

Besonders, weil der Anteil der Serben an der Bevölkerung von Tag zu Tag weiter schrumpft. Erst am Samstag fuhr ein knapp 60 Kilometer langer Konvoi serbischer Flüchtlinge auf die serbische Stadt Nis zu. Doch die Flucht vor dem von Milosevic proklamierten "Sieg" wird in Serbien verschleiert: Knapp hinter der Grenze des Kosovo zu Serbien haben jugoslawische Armeeeinheiten nun eine neue Aufgabe darin gefunden, die kilometerlangen Konvois zu teilen. Der serbischen Bevölkerung soll nicht auffallen, daß ihr Präsident Milosevic doch nicht so einen grandiosen Erfolg mit seiner Taktik hatte. Nicht einmal bis Belgrad kommen die Serben. 15 Kilometer von der Hauptstadt entfernt werden sie umgeleitet.

Bloß die serbisch-orthodoxe Kirche hat das Flüchtlingsproblem inzwischen erkannt. Am Freitag übersiedelte der serbisch-orthodoxe Patriarch Pavle kurzfristig ins kosovo-albanische Pec. In einer Ansprache vor den wenigen verbliebenen serbischen Zivilisten sagte er: "Ich bitte euch, meine Brüder und Schwestern, die ihr hier im Kosovo lebt und leidet, verlaßt euren althergebrachten Herd, eure Heiligtümer nicht." Gleichzeitig versicherte der populäre Greis, er werde bis auf weiteres in Pec bleiben.

Doch selbst seine engsten Brüder und Schwestern zieht es nach Serbien. Einen Tag zuvor war der Bischof von Prizren, Artemije Radoslaljevic, nach Belgrad geflohen. UCK-Einheiten hatten ein Nonnenkloster in der Nähe Prizrens verwüstet und mehrere Nonnen vergewaltigt.

Die Kirche hat sich inzwischen mit dem Verlust der jugoslawischen Autorität abgefunden, obgleich sie betont, die "weltliche Obrigkeit" sei für sie "unwesentlich". Pavle setzt sich in Pec dafür ein, den Zugang zu den traditionsreichen Klöstern für die Gläubigen zu gewährleisten. Ihm schwebt ein ähnliches Modell wie jenes von Jerusalem vor, wo für christliche Kultobjekte ebenfalls ein uneingeschränkter Zugang gewährleistet ist.

Obwohl die Kirche in den letzten Tagen den Rücktritt von Slobodan Milosevic forderte, kritisiert sie auch die Kfor: "Ich bin kein Optimist, was die Zukunft der Serben im Kosovo angeht. Das entstandene Vakuum zwischen dem Rückzug der jugoslawischen Armee und dem Einmarsch der Kfor hat die UCK ausgenützt, um die Bevölkerung zu terrorisieren", erklärte etwa Erzbischof Amfilohije.

Dafür entsteht im Kosovo gerade das nächste Vakuum: Nach Angaben des Flüchtlingshochkommissariats der Uno, UNHCR, sind bis Samstag abend rund 60 000 Serben aus der Provinz geflohen. Geht der Exodus so weiter, hat sich die Frage des künftigen Zusammenlebens zwischen Serben und Albanern in rund einem Monat von selbst erledigt.

Zumindest mit Rußland haben die Nato-Staaten nach einwöchigen Marathonverhandlungen eine Vereinbarung erreicht. Das war nach dem überraschenden Einmarsch der russischen Truppen ins Kosovo nicht ganz komplikationslos, aber der russische Staat braucht schließlich IWF-Kredite und will seinen horrenden Schuldenberg neu verhandeln.

Einen eigenen russischen Sektor im Kosovo wird es nun nicht geben. Bis zu 3600 russische Soldaten sollen an der Kfor beteiligt werden, und zwar in den Sektoren der USA, Frankreichs und Deutschlands sowie am Flughafen von Pristina. Die Kfor wird ein einheitliches Kommando haben, die russischen Soldaten sollen aber unter der politischen und militärischen Kontrolle Rußlands verbleiben - wie immer das aussehen mag. Nachdem die Vereinbarung unter Dach und Fach war, meinte US-Präsident Clinton hoffnungsfroh, die Präsenz russischer Truppen werde sich "beruhigend" auf die serbische Minderheit auswirken. Soweit sie noch da ist.