Pristina statt Pirmasens

Drei Jahre dürfen die geflohenen Kosovo-Albaner in Skandinavien bleiben: Deutschland und Großbritannien wollen sie möglichst schnell loswerden

Das rot-grüne Deutschland ist großzügig. Während der Berliner Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und sein bayerischer Kollegen Günther Beckstein (CSU) fordern, die 15 000 in Deutschland lebenden Kosovo-Flüchtlinge sollten möglichst schnell zurück aufs Amselfeld, will Innenminister Otto Schily (SPD) noch abwarten.

Mit einem Beginn der Rückkehr könne frühestens ab Beginn des nächsten Jahres gerechnet werden, zuvor müsse geklärt werden, wie die Lebens- und Wohnbedingungen vor Ort im Kosovo aussehen und wie es um die Sicherheit bestellt sei. Im übrigen gelte für ihn die von Uno-Flüchtlingskommissarin Sagato Ogata vorgegebene Linie - "Rückführung der Flüchtlinge so zügig, aber zugleich so geordnet wie möglich". Vor einer Rückkehr der Flüchtlinge aus Deutschland sollten zunächst die nach Mazedonien und Montenegro Geflohenen zurückkehren.

Nach dem Mitte Mai vorgestellten Vier-Phasen-Plan des Uno-Flüchtlingskommissariats UNHCR für eine Rückkehr von bis zu 1,5 Millionen Kosovo-Albanern sollen sich nach Beendigung des Krieges zunächst Hilfsorganisationen ein Bild von der Zerstörung und den humanitären Bedürfnissen der dort verbliebenen Bewohner machen.

Die zweite Phase sieht vor, daß humanitäre Organisationen in das Kosovo zurückkehren und zunächst versuchen, die Situation der Bevölkerung im Land selbst zu verbessern. Außerdem sollen sie den ersten Flüchtlingen, die auf eigene Faust zurückkehren, Hilfe leisten. Erst in der dritten Phase werden dann die außerhalb des Kosovo befindlichen Flüchtlinge registriert und nach und nach zurückgebracht. Vorrang haben dabei die Flüchtlinge in der Region. In der vierten Phase schließlich sollen die zurückgekehrten Flüchtlinge sozioökonomisch wieder eingegliedert werden.

Die Lage der Flüchtlinge ist in den einzelnen Regionen und Staaten sehr unterschiedlich. Seit Kriegsausbruch haben bis Anfang Juni nach Angaben des UNHCR 900 000 Albaner das Kosovo verlassen. Albanien nahm bisher eine halbe Million Flüchtlinge auf, Mazedonien etwa 300 000. Die Situation in den Lagern ist katastrophal. Die Flüchtlinge dürfen dort nur mit besonderen Genehmigungen die Lager verlassen, über 100 000 haben aber Aufnahme in Familien gefunden, so daß sie sich relativ frei bewegen können.

Montenegro und Bosnien-Herzegowina nahmen bisher 65 000 bzw. 21 500 Flüchtlinge auf. Weitere 500 000, denen bevorzugt geholfen werden soll, sind innerhalb des Kosovo auf der Flucht. Da das Kosovo in weiten Teilen zerstört ist, rechnete das UNHCR noch vor einem Monat damit, daß weitere Hunderttausende Flüchtlinge nach dem Friedensschluß die serbische Provinz verlassen wollen - das Gegenteil ist der Fall. Und: Von einer geordneten Rückkehr der Kosovo-Albaner kann keine Rede sein.

In den am Krieg beteiligten Staaten haben rund 80 000 Flüchtlinge Aufnahme gefunden, darunter jeweils 6 000 in den USA, Kanada, Norwegen und Italien, 8 000 in der Türkei, 14 000 in Deutschland und 4 000 in den Niederlanden. Mit allerdings sehr unterschiedlichen Aufnahmebedingungen. In Großbritannien werden die Flüchtlinge kaserniert und bekommen lediglich Sachleistungen nach deutschem Vorbild. Ob sie längerfristig im Land bleiben können, ist noch unklar.

Anders in Skandinavien: In Schweden und Norwegen haben die Flüchtlinge die Möglichkeit, sich Arbeit zu suchen und bekommen volle Sozialleistungen. Das Modell des temporären Schutzes dort bedeutet, daß sie sich drei Jahre lang im Land aufhalten können und sich dann entscheiden müssen, ob sie bleiben oder zurückkehren wollen.

Die deutsche Politik gegenüber den Flüchtlingen zeichnet sich dagegen durch offene Ablehnung aus. Von gesicherten Rechten oder einer klaren Perspektive wie in anderen Ländern ist nichts zu entdecken. Innenminister Schily wies das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge an, nicht über Asylanträge von Flüchtlingen aus dem Kosovo und anderen Teilen Jugoslawiens zu entscheiden. Verschiedene Verwaltungsgerichte hatten zuvor entschieden, daß Kosovo-Albaner als Gruppenverfolgte anzuerkennen seien.

Flüchtlinge aus dem Kosovo seien nicht Opfer allgemeiner Kriegsereignisse, sondern hätten als aus ethnischen Gründen Verfolgte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Noch bis Mitte März 1999 hatten deutsche Verwaltungsgerichte sich auf Berichte des Auswärtigen Amtes berufen, nach denen eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende Verfolgung im Kosovo nicht festzustellen sei.s

Der Sprecher von Pro Asyl, Heiko Kaufmann, dazu: "Es könnte in Mode kommen, daß das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen erst beim Nato-Hauptquartier nachfragt, ob man eventuell gedenkt, mit einer humanitären Intervention Flüchtlingen den Weg zurück nach Afghanistan, in den Irak oder in die Türkei freizubomben, bevor man über Asylanträge entscheidet."

Die Flüchtlinge aus dem Kosovo werden nach Paragraph 32a Ausländergesetz als Kriegsflüchtlinge eingestuft. Damit können sie weder Asyl beantragen noch einen unabhängigen Aufenthaltsstatus beantragen. Sie haben zwar im Gegensatz zu Asylbewerbern die theoretische Möglichkeit, sich Arbeit zu suchen, durch den unsicheren Status aber praktisch keine Chance, einen Job zu finden.

Flüchtlinge, die nicht "albanischstämmig" sind - wie zum Beispiel serbische Deserteure - genießen keinen Schutz. Diese Politik führt dazu, daß einerseits Flüchtlinge aus dem Kosovo, die schon vor Kriegsausbruch angekommen sind, ausreisepflichtig sind, andererseits aber aus Flüchtlingslagern neue Flüchtlinge nach Deutschland geflogen werden.

Deutschland setzt damit unter der rot-grünen Regierung die Politik der faktischen Abschaffung des Asylrechts fort. Mit politisch Verfolgten wird eine Ethnopolitik betrieben, die den strategischen Interessen Deutschlands gehorcht. Flüchtlinge fliehen in dieser Logik nur noch, um mit Hilfe Deutschlands und der Nato wieder zurückkehren zu können - in "Schutzzonen", in denen unter internationaler Kontrolle nicht zuletzt die deutsche Politik darüber mitbestimmen kann, wer die Hilfsgüter bekommt, wer für die aufzubauende Verwaltung rekrutiert und welche Ethnie wo angesiedelt wird.