Kamelle für die Welt

Karneval der Weltwirtschaft: In Köln berieten die reichsten Industriestaaten über Schuldenerlaß, Balkan-Hilfe und die instabilen Finanzmärkte

Der Wirtschaftsgipfel der wichtigsten kapitalistischen Metropolen (G 7), diesmal in Köln, hat Tradition. Seit der Eröffnung dieser Beratungsrunden nach der Weltwirtschaftskrise 1974 blieben wirksame Beschlüsse die Ausnahme. Die Gipfeltreffen waren meist ein weltweites Medienereignis mit einfacher Absicht: Erfolgreiche Wirtschaftspolitik - so die Politiker-Philosophie - besteht zu mehr als 50 Prozent aus Psychologie.

Die Regierungs- und Staatschefs orientierten sich an diesem Motto. Mit massiver Seelenmassage der wichtigsten gesellschaftlichen Akteure wie Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften sollte die Weltkonjunktur stabilisiert und das Wirtschaftswachstum vorangebracht werden. Die Ergebnisse fielen entsprechend aus. Von einer Rückkehr zu den Zeiten stabiler fordistischer Kapitalakkumulation kann keine Rede sein.

Wenn schon keine neuen Wirtschaftswunder zu erwarten sind, wollen die Chefs der wichtigsten kapitalistischen Länder wenigstens mit der "Kölner Schuldeninitiative" Eindruck schinden. So will Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Initiative nach dem Kosovo-Krieg weltmännisches Format beweisen. Was als großzügiges Geschenk der reichen Industrienationen präsentiert wird, erweist sich hinter den Gipfelkulissen und beim Kleingedruckten jedoch als hartes Geschäft. Die etwa 160 unterentwickelt gehaltenen Länder stehen bei den kapitalistischen Metropolen mit rund 2 500 Milliarden Dollar in der Kreide und haben wegen des harten Schuldenregimentes kaum wirtschaftliche oder gesellschaftspolitische Spielräume.

Die 36 ärmsten Ländern sollen nun eine deutliche Erleichterung durch den Schuldenerlaß erhalten. Die G 7-Staaten müßten dabei etwa 70 Milliarden Dollar abschreiben, wobei die Hauptsumme von 40 bis 50 Milliarden Dollar von internationalen Finanzagenturen zu verdauen wäre. Damit wird allerdings nicht die Schuldsklaverei schrittweise aufgehoben, sondern Voraussetzung für die Neuverschuldung geschaffen.

Während Initiator Gerhard Schröder den reichen Onkel mimte, wurde hinter den Kulissen um die Konditionen gefeilscht. Präziser heißt dieser Punkt daher: konditionierter Schuldenerlaß. Die Beschenkten müssen sich einige Jahre lang durch Reduzierung der öffentlichen Defizite, radikalere Marktöffnung und Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität würdig erweisen, daß sie den Erlaß auch verdienen.

Die Entschuldung der Länder an der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems könnte in der Tat ein Auftakt für eine qualitativ andere Entwicklung der Globalökonomie sein. Solange aber die Rohstoffpreisdiktate der kapitalistischen Metropolen anhalten und sie nicht einmal ihre selbst gesetzten Normen - 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - für öffentliche Entwicklungshilfe einhalten, bewirkt der konditionierte Schuldenerlaß bestenfalls eine kleine Atempause für die strangulierten Länder. Weil der Großteil der Schuldeninitiative unmittelbar von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds finanziert und kontrolliert werden, haben die USA auch in dieser eher nebensächlichen Frage ihre Hegemonie ausgespielt und Bundeskanzler Schröder seine Medien-Show gelassen.

Auch bei dem zweiten Haupttagesordnungspunkt, dem Kosovo-Krieg, bestimmten die USA den Beratungsverlauf. Auf der einseitigen Rechnung für den zweimonatigen Bombenkrieg und die Kosten für die nachfolgende militärische Besetzung des Kosovo will die Führungsmacht nicht sitzen bleiben. "Burden-sharing", also Kostenbeteiligung, ist angesagt, und schließlich sind die USA im Golf-Krieg mit ihrer Abrechnung (Gesamtkosten 60 Milliarden Dollar) durch Umverteilung ganz gut gefahren.

Wer für das Kosovo und die gesamte Balkan-Region eine multi-ethnische und multi-religiöse Zukunft will, der muß sich allerdings auch über die weitere wirtschaftliche Entwicklung Gedanken machen und konkrete Projekte finanzieren. Auch hier hat die Kölner Gipfelberatung höchstens eine Eingrenzung der Probleme gebracht. Die Mindestsumme für das Kosovo wird mit fünf Milliarden Dollar veranschlagt, für die Anrainerstaaten müßten weitere 25 bis 30 Milliarden Dollar locker gemacht werden.

Eine Hilfe für das zerstörte Jugoslawien steht für die reichen Führungsmächte offiziell nicht zur Diskussion, weil noch kein radikaler politischer Wechsel in der Bundesrepublik Jugoslawien absehbar ist. Zumindest der Rücktritt von Präsident Milosevic ist Vorbedingung für entsprechende Hilfs- und Entwicklungsoperationen.

Weitaus mehr Probleme bereitet Rußland. Das Land will und braucht rasch einen IWF-Kredit, mindestens in der Höhe der früher bereits zugesagten 4,5 Milliarden Dollar. Außerdem sollen die reichen Metropolen (G 7) der maroden Weltmacht, die seit 1994 meist am Katzentisch bei den Weltwirtschaftsgipfeln beteiligt ist, durch großzügige Umschuldung den drohenden Staatsbankrott abwenden. Auch hier ist der Club der Reichen wenig geneigt, die Schuldsklaverei deutlich abzumildern oder gar zu beenden. Rußland steht im kapitalistischen Ausland mit 170 Milliarden Dollar in der Kreide. Zugleich wird aber das Volumen des russischen Geldvermögens, das illegal auf den internationalen Finanzmärkte angelegt ist, auf eine ähnliche Größenordnung taxiert. Ohne entsprechende Steuergesetze wollen die kapitalistischen Kreditgeber aber kein "fresh money" herausrücken. Doch Rußland war bislang erfolgreich im Tauschgeschäft von politischen Zugeständnissen gegen Erleichterung bei der Schuldentilgung.

All diese Verhandlungspunkte sind freilich Peanuts gegenüber den Ungleichgewichten in der Ökonomie der drei großen Wirtschaftsblöcke und der anhaltenden Instabilität des internationalen Finanzsystems. Ein weiteres Mal wird der Öffentlichkeit das vom Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer ausgeheckte "Forum für Finanzstabilität" verkauft. Denn angesichts der krassen Handels- und Leistungsbilanzunterschiede in der Triaden-Ökonomie müßte höchste Alarmstufe herrschen. Schon jetzt bewegt sich die US- Handelsbilanz auf Rekordniveau in roten Zahlen, und eine weitere Verbesserung der japanischen Unternehmen im Wettbewerb wäre weder wirtschaftlich noch politisch zu verdauen.

Aber die dunklen Wolken können auch die Kölner Gipfelteilnehmer mit bloßer Rhetorik nicht verscheuchen. US-Notenbankchef Alan Greenspan hat eine Erhöhung der Zinssätze als unvermeidlich angekündigt, zugleich bringt die Abschwächung der US-amerikanischen und weltwirtschaftlichen Konjunktur erheblichen Druck auf die Profitraten der US-Konzerne. Schon eine vorsichtige Korrektur der US-Aktienkurse muß drastische Auswirkungen auf den konjunkturstabilisierenden Kaufrausch in den Vereinigten Staaten haben. Hintergrund der Konsumwelle sind die massiv gestiegenen Aktienwerte in den USA, die sich dort bei den oberen sozialen Schichten angesammelt haben. Von 1990 bis April 1999 wird die Wertsteigerung für US-Aktien von 2 800 Milliarden Dollar auf 12 550 Milliarden Dollar taxiert.

Steigende Zinsen und fallende Unternehmensgewinne könnten nun zu einer Korrektur bei diesen "capital gains" und zu einer Konjunkturabschwächung oder Rezession führen. Der US-Konjunktur würde schlagartig der Dampf ausgehen.

Aber diese Botschaft taugt nicht für die Gipfel-Show. Und ob die in der politischen Auseinandersetzung gegenüber der modernisierten Sozialdemokratie von New-Labour-Chef Tony Blair und SPD-Boß Schröder unterlegene alte Linke der Nachfragepolitik eine wirkliche Verbesserung hätte herbeiführen können, ist eine offene Frage.