Law-and-Osten

Großer Lauschangriff, finaler Todesschuß und vier Tage Vorbeugegewahrsam: Das Brandenburger Verfassungsgericht hat eines der schärfsten Polizeigesetze gebilligt

Der Justizminister sollte recht behalten. Dem Brandenburger Polizeigesetz sei der "Beifall aller CDU-regierten Länder und des Bundesinnenministers sicher", hatte Otto Bräutigam, parteiloser Ressortchef im Kabinett Manfred Stolpes (SPD), vor drei Jahren prophezeit. Die Befürchtung war begründet: Der Bundesinnenminister war damals - ebenso wie die meisten seiner Länderkollegen - Träger eines CDU-Parteibuches, und die SPD hatte "Law and Order" noch nicht als Wahlkampfthema entdeckt. Doch die Brandenburger Genossen scherte das wenig. Im Widerspruch zu ihrem Justizminister verabschiedeten sie eines der schärfsten Polizeigesetze, das es in der Bundesrepublik gibt.

Geklagt gegen das Gesetz hat Bräutigam freilich nicht, und auch die SPD-internen Kritiker in der Landtagsfraktion entschieden sich 1996 lediglich für die parlamentarische Enthaltung als Protestform. So blieb es der Brandenburger PDS und der Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär vorbehalten, das umstrittene Gesetz vor den Kadi zu bringen.

Doch die juristischen Mühen waren vergebens. Seit letzter Woche sind die rechtlichen Bedenken gegen die Verlängerung des Vorbeugegewahrsams, gegen Abhörmaßnahmen in Privatwohnungen und gegen den Einsatz verdeckter Ermittler ausgeräumt: Das Brandenburger Landesverfassungsgericht gab dem Polizeigesetz sein Okay. Auch die Anwendung des finalen Todesschusses, die nicht einmal im Gesetz selbst, sondern nur in seiner Begründung enthalten ist, segneten die Richter ab.

Und gerade so, als ob Bräutigam es bei der Verabschiedung im Potsdamer Landtag 1996 geahnt hätte, applaudierte als erste tatsächlich die CDU. "Die Entscheidung bestätigt unsere Rechtsauffassung", erklärte letzte Woche der innenpolitische Sprecher der Potsdamer CDU-Fraktion, Dierk Homeyer. Kein Wunder. Als das Gesetz nach über einem halben Jahr heftiger Auseinandersetzungen im Februar 1996 den Landtag passierte, enthielten sich die Christdemokraten nur deshalb der Stimme, weil es ihnen in einem der entscheidenden Punkte nicht weit genug ging: Die Verlängerung der Vorbeugehaft auf vier Tage reichte den Konservativen nicht aus - statt dessen plädierten sie für 14 Tage.

Dabei hatten die Brandenburger Sozialdemokraten alles getan, der CDU das neue Polizeigesetz schmackhaft zu machen. Als regelrechter Bruch mit - damaligen - sozialdemokratischen Positionen mußte die Verlängerung der Vorbeugehaft auf vier Tage gewertet werden, die die Potsdamer Richter nun juristisch absicherten. Gerade so, als ob Fußballspiele oder Demonstrationen bis zu vier Tage andauern könnten, liest sich die Begründung: "Eine solche Präventivregelung ist nach den Erfahrungen, insbesondere im Zusammenhang mit gewalttätigen Demonstrationen Rechts- und Linksradikaler sowie Ausschreitungen bei Fußballspielen, erforderlich."

Um Anschluß an die Polizeigesetze der restriktivsten CDU-Länder Sachsen und Bayern bemüht, räumten die Genossen im Kabinett Stolpe alle bürgerrechtlichen Bedenken beiseite, um an der Grenze zu Polen die angeblich nötige innere Sicherheit zu schaffen. Allen voran Innenminister Alwin Ziel (SPD). Er war es, der meinte, die absolute Mehrheit seiner Partei nun auch durch Stärkung des polizeistaatlichen Profils aufrechterhalten zu müssen. Schließlich wähnte er sich auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft: Ein Grund für die von Ziel eingeleitete Verschärfung, vermutete der Staatsrechtsprofessor Martin Kutscha damals, sei auch in der - am Ende gescheiterten - Fusion zwischen Berlin und Brandenburg zu finden: Offenbar wolle Ziel einer Großen Koalition im vereinten Berlin-Brandenburg "eine Morgengabe" bereiten.

Doch Kritik an dem Gesetz kam nicht zuletzt von den Parteigenossen aus der Hautpstadt, die - was die Sicherheitsinteressen der Bürger anbelangt - sonst nicht gerade zimperlich sind. Aus denselben Gründen, die Bräutigam den Beifall der CDU befürchten ließ: "Wir haben ähnlichen Vorstellungen der CDU bisher meistens erfolgreich widersprochen", meinte etwa Hans-Georg Lorenz, innenpolitischer Sprecher der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Er glaube nicht, daß es in Brandenburg Bedarf an polizeilichen Maßnahmen gebe, "die es im viel 'kriminelleren' Berlin nicht gibt".

Scheinbar schon. Denn nicht nur die Bestimmungen zur Verhaftung von Personen, die eventuell Straftaten begehen könnten, fallen in Brandenburg schärfer aus als in Berlin. Auch die polizeiliche Beobachtung eines Verdächtigen zur "vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" - dem Großen Lauschangriff - ist in Brandenburg weiter gediehen als in anderen Bundesländern. Just als die PDS ihre Klage gegen diese Bestimmung im neuen Polizeigesetz auf den Weg brachte, hatte der sächsische Verfassungsgerichtshof die Vorbeugehaft, den Großen Lauschangriff und den Einsatz verdeckter Ermittler für ganz oder teilweise verfassungswidrig erklärt. Das Gericht kritisierte ferner bestimmte polizeiliche Mittel zur Erhebung von Daten wie längere Observationen und versteckte Kameras und Mikrofone als Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die obersten Brandenburger Richter taten das nicht. Zwar erlaubten sie den Großen Lauschangriff nur, wenn ihre Kollegen in den Amtsgerichten dem im konkreten Fall zustimmen. Doch während in Berlin etwa das Abhören von Wohnungen nur dann gestattet ist, "wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person unerläßlich ist", sind die Brandenburger Freunde restriktiver Sicherheitskonzepte nicht so zimperlich: Die Palette zur Rechtfertigung "vorbeugender Verbrechensbekämpfung" reicht hier von Mord und Totschlag über Völkermord, Menschenhandel oder Staatsschutzdelikte bis hin zu Bandendiebstahl, Waffen- und Drogenhandel - allein der Verdacht genügt.

Mit Erfolg: Allein im letzten Jahr hat die Brandenburger Polizei nach Angaben des Potsdamer Innenministeriums Gespräche von 249 Telefonanschlüssen mitgeschnitten - doppelt so viele wie noch zwei Jahre zuvor. Und das, obwohl nach Statistiken des Landeskriminalamts seit 1995 Jahr für Jahr weniger Straftaten verübt wurden.

Für Innenminister Ziel, der die Verschärfungen schon 1996 maßgeblich angeregt hatte, kein Grund zur Entwarnung. Nur einen Monat, nachdem seine Behörde die Zahlen herausgegeben hatte, fügte Ziel den Bestimmungen von 1996 eine weitere hinzu. Um der "organisierten Kriminalität" auch im Grenzbereich zu Polen besser Herr werden zu können, schlug er dem Landtag vor, verdachtsunabhängige Kontrollen einzuführen. Eine Neuerung, die wohl bald in allen Polizeigesetzen der Republik enthalten sein wird. Besonders gewitzt die Begründung der Gesetzesnovelle, der die große Potsdamer Parlamentskoalition im April ihre Zustimmung erteilte. Da auch in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen ähnliche Verschärfungen eingeführt wurden, drohe Brandenburg zur "Hauptschneise" für grenzüberschreitende Kriminalität zu werden, verteidigte der Potsdamer SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Muschalla die Entscheidung. Auch wenn damit "die Grenze, die man als SPD-Mitglied noch verantworten kann", erreicht sei.

Doch wo diese Grenze liegt, weiß Muschalla wahrscheinlich selbst nicht mehr genau. Nur ein Jahr zuvor hatte er Forderungen der CDU, diese Kontrollen einzuführen, noch zurückgewiesen: Dabei, so Muschalla, handele es sich um einen ersten "Schritt in Richtung Polizeistaat". Und der nächste kommt bestimmt.