Bauen für den Führer

Mit Zwangsarbeit legte die Holzmann AG die Fundamente für das NS-Reich. Entschädigung will man nur zahlen, wenn weitere Klagen unterbleiben

"Auf dem Berg, in der Grube, auf den unzähligen Gestellen und Eisentraversen wimmelte es nur so von Arbeitssklaven", erinnert sich ein ehemaliger Zwangsarbeiter. "Maschinen, Dynamos, Bagger dröhnten, rhythmische Kommandos, Hämmern, Geschrei, Prügel, Wehklagen kamen aus der Erde hervor und vermischten sich in babylonischer Verwirrung." Auf der Baustelle "Diana II" bei Kaufering am Lech baute die Philipp Holzmann AG 1944 unterirdische Stollen für die Produktion eines Düsenflugzeugs. Die Arbeitskräfte bezog die Baufirma aus einem Außenlager des KZ Dachau.

"Bauen für den Führer" heißt ein Kapitel der Holzmannschen Firmengeschichte, die Manfred Pohl, der Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank, kürzlich der Öffentlichkeit präsentierte. In einer umfangreichen Studie zeigt Pohl, daß die Holzmann AG an fast allen Bauprojekten der NSDAP beteiligt war und von der Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen profitierte.

Ob im Südharz, in Ostpreußen, in Estland, in Schlesien oder beim Bau des sogenannten Westwalls entlang der französischen und belgischen Grenze - überall mußten Zwangsarbeiter für Holzmann schuften. Immer wieder kam es dabei zu Mißhandlungen durch die SS und durch Holzmann-Mitarbeiter. Nur wenige überlebten den Terror. Holzmann aber wurde in enger Kooperation mit der militärischen Bau-Organisation Todt (OT), der Wehrmacht und der SS zum führenden Bauunternehmen im nationalsozialistischen System. Bunker, Befestigungsanlagen, Rüstungsbetriebe, Kraftwerke, Verbindungswege in den besetzten Gebieten und gigantische Geheimprojekte: An Holzmann, schreibt Pohl, läßt sich die "vollständige Mobilisierung eines Bauunternehmens für die deutsche Kriegswirtschaft" studieren.

Auch an fast allen Verwaltungs- und Prachtbauten der Partei verdiente der Konzern mit: Am aufwendigen Jagdhaus für Hermann Göring, am Neubau der Berliner Reichsbank, am Bau einer SS-Kaserne und eines Gästehauses auf Hitlers Obersalzberg - überall im NS-Machtbereich hinterließ Holzmann seine Spuren, von Norwegen bis Griechenland, von Rußland bis an die Pyrenäen.

Ende 1943 waren fast die Hälfte der Holzmann-Arbeiter Ausländer. Genaue Angaben über die Zahl der ausländischen Arbeiter und Kriegsgefangenen bei Holzmann kann Pohl allerdings nicht machen, weil zahlreiche Bauaufträge von Arbeitsgemeinschaften und Subunternehmern ausgeführt wurden. Da viele Dokumente vernichtet wurden, sei es aussichtslos, genaue Zahlen über ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu ermitteln, schreibt Pohl. Während die verwendeten Geräte und die verbauten Betonmassen in den erhaltenen Akten ausführlich dokumentiert würden, finde "das Heer der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter kaum Erwähnung". Nicht auszuschließen sei, "daß sich das Holzmann-Stammpersonal in den Lagern vor Ort geeignete Hilfsarbeiter heraussuchte".

Nach dem Krieg wollte die Firma davon nichts mehr wissen: 1957 wurde Holzmann von rund 70 ehemaligen KZ-Häftlingen verklagt. Das Unternehmen berief sich darauf, daß es keine eigenen Unterkünfte für Zwangsarbeiter unterhalten habe. Ehemalige Holzmann-Mitarbeiter gaben zu Protokoll, Mißhandlungen habe es nicht gegeben.

Als 1968 zwei jüdische Zwangsarbeiterinnen, die 1943 in Estland für die Philipp Holzmann AG Kaianlagen reparieren mußten, einen Prozeß gegen das Unternehmen anstrengten, wies das Landgericht Frankfurt die Klagen ab: Holzmann sei nicht Bauherr, sondern nur ausführende Firma gewesen.

Bis Anfang der achtziger Jahre schmetterte die Holzmann AG mit ähnlichen Argumenten jegliche Ansprüche ab. Später erhielten ehemalige Zwangsarbeiter in Standardbriefen die Antwort, zwischen dem Unternehmen und den Häftlingen hätten keine Vertragsverhältnisse bestanden. Im Nationalsozialismus, so versuchte sich Holzmann herauszureden, habe das Unternehmen auf Weisung staatlicher und militärischer Stellen gehandelt.

"Tatsache ist", schreibt Manfred Pohl dem Unternehmen in die Firmengeschichte, "daß eine unabsehbare Zahl von Zwangsarbeitern, Juden und Nichtjuden, ihren Einsatz in der deutschen Bauwirtschaft mit dem Leben bezahlte oder lebenslange physische und psychische Schäden davontrug." Die Philipp Holzmann AG sei für die Zwangsarbeiter ein "Teil des NS-Systems" gewesen, "durch den die unmenschlichen Lebensbedingungen konkrete Gestalt angenommen hatten".

Bis 1942 waren mit einer Ausnahme alle Holzmann-Vorstandsmitglieder in die NSDAP eingetreten. Die jüdischen Vorständler Charles A. Rosenthal und Hermann Galewski waren aus der Firmenleitung gedrängt worden. "Der Vorstand in Frankfurt hatte nach einem Jahr nationalsozialistischer Herrschaft die Spielregeln gelernt", resümiert Pohl und beschreibt die "Tatenlosigkeit selbst einflußreicher Wirtschaftsführer im Hinblick auf die Entrechtung ihrer jüdischen Kollegen".

"Auf den Baustellen der Philipp Holzmann AG waren von Kriegsbeginn bis Kriegsende Zwangsarbeiter aus allen Teilen des besetzten Europas beschäftigt", so Pohl. Die Zuteilung organisierte in der Regel die Organisation Todt. Die mickrige Bezahlung erfolgte durch die OT oder direkt durch das Unternehmen. Die erste Erwähnung von KZ-Häftlingen in den Konzernakten datiert Pohl auf Anfang 1941. Sie wurden beim Bau einer Autobahn in der Nähe von Poznan, dem damaligen Posen, eingesetzt. 1944 stieg die Zahl der bei Holzmann zur Arbeit gezwungenen KZ-Häftlinge rapide an. Die Firma war an fast allen Sonderprojekten der OT beteiligt. Auf den Baustellen arbeiteten Tausende von KZ-Häftlingen. Auch am Bau des IG Farben-Werks in Auschwitz war Holzmann beteiligt. 23 000 von insgesamt 35 000 dort eingesetzten Häftlingen starben in den Jahren 1943 bis 1945.

Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens war ab 1939 Hermann Josef Abs, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Als Abs 1970 in Schwierigkeiten geriet, weil der DDR-Historiker Eberhard Czichon ihn belastete, kam der damalige Archivar im Historischen Institut der Deutschen Bank und heutige Holzmann-Unternehmensgeschichtsschreiber Manfred Pohl wie gerufen. Pohl fand in den Konzernakten entlastende Dokumente. Fortan durfte er Abs auf Reisen begleiten und Reden für ihn schreiben. Eine 1981 verfaßte Abs-Biographie, sagt Pohl, würde er heute allerdings anders schreiben.

Anläßlich der Vorstellung der Pohl-Studie hat Holzmann als erstes Bauunternehmen angekündigt, sich an dem geplanten Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter beteiligen zu wollen. Doch ein Recht auf Entschädigung will der Konzern den ehemaligen Zwangsarbeitern noch immer nicht zugestehen: Zahlen wolle man nur, wenn ein Rechtsschutz vor weiteren Klagen vereinbart werde, sagt Holzmann-Vorstands-Vorsitzender Heinrich Binder.

Wenn sich die Einrichtung des Fonds noch weiter verzögert und alle ehemaligen Zwangsarbeiter verstorben sind, kann Pohl bald das letzte Kapitel zum Thema Holzmann und ehemalige Zwangsarbeiter schreiben. Wie immer kritisch, faktenreich - und vom Unternehmen finanziert. Schließlich ist die Aufarbeitung der Nazi-Geschichte eines Unternehmens dem Image der jeweiligen Auftraggeber am Ende ganz zuträglich. Zeigt man doch damit, daß man sich der Geschichte stellt. Gegenüber finanziellen Forderungen ist man dafür um so besser gewappnet.