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Seit Juni machen bei Abschiebungen algerischer Asylbewerber heimische Polizisten die Flugbegleiter

Der Innenminister machte es sich einfach. Nachdem Bundesgrenzschutzbeamte den Kopf von Aamir Ageeb bei dessen Abschiebung vor knapp sechs Wochen so lange niedergedrückt hatten, bis der Sudanese tot war, verhängte Otto Schily (SPD) erst einmal einen Abschiebestopp. Einen kleinen, wohlgemerkt, und einen vorläufigen noch dazu: Ausgesetzt werden sollten nur die Abschiebeflüge, bei denen die Sicherheitsbehörden schon vorher mit dem Widerstand des ausgewiesenen Ausländers rechnen.

Den Innenministern von sechs unionsregierten Bundesländern jedoch ging das bereits zu weit. Ein "fatales Signal" glaubte Stuttgarts erster Mann für innere Sicherheit, Thomas Schäuble (CDU), in dem Schily-Erlaß entdeckt zu haben: "Gewalttätige Abschiebehäftlinge" würden dadurch in ihrem Verhalten noch belohnt. "Sie wirkt für diejenigen, die bereit sind, sich mit allen Mitteln gegen ihre rechtmäßige Abschiebung zu wehren, wie eine Gebrauchsanleitung zur Lahmlegung des Rechtsstaates", kommentierte die Frankfurter Allgemeine.

Der Bundesinnenminister plötzlich auf der anderen Seite - als klammheimlicher Unterstützer zivilen Ungehorsams? Weit gefehlt. Denn nur drei Tage später, am 1. Juni, trat ein Abkommen in Kraft, an dem die Beamten des Innenministeriums schon seit Jahren gefeilt hatten und das vor allem eines zum Ziel hat: "renitente" Flüchtlinge schneller abzuschieben - zumindest die, die aus Algerien in die Bundesrepublik gekommen sind.

Bald zwei Jahre lag es in den Schubladen des Innenministeriums, jetzt findet es seine "praktische Anwendung": das von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl als "unverhohlene Kollaboration mit dem algerischen Terrorregime" kritisierte Rückübernahmeabkommen zwischen Algerien und der Bundesrepublik Deutschland. Bereits im Februar 1997 unterzeichnet, zögerte sich seine Umsetzung nicht etwa wegen deutscher Vorbehalte gegenüber den politischen Verhältnissen in dem nordafrikanischen Staat heraus, sondern weil das Parlament in Algier auf Änderungen beharrte. Strittiger Punkt: die Bezahlung der im Protokoll als "spezialisiertes Sicherheitspersonal" aufgeführten algerischen Polizeibeamten, die die Abschiebung ihrer Landsleute nun persönlich in die Hand nehmen dürfen.

Was Schilys Vorgänger Manfred Kanther (CDU) nicht gelang, brachte Rot-Grün in nur sechs Monaten zuwege: Seit Anfang Juni wird nach Algerien zurückgeschoben - mit kameradschaftlicher Unterstützung der algerischen Sžreté Nationale. Kosten und Logistik übernimmt weiterhin der Bundesgrenzschutz (BGS).

"Dies ist angesichts der stetig zunehmenden Zahl renitenter algerischer Schüblinge von enormer praktischer und medienöffentlicher Bedeutung", hatte nach der Unterzeichnung des Vertrags 1997 schon der damalige Staatssekretär im Innenministerium, Kurt Schelter, frohlockt. Nach dem Inkrafttreten des Rückkehrpakts können es seine Nachfolger um so mehr: Die Verantwortung für künftige Todesfälle trägt dann schließlich nicht mehr das Innenministerium in Bonn - sondern das in Algier.

Oder, wie Salima Mellah von Algeria-Watch kritisiert: "Damit diese Abschiebungen reibungslos verlaufen, wird die 'schmutzige' Arbeit algerischen Polizisten überlassen, die wissen, wie sie 'Renitente' anzupacken haben". Auf die Unterscheidung zwischen rechtlich zulässigen Handfesseln einerseits und unzulässigen Mundknebeln andererseits dürften die Polizisten aus Algerien wenig Wert legen. Ganz umsonst sind ihre Landsleute von dort schließlich nicht geflohen.

Rund 20 000 Algerierinnen und Algerier sind es, die derzeit - mit mehr oder minder gesichertem - Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik leben, noch einmal so viele, schätzt Algeria-Watch, halten sich illegal hier auf. Aus gutem Grund: Die Anerkennungsquote algerischer Flüchtlinge liegt bei 1,7 Prozent. Was im besten Falle herausspringt, ist eine dreimonatige Duldung - danach droht die Abschiebung. Auch deshalb, meint etwa Jemal, der seit 1993 in Deutschland lebt, wolle er nicht noch einmal einen Asylantrag stellen: Ein halbes Jahr, nachdem er das erste Mal Asyl beantragt hatte, lehnten die Behörden sein Begehren ab. Seitdem lebt er ohne Papiere in Berlin.

Eigentlich ein Fall für Rot-Grün. Als die neuen Ministerinnen und Minister ihre Ämter vor gut einem halben Jahr bezogen, hatten sie schließlich auch eine Altfallregelung für abgelehnte Asylbewerber versprochen, die seit Jahren mit ungeklärtem Status in Deutschland leben. Die Grünen brüsteten sich mit dem einzigen flüchtlingspolitischen Erfolg, den sie in den Koalitionsvereinbarungen mit der SPD herausholen konnten - und der Leuten wie Jemal eine Perspektive geboten hätte. Doch die Beratungen über eine Altfallregelung sind erst einmal verschoben worden. Was Jemal nicht überrascht: "Ich habe das von denen nie erwartet", sagt er.

Sowenig wie einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen, egal, woher sie nach Deutschland gekommen sind: "Ein Flüchtling ist ein Flüchtling. Wenn du ein Dach über den Kopf kriegst und etwas zu essen, dann ist das schon okay", erzählt er - solange die Polizei nicht zugreift. Etwa einmal im Jahr, so Jemal, gerate er in eine Kontrolle. Meist habe er sich durch die Angabe der Daten geduldeter Bekannter, die er sich eingeprägt hat, retten können. Zweimal nicht: 1994 wurde die Abschiebung nur ausgesetzt, weil Jemal sich selbst verletzte. Im vergangenen Sommer entließen ihn die Beamten aus dem Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau erst, als er mit einem Hungerstreik gegen die drohende Abschiebung protestiert hatte.

Beim nächsten Mal könnte ihm das schon nicht mehr helfen. Über 7 000 Algerierinnen und Algerier, darunter auch Familien, sind nach Schätzungen von Pro Asyl von dem Rückübernahmeabkommen bedroht - nicht eingerechnet Illegale wie Jemal. Und unabhängig von der Lage in Algerien: Denn auch aus der anderen flüchtlingspolitischen Kehrtwende, die Rot-Grün vor Amtsantritt versprochen hatte, ist nichts geworden.

Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes, hieß es noch letzten Herbst in Bonn, würden künftig stärker nach menschenrechtlichen Kriterien erstellt. Da sie den Gerichten oftmals als einzige Quelle dienen, liegt das letzte Wort über die asylrechtliche Anerkennung am Ende bei der Deutschen Botschaft in Algier - auch unter Rot-Grün, wie der letzte Lagebericht vom November beweist: "Die Schutzfähigkeit des Staates wird hervorgehoben", wie Algeria-Watch kritisiert, staatliche wie nichtstaatliche Verfolgung bagatellisiert.

So könnten sich bald auch algerische Oppositionelle und Deserteure am Frankfurter Flughafen in den Händen ihrer früheren Verfolger wiederfinden. Mit freundlicher Unterstützung der deutschen Behörden: In einer "Vorlaufzeit", darauf haben sich die Verhandlungspartner in dem Rückübernahmeabkommen geeinigt, ist die Zahl der abzuschiebenden Flüchtlinge auf "fünf Rückzuführende bei einem Ansatz von zwei Sicherheitsbegleitern pro zu begleitender Person festgesetzt".

Haben sich die algerischen Polizisten erst einmal an ihre renitenten Landsleute gewöhnt, geht es richtig los: Bis zu 30 Abschiebehäftlinge pro Flug dürfen es dann sein - Ausgang ungewiß. Beim Tod von Ageeb machte es sich Schily einfach. Doch wie das Rückübernahmen mit Algerien zeigt, geht es noch einfacher.