National Disco

Die Wiederkehr der Subkultur als nationalistischer Mainstream. Ein Gespräch mit Teodora Tabacki und Zarana Papic über den serbischen Turbofolk.

Das "Galeria" liegt in einer schmalen Seitenstraße in Nürnberg. Im Dezember 1995 treffe ich dort Alper, Rapper bei Karakan, einem Ableger der HipHop-Family King Size Terror (KST) und Teil des Oriental Rap-Zusammenschlusses Cartel. Es ist Nachmittag, und das "Galeria" ist bis auf ein paar Teetrinker mit Handys halb leer.

Cartel hat gerade Michael Jackson vom Platz eins der türkischen Charts verdrängt, und der Streit über Popkultur und Identitätspolitik erreicht einen seiner Höhepunkte. In den Zeitschriften 17 ¡C und Beute wird Alper als Nationalist angegriffen, der sich mit dem Symbol türkischer Faschisten, einem Ring mit drei Halbmonden, fotografieren läßt und in Freestyle auf Viva vor riesiger türkischer Fahne auftritt.

Im "Galeria" streite ich mit ihm über KST-Lyrics wie "Unterwerfe dich nicht. Bewahre dein Türkentum" und "Glatze, glaube nicht, daß wir Juden sind, wir sind Türken. Entweder sterben wir oder sind frei". Im Bermudadreieck von Assimilationsdruck, deutschem Mültikültiralizm und Neorassismus setzt er auf taktischen Essentialismus und kulturelle Identität, die sich bei ihm so buchstabiert: Türke im Deutschland von Rostock und Mölln sein. Dein eigener Kanake werden. Wissen, wo man herkommt. Die Tradition nicht vergessen. Den Eltern die Hand küssen - frei nach dem Motto: Wo Identität herrscht, hilft nur Identität.

Der Streit wird damals nicht beigelegt. Auch wenn Graue Wölfe auf ihre Konzerte kommen, weisen Karakan Nationalismus und Faschismus von sich und bleiben beim double bind aus Antirassismus und kultureller Identität. Mit Alper streite ich 1995 zwar darüber, wie nah Karakan an romantischen Gegen-Rassismus grenzt und über seine Auffassungen zu afrocentricity-Rap, Nation of Islam und Five Percenter in den USA, nicht aber über jugoslawischen Turbofolk, der nur ein paar Hundert Kilometer entfernt in Belgrader Clubs gespielt wird, nicht wie bei Karakan als Sound der Identität gegen eine rassistische Gesellschaft, sondern als ohrenbetäubende Verstärkung des jugoslawischen Nationalismus: national disco.

Diese Auseinandersetzung mit Karakan fällt mir wieder ein, als ich mit zwei Bekannten aus dem Umfeld des Belgrader Radiosenders B-92 im SO 36 beim zweiten Berliner Kanak Attak Event sitze. Die ersten oriental disco-Platten des Abends werden aufgelegt. Ein paar Leute fassen sich an den Armen und beginnen, Reigen in der Disco zu tanzen. Die beiden Belgrader fangen an zu lachen: "Ungefähr so hört sich Turbofolk an. Aus einem Belgrader Club würden wir rausgehen, weil wir nicht mit der nationalistischen Subkultur tanzen."

Es ist eine schöne Ironie, daß dieses Mißverständnis über die Bedeutung von Musik gerade bei Kanak Attak auftaucht, die Jahre nach dem Streit mit Cartel, Karakan und King Size Terror zwar mit der gleichen Absage an Dialogkultur, Multikulturalismus und nette Kuschelausländer auftreten, das aber nicht als Identitätspolitik, sondern als Identitätsguerilla verstehen, als radikale minoritäre Position gegen die deutsche hegemoniale Kultur: keine Frage der Herkunft, sondern der Haltung, eine erneute Auflage eines Patchworks der Minderheiten.

Als Anfang der Neunziger in der BRD mit dem verstärkten Auftauchen von Nazi-Rock und mit der Beobachtung von Malcolm-X-Kappen tragenden Rassisten bei dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen Diskussionen über die Ambivalenzen von Pop begannen, wird in Jugoslawien Turbofolk, nationalistischer Discosound, populär.

Jahre bevor in der BRD das Buch "Mainstream der Minderheiten" erscheint, das den diskontinuierlichen Gleichklang von Kapitalismus und Jugendkultur in den neunziger Jahren thematisiert, wird in Jugoslawien über die Wiederkehr der Subkultur als nationalistischer Mainstream diskutiert. Ich spreche darüber mit Teodora Tabacki, Anti-Kriegs-Aktivistin aus Belgrad, die letzten November zehn Tage wegen des Graffitis "Tod für Slobo, Fuck off Seselj" im Gefängnis saß.

Teodora erklärt Turbofolk als subkulturellen Ausdruck einer "Neuen Kriegsordnung": "Es wäre ganz falsch, diese Mischung aus westlichen Disco-Images und pervertiertem serbischem Folk als Paradox zu beschreiben. Die Turbofolk-Queens haben das Bild des Westens innerhalb einer gänzlich regionalistischen Subkultur inkorporiert. Das ist die Folge davon, daß sich die jugoslawische Gesellschaft kulturell und ideologisch nach innen abgeschlossen hat. In den achtziger Jahren gab es einen starken Rock-Underground. Es gab zwar auch Folksongs, aber niemand, jedenfalls kein Jugendlicher, hätte zugegeben, zu Hause serbischen Folk zu hören. In den Achtzigern war Lepa Brena die bekannteste Volkssängerin. Sie ist quasi eine kulturelle Metapher für das frühere Jugoslawien, eine rundliche Mama, die der häuslichen Sphäre vorsteht und uns Geborgenheit verspricht. Jetzt ist es Ceca Velickovic. Sie ist die Frau von Arkan Raznjatovic, einem Kriegsverbrecher, Paramilitär und Vorsitzenden der Partei der Einheit Serbiens. Ceca tritt mit einem ganz anderen Image als Lepa Brena auf, ein perfekter schlanker Körper, der die neue Kriegsordnung ästhetisiert. Turbofolk ist ein Lifestyle. Die Jungs, die zu dieser, sagen wir, 'Bewegung' gehören, tragen Street-Wear-Markenkleidung von Diesel und Nike, meist Trainingshosen, und - ganz wichtig - sie stecken ihr Hemd immer in die Hose. Sie haben Glatzen, sind Bodybuilder-Typen. Und es ist sehr populär, mit Knarren rumzulaufen."

Turbofolk verfolgt keine geheime, subtile Stilpolitik. Weit entfernt von ästhetischer Revolte, Dandyismus und Oscar Wildes alter Anweisung für subkulturelle Eleganz: "Die erste Pflicht des Lebens ist, so künstlich wie möglich zu sein", hat Turbofolk eine Eins-zu-eins-Kultur geschaffen: Ich zeige, was ich sein will - heterosexuell, bewaffnet, stark, reich. Die Typen werden Diselazi genannt, Dieseljungs. Die Frauen erfüllen die andere Hälfte des heterosexuellen Codes: Sexiness, kurze Röcke, Bauch frei.

Zarana Papic lehrt am Belgrader Women's Studies Center und hat eine Studie über Turbofolk veröffentlicht. Im Gespräch mit Teodora Tabacki sagt sie: "Wir konnten beobachten, wie Attribute des internationalen Popcodes und der alternativen Subkultur in einem nationalistischen politischen Kontext aufgegangen sind. Das ist quasi eine postmoderne Bedeutungsverschiebung von Rechts. Die Folksängerinnen haben gleichzeitig die Positionen des Nationalen, des Subkulturellen und des Westens besetzt. Wenn Armani eine neue Kollektion herausbrachte, dann trug sie Ceca.

Die Leute sollen denken, daß sie wie früher einen freien Zugang zum Westen haben, denn da ist ja noch Ceca, die uns westliche Waren vorführt. Sie macht Aerobic. Sie hat keine Cellulitis. Sie ist eine selbstbewußte, Madonna-ähnliche Popikone. Die Turbofolk-Queens standen dafür, daß wir, auch wenn Ex-Jugoslawien brennt, auch wenn Kriege in Bosnien und Kroatien geführt werden, narzißtisch und stur genug sind, Lieder zu singen. Sie sind unsere wunderschönen Frauen! Das habe ich den glücklichen serbischen Körper des nationalistischen Regimes genannt. Die explicit message der Turbofolk-Sängerinnen ist, daß die serbische Macho-Nation unverletzbar ist, solange serbische Frauen noch mit serbischen Männern flirten.

Die Botschaft lautete: Du kannst eine Erektion haben. Du kannst mich ficken. Turbofolk ist eine Mischung aus Disco, Rap, Techno, Bauchtanz und serbischen Liedern, eine phantastische Kombination von Zeichen. Obwohl sie sexuell sehr provokativ auftreten, werden die Turbofolksängerinnen selber nicht aggressiv angemacht. Sie sind Schwestern, serbische Schwestern. Sie sind geschützt. Ihre sexuelle Präsenz ist selbstbewußt und nicht unterwürfig."

Der explizite nationale Text läuft im Turbofolk über die serbischen lyrics; der Subtext lautet hingegen, Pop ist heimgeholt und angeschlossen worden: Die Nation ist sexy. Als die Musikgruppe Laibach in den Achtzigern mit nationalen und faschistischen Zeichen gespielt hat, wollte sie sichtbar machen, wie unter der titoistischen Losung "Brüderlichkeit und Einheit" nationalistische und religiöse Ideologie-Reste wirksam sind - und zwar gerade, weil die herrschende Ideologie die Rede von monarchistischen Cetniks, kroatischer Ustascha, slowenischen Weißgardisten und dem von Nazideutschland geformten Unabhängigen Staat Kroatien (NDH) verboten hatte.

Als die serbische Teilrepublik spätestens seit dem 8. Plenum des ZK der serbischen KP 1987, auf dem Milosevic seine Linie durchsetzte, in eine offene nationalistische Phase eintrat, stoppten Laibach allmählich dieses Spiel und brachten Platten mit den Titeln "NATO" und "Kapital" heraus. Der Abstand zwischen Partisanenmythos und Nationalismus war implodiert. Während Laibach ideologische Zeichen entladen wollten, lädt sich Turbofolk mit Zeichen auf und versucht, Popkultur in einem rechtsnationalen Diskurs mitzurepräsentieren.

Zarana Papic arbeitet daran, eine lange Reihe von kulturellen Aneignungen aufzuzeichnen, Pop, Feminismus, die Erinnerung an das "alte" Jugoslawien usw.: "Turbofolk ist wie eine Art Karneval oder 'Travestie' alternativer Zeichen. Leute wie TV Pink-Direktor Zeljno Mitrovic, ein ehemaliger Rockmusiker, haben die medial unterstützte Macht, Bilder der alternativen Kultur nationalistisch zu kontaminieren. Als es nach dem Dayton-Abkommen gesellschaftlich wieder erwünscht war, den Mythos Jugoslawien in Erinnerung zu rufen, war TV Pink der erste Sender, der die alten Rocksänger der Siebziger und Achtziger einlud und sie melancholische Sätze ins Mikro sagen ließ wie: 'Ja, unsere alten kroatischen Rock-Kollegen und -Freunde, die werden wir nie vergessen.' Sie wollen den Eindruck vermitteln, daß die Föderative Republik Jugoslawien das alte Jugoslawien fortsetzt, seine Kontinuität und seine Erinnerung darstellt."

Während Turbofolk in den Neunzigern hegemonial wird, marginalisiert sich die bis dahin relativ starke jugoslawische Subkultur. Teodora Tabacki erzählt, wie sich diese Tendenz bis zum jüngsten Krieg in Jugoslawien zugespitzt hat: "Schritt für Schritt wurde die alternative Kultur an den Rand gedrängt. Je größer Turbofolk wurde, um so mehr wich das, was vorher war, an die kulturellen Ränder zurück. Selbst die Techno- und House-Szene, die 1993 mit Partys im 'Akademija' startete, veränderte sich mit der Zeit. 1994, 1995 trat das 'Industria' an die Stelle des 'Akademija'. Jeden Donnerstag und Sonntag war ich da. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt tauchten komische Leute auf, Typen, die von Turbofolk über croatian disco, einer kroatischen Entsprechung zu Techno, gekommen waren. Sie tanzten aggressiv, ohne T-Shirts, mit nacktem Oberkörper. Ich ging wie eine ganze Reihe von Leuten nicht mehr hin. Das Studentische Kulturzentrum wurde schon vor dem Krieg von Leuten aus dem Umfeld der Sozialistischen Partei übernommen.

Nachdem B-92 im April von regierungstreuer Seite gehijackt wurde, ist auch das Kulturzentrum 'Cinema Rex' 'angeschlossen' worden. Für eine geheime Party zum zehnten Geburtstag von B-92 stand vor kurzem nur noch das Zentrum für kulturelle Dekontamination zur Verfügung. Es gibt aber auch noch Aneignungen anderer Art. Seit Milosevic an die Macht gekommen ist, existiert die halb-offizielle Struktur der 'Frauen im Pelz'. Sie treten als Feministinnen oder, sagen wir, als Frauen für den Erhalt Jugoslawiens auf. Sie kleiden sich mittelstandsmäßig, eben gerne in Pelz. Unter ihnen sind Figuren wie Nada Popovic-Perisic, die feministische Theorien aus Frankreich in die jugoslawische Debatte eingebracht hat."

Was in den frühen postmodernen Diskussionen Ende der Sechziger siegesgewiß als cross the border - close the gap begrüßt wurde, als Ende der Trennung zwischen Hoch- und Popkultur, Elite und Masse, Kunst und Politik, sieht sich heute einem ganz anderen Machtverhältnis ausgesetzt. Nationalismus findet auch in der Disco statt, und Pop ist zum Konsens des Feuilletons geworden, ab und an unterbrochen von ein paar kulturkonservativ-altweltlichen Ausrutschern. Von dieser Entwicklung erzählt das Feedback der jugoslawischen Turbofolk-Clubs.