Drogentest und Arbeitszwang

Die Reform der Sozialhilfe in den USA trifft vor allem alleinerziehende Frauen

Wie drängt man Sozialhilfeempfänger in Billiglohnjobs? Eine wichtige Frage, die vom BDI über die Sozialdemokraten bis zu neoliberalen Grünen diskutiert sein will. Und es gibt ein großes Vorbild: William Clintons Sozialprogramme. "Workfare" statt "welfare" ist das Stichwort, das Ziel: "To end welfare as we know it." Zeit also, eine vorläufige kritische Bilanz zu ziehen.

Zumindest für die US-Bundesstaaten hat sich die Sozialhilfe-Reform von 1996 in der Tat gelohnt: Bis zu 90 Prozent sanken die Ausgaben für die wichtigsten Sozialhilfeprogramme in Staaten wie Wisconsin nach Anwendung des runderneuerten Gesetzes. In diesem Staat wurde das neue Konzept der Sozialhilfe erfunden und zuerst umgesetzt.

Wie auch auf nationaler Ebene traten hier die Demokraten mit dem Anspruch an, Sozialhilfe als dauerhafte Unterstützung für Arme abzuschaffen. Die Zahlen der Empfänger fielen so drastisch, daß die im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel für Sozialhilfe von der Hälfte der Bundesstaaten nur teilweise abgerufen wurden.

Natürlich ist die Armut nicht beseitigt worden. Aber die Staaten gewähren weniger Hilfe, weil die Bundesstaaten die Bundesmittel mit Geldern aus dem eigenen Haushalt ergänzen müssen. Daher zieht es etwa West Virginia, einer der ärmsten Bundesstaaten, vor, 65 Prozent der bereitgestellten Mittel nicht anzufordern.

Hinter dem Programm steckt die Vorstellung, daß Armut vor allem ein moralisches Problem sei, kurz: daß die Bezieher staatlicher Unterstützung in Wirklichkeit gar keine Arbeit suchen würden. Früher mußten Arme in den USA Steine klopfen, um ihre Bereitschaft unter Beweis zu stellen, bevor sie Hilfe bekamen. Heute müssen sie für den freien Arbeitsmarkt trainieren und sich so schnell wie möglich einen Job verschaffen. Um sicherzustellen, daß potentiell alle SozialhilfeempfängerInnen auf dem Arbeitsmarkt untergebracht werden können, haben einige Staaten wie etwa Michigan einen Drogentest eingeführt. Fällt der positiv aus, muß sich der oder die Betroffene einer Therapie unterziehen, um weiter Geld zu erhalten.

Kern der neuen Sozialhilferegelung sind die strengen Zeitlimits, die eingeführt wurden. Es kann nur noch zwei Jahre lang am Stück Sozialhilfe bezogen werden, und nur noch fünf Jahre insgesamt.

Die brachiale Bestimmung zeigt Wirkung. Betroffen sind von der neuen Regelung hauptsächlich unverheiratete Mütter mit Kindern. Denn Sozialhilfe in den USA wurde in der Regel nur im Rahmen des AFDC-Programmes (Aid for Families with Dependent Children) an Erwachsene mit minderjährigen Kindern gezahlt. Einerseits konnte sich die Politik in den USA nie entschließen, alle Bedürftigen zu unterstützen: Sie könnten ja für sich selbst sorgen, so die weitverbreitete Ideologie; was für Kinder aber nicht behauptet werden kann.

Andererseits äußerten die Konservativen permanent den Verdacht, daß Frauen nur deshalb Kinder bekämen, weil sie dann Sozialhilfe beantragen könnten. Der Staat fördere daher durch die Sozialhilfe die Geburt unehelicher Kinder, die in Armut aufwachsen müßten und ohne Vater kein männliches Vorbild hätten.

Noch in den achtziger Jahren hatten die Demokraten die Sozialhilfe gegen Streichungsvorschläge aus konservativen Kreisen verteidigt. Dann aber wurde die härteste Reform seit Bestehen US-amerikanischer Sozialprogramme von den Demokraten durchgesetzt.

Diese Wende in der Politik der Demokratischen Partei beruhte hauptsächlich auf einem Einstellungswechsel bei den Wählerinnen. Bei den letzten Wahlen in den USA votierten die Frauen mehrheitlich demokratisch, die Männer mehrheitlich republikanisch. Umfragen ergaben, daß Frauen gegen einen weiteren Abbau der Bildungs- und Sozialausgaben votierten. Die von ihnen unterstützten Sozialprogramme waren allerdings die Renten und die Krankenversicherung für Rentner und nicht die Sozialhilfe - und so kam es dann nur dort zu Einschnitten.

Ein Grund für das Umschwenken der Demokraten wird in der gewandelten Einstellung zur Frauenarbeit vor allem bei den Frauen selbst gesehen. Weil inzwischen sehr viele Frauen aus den Mittelschichten arbeiten, auch wenn sie Kinder haben, soll das gleiche auch von Sozialhilfeempfängerinnen geleistet werden. Weil Arbeit in den neunziger Jahren zur Bedingung der Selbstverwirklichung der Frauen umgewertet wurde, entfiel die politische Unterstützung für ein Sozialprogramm, das es Frauen ermöglichte, zu Hause zu bleiben und nur die Kinder zu betreuen.

Die Bedingungen der Sozialhilfe, sofern sie überhaupt noch bezogen werden kann, wurden daher den Vorschriften für den Mutterschutz angepaßt. Zwölf Wochen nach der Geburt, zu dem Zeitpunkt also, zu dem andere arbeitende Frauen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren müssen, wird auch die Zahlung der Hilfe eingestellt. Die betroffenen Frauen sollen ihr Kind in eine Kinderkrippe bringen und sich Arbeit suchen.

Damit hat eine Wende in der US-Sozialpolitik stattgefunden. Der traditionell knauserige US-Staat hat die soziale Unterstützung für eine Gruppe gestrichen, die seit dem 19. Jahrhundert auf Hilfe hoffen konnte: die Mütter. Das überaus löchrige Netz der sozialen Sicherung hat in den USA seit 1848 zwei Gruppen finanzielle Unterstützung gewährt: alten Männern, vor allem Kriegsveteranen, und dadurch mittelbar oft auch deren Frauen, sowie alleinerziehenden Müttern.

Mütter waren das klassische Beispiel für "unschuldig in Not Geratene", denen mit gutem Gewissen geholfen werden konnte. Sie gerieten in Bedrängnis, so die allgemeine Auffassung, weil sie wegen ihrer Erziehungsaufgaben keine ausreichenden Löhne erzielen konnten, um eine Familie zu ernähren. Und es war nicht erwünscht, daß sie ihre Kinder in staatliche Betreuung gaben. Dies wäre für den Staat auch kostspieliger gewesen. Daher wurde die weibliche Reproduktionsarbeit in Form von Kindererziehung durch staatliche Mittel gefördert.

Diese Arbeit wird nun nicht mehr als gesellschaftlich wertvoll eingeschätzt - was zählt, ist die Erwerbsarbeit. Während die Ausgaben für Sozialhilfe stark sanken und noch weiter sinken sollen, wurden daher die Mittel zur Aufstockung niedriger Erwerbseinkommen erhöht. Schließlich sollen nur noch diejenigen staatliche Unterstützung in Form von Lebensmittelmarken bekommen, die ein Einkommen aus Arbeit nachweisen können.

Die Sozialhilfe hat es den Frauen jedoch nicht wirklich ermöglicht, zu Hause zu bleiben. Die Geldzahlungen und Essensmarken (Food stamps) im nunmehr abgeschafften AFDC-Programm waren auch in großzügig zahlenden Bundesstaaten nicht ausreichend, um alleine davon überleben zu können. In einer bemerkenswerten, 1997 veröffentlichten Studie wiesen die Sozialwissenschaftlerinnen Kathryn Edin und Laura Lein nach, daß nur durch die Kombination eines Jobs mit der Sozialhilfe das Existenzminimum gesichert werden konnte.

Die Autorinnen befragten eine Reihe von Frauen, die zu einem Teil Sozialhilfe bezogen, zu einem anderen in schlecht bezahlten Jobs arbeiteten. Sie stellten fest, daß alle Frauen, die Sozialhilfe bezogen, auch einen dem Sozialamt nicht gemeldeten Job hatten. Bis auf eine Ausnahme: Diese Frau war von ihren Nachbarn mehrfach wegen Kindesmißhandlung angezeigt worden, weil ihre Kinder chronisch unterernährt waren. Die Autorinnen stellten zudem fest, daß es den Frauen, die Job und Sozialhilfe kombinierten, gesundheitlich deutlich besser gehe als denen, die nur arbeiteten. Die nämlich hatten in der Regel keine Krankenversicherung und waren zum Teil ebenfalls unterernährt.

Diese Studie erklärt, warum "plötzlich" nach Einführung der Welfare-Reform alle einen Job haben: Sie hatten ihn bereits vorher, müssen ihn nun aber melden, um staatliche Unterstützung zu bekommen. Allerdings geraten sie dann in noch größere finanzielle Bedrängnis: Nun müssen sie Steuern zahlen. Und die Einkommen, die im untersten Lohnsektor in den USA verdient werden können, reichen zumeist schon für eine Person nicht aus - das alte Problem der "working poor".

Eine Folge der Politik, Unterstützung nur noch gekoppelt mit Lohnarbeit zu gewähren: Im Dienstleistungsbereich konnten die Löhne in den letzten Jahren um durchschnittlich 20 bis 30 Prozent abgesenkt werden.

Auch in der in diesem Jahr noch zur Debatte stehenden deutschen Sozialhilfereform sind Elemente der Welfare Reform enthalten: Eine Lebenszeitkappungsgrenze soll eingeführt, Geldleistungen sollen mehr und mehr durch Sachleistungen ersetzt, Trainingsprogramme für arbeitslose Sozialhilfeempfänger sollen zur Pflicht, die Pflicht zur Zwangsarbeit in kommunalen Beschäftigungsgesellschaften soll weiter ausgedehnt werden.

Die Folgen dürften ähnlich sein wie in den USA: steigender Druck auf alleinerziehende Frauen - der größten Gruppe derjenigen, die längerfristig Sozialhilfe beziehen - und auf Immigranten, sich noch billiger zu verkaufen, als dies bisher ohnehin schon der Fall ist.