Letzte Ausfahrt Bonn

Dr. Seltsam reiste als Ströbelist mit dem Bundespresseamt durch die Ministerien am Rhein

Dies war die unwiderruflich letzte Gelegenheit, als Steuerbürger was zurückzukriegen: eine Wahlkreisgruppenreise nach Bonn auf Einladung des Bundespresseamtes in der Woche vor dem Regierungsumzug. Nicht nur wir Berliner WählerInnen - alles daran erschien durch und durch korrumpiert und das Bundesinformationsamt vor allem als Rettungsanker des untergehenden rheinischen Gastgewerbes. Unterkunft in teuren Hotels (kleiner Neid: eine PDS-Gruppe hatte das Maritim, wär' ich doch lieber mit denen gefahren, bei uns war's superspießig und dazu laut wie im Hammerwerk).

Dreimal umsonst essen pro Tag, in berühmtesten Prominentenrestaurants, die genauso leer wie teuer waren und ohne Reisegruppen eingehen würden. Sightseeing, Rheinfahrt, Gespräche mit Referenten, überall Jute-Tüten und Agitationsbroschüren kiloweise.

Wenn man das hochrechnet, hat unsere Gruppenfahrt den Staat mal eben eine Viertel Million gekostet, und das Ganze hat mich an Reisen in Delegationen zu DDR-Zeiten erinnert: Man sollte offenkundig durch Wohlleben bestochen werden, den Staat doch nicht so ganz scheiße zu finden.

Unser zusammengewürfelter Haufen bestand zur Hälfte aus grünen BasispolitikerInnen aus Kreuzberg und Friedrichshain, die alle nicht erklären können, warum sie immer noch in der Partei sind; andererseits sind sie auch nicht so prominent und fit, als daß man von Alibi-Linken sprechen könnte. Also kein Grund sich aufzuregen.

Die anderen waren Angehörige, Freunde, Bekannte - darunter ich, ausdrücklich eingeladen zum Dank für die Kampagne im Bundestagswahlkampf. Das war mir ein bißchen peinlich, denn die heimliche Parole unserer Wählerinitiative war ja "Grüne raus - Ströbele rein!" - und wie man weiß, waren wir nur zur Hälfte erfolgreich. Aber die Grünen zahlten ja nichts, insofern

mußte ich weniger schlechtes Gewissen haben als jedes grüne Parteimitglied heutzutage. Da waren wir also, die gefürchteten Kreuzberger, und vorm Bundestag zuckte dem Wachmann schon mal die Hand, als die Einlaßfrau mit schneidender Stimme befahl: "Gruppe Ströbele, links durch!"

Im Propaganda-Ministerium begrüßte uns ein Dr. Wurm. Ich weiß nicht, wie er wirklich hieß, aber er wand sich extrem hin und her, körperlich wie psychisch, hatte offenbar Angst vor uns und wäre am liebsten vollständig in der Wand verschwunden. Sein Amt hält er für objektiv und zuverlässig, auch wenn es für die Regierung Werbung macht. Darin konnte er beim besten Willen keinen Widerspruch entdecken.

Als ich unvorsichtigerweise in Erinnerung an die Kosovo-Enten den Namen "Goebbels" erwähnte, legte er seinen Kopf zurück, entblößte eine häßliche Zahnlücke und sog die Luft laut ein, so daß ein umgekehrtes Wiehern entstand: Nein, das wollen wir hier mal lieber lassen! Auch von Uranmunition in Jugoslawien hatte er noch nie was gehört. Das seien alles "Tartarenmeldungen" gewesen. Ich riet ihm zum Abschied, dies Wort in Berlin ganz schnell zu vergessen, denn dort lebten echte Bürger der Tartarischen Republik und die würden darauf ungefähr so reagieren wie Osmanen auf "getürkte" Nachrichten.

Im Gesundheitsministerium trafen wir auf unseren ersten grünen Staatssekretär, der für kritischen Fragen zur Pharmaindustrie nur giftig-gelangweilte Blicke überhatte und seine Unlust so sehr raushängte, daß er mir leidzutun begann. Binnen acht Monaten hatten die Ministerialbeamten ihn gefressen, verdaut und wieder ausgeschissen. Auch dieser war doch mal ein Mensch, hatte gewiß Feuer, Ideale, Träume und ein Gewissen: Jetzt saß uns ein grauhäutiger Zombie gegenüber, mit runterhängenden Mundwinkeln und offenbar kurz davor, sich aufzuhängen. Schade um die schöne Pension, die sich sein Arsch bereits ersessen hat.

Meine grünen ReisebegleiterInnen schienen sich widerstandslos jeden Müll erzählen zu lassen. Aber dann kamen wir ins Umweltministerium und gerieten an einen Juristen, der offenbar noch aus CDU-Zeiten übriggeblieben war und der uns allen Ernstes beweisen wollte, daß Atomstrom unersetzbar ist. Hei, da flogen die Fetzen! Ich mochte sie alle plötzlich richtig gern.

Empört: "Uns als Grüne können Sie doch sowas nicht vorsetzen!" - Höhnisch: "Ich kann Ihnen gern die neuesten Zahlen zufaxen!" - Überlegen: "Zeigen Sie doch mal die Folie über den Stromverbrauch, oder haben Sie die nicht!?" Ein bißchen das Gefühl: Das hier ist "unser" Ministerium. Hier sitzt Trittin, und das ist einer von uns, und Sie sollten lieber aufpassen ... Schön wär's ja, aber in diesen Tagen hat Trittin aufs Wort seines Herrn die Altauto-Verordnung in Europa torpediert.

Im Eingang lagen noch stapelweise die stolzen Info-Broschüren seiner Vorgängerin; damit hat die CDU die Grünen sogar auf eigenem Grund überholt. Und es häuften sich die Rücktrittsgerüchte. Eigentlich spannend. Aber unser Referent lächelte freundlich, sagte: "Eine interessante Frage!", beantwortete sie aber nicht, nahm nichts zurück und plädierte weiter für die Stromkonzerne. Wie eine Säge. Oder besser: wie ein Haifisch mit Sägezähnen. Endlich bekam ich ein Gefühl dafür, wie man hier zurechtgesägt wird.

Ein anderer Referent fand Geisteswissenschaften schlicht überflüssig, langes Studieren zur Persönlichkeitsfindung lächerlich. Während er die "Forderungen der Wirtschaft" begründete, verhedderte er sich chaplinesk mit der Mikrofonanlage und gab so auch als Person ein gutes Bild davon, daß so komplexe Projekte wie zum Beispiel der Transrapid beim Forschungsministerium in besten Händen sind. Überhaupt, befanden wir am Ende, ist das gesamte Forschungsminsterium eigentlich überflüssig, und dem hatte er nichts mehr hinzuzufügen.

So keimte während der Gespräche in den Ministerien der Verdacht, die hätten extra für die "Gruppe Ströbele" ihre bescheuertsten Vertreter abgestellt. Aber die Bonner Ministerialbeamten sind wirklich so, eine Mischung von Sparkassenkassierer, der nicht bis hundert zählen kann, und Ostkellnertum. Und die ziehen jetzt zu Tausenden nach Berlin! In der "Ständigen Vertretung" hocken sie schon.

Aber war denn alles so schrecklich? Trafen wir denn nicht unseren Ströbele, die einzige Lichtgestalt im Bonner Sumpf? Unseren Volksvertreter, der mit seinem Flehen im Bundestag, einen Krieg von deutschem Boden nicht ohne Diskussion ausgehen zu lassen, die Ehre der deutschen Linken gerettet hat?

Ströbele kam zum Rhein und begleitete uns auf einer Dampferfahrt. Es war gerade am Tage vor seiner Wahl in die Geheimdienstkommission, die Abstimmung war noch höchst unsicher. Er machte sich Sorgen, und ich konnte ihn verstehen. Seit den Zeiten der RAF-Jagd trägt er einen glühenden Haß auf BND und VS in sich, er glaubt es ja, und sagt das auch öffentlich: Die haben meine Mandanten ermordet. Daß jemand wie Ströbele jetzt die Dienste überwachen kann, ist sicher ein kleiner Sieg der Demokratie. Aber wir haben in diesen drei Tagen erlebt, wie der Bonner Filz wirkt, und wir haben nichts weiter als Ströbeles Wort, daß er sich davon nicht anstecken lassen wird. Das allerdings hat er bei den Grünen auch gesagt.

Zum Abschluß unserer Tour schenkte mir der linke Verfassungspatriot ein passend schwarzrotgold gebundenes kleines handliches Grundgesetz: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können in Gemeineigentum überführt werden." Na prima, dann steht ja dem Kommunismus nichts mehr im Wege.