Ein Verfahren für alle Fälle

In Frankreich wurde zum ersten Mal ein ausländischer Offizier wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" angeklagt

Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit des Landes vor rund 30 Jahren benötigt, wer mit einem französischen Paß in das nordwestafrikanische Land Mauretanien einreisen will, ein gültiges Visum. Zum selben Zeitpunkt, dem 1. August, soll der Abzug der französischen Militärberater aus der früheren Kolonie abgeschlossen sein.

Auslöser für den diplomatischen Eklat zwischen den beiden bisher eng verbunden Ländern war die Anfang Juli erfolgte Verhaftung des mauretanischen Offiziers Ely Ould Dha im südfranzösischen Montpellier, wo er einen zweijährigen Fortbildungslehrgang an einer Militärschule absolvierte. Gegen den Offizier, der seither in Untersuchungshaft sitzt, wurde ein Ermittlungsverfahren wegen "Verbrechen in Form von Folterungen" eingeleitet. Die französischen Liga für Menschenrechte (LDH) und die Internationale Föderation der Ligen für Menschenrechte (FIDH) hatten Strafanträge gestellt, die sich wiederum auf konkrete Vorwürfe zweier mauretanischer Folteropfer stützen, welche als anerkannte Asylbewerber in Frankreich leben.

Damit wurde erstmals ein französisches Gericht wegen Taten, die ausschließlich im Ausland und gegenüber ausländischen Staatsbürgern begangen wurden, aktiv. Rechtsgrundlage ist die internationale Anti-Folter-Konvention, die 1984 in New York vereinbart und von der französischen Republik drei Jahre später übernommen wurde. Die "Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlungen" erlaubt jedem Unterzeichnerstaat, die Urheber entsprechender Tatbestände unabhängig von ihrer Nationalität mit seiner eigenen Gerichtsbarkeit zu verfolgen. Einzige Bedingung: Die Täter müssen sich auf dem Territorium des Landes befinden.

Die Opfer, deren Vorwürfe und Aussagen die Grundlage für die Strafverfolgung gegen den Offizier lieferte, sind selbst ehemalige Offiziere der mauretanischen Armee, die im Jahr 1990 festgenommen, vier Monate hindurch gefoltert und mit zwölf weiteren Gefangenen in einer Zelle von vier Quadratmetern Größe festgehalten wurden. Hintergrund sind die rassistisch aufgeladenen Konflikte zwischen der arabischen (den "Mauren") und der schwarzen Bevölkerung (deren offizielle Bezeichnung "Négro-Mauretaniens" lautet), die das Land Ende der achtziger Jahre erschütterten. Die Sklaverei für Schwarze wurde in Mauretanien erst im Jahr 1981 offiziell aufgehoben.

Ende der achtziger Jahre eskalierten die Auseinandersetzungen. 1989 verfügte die Regierung die Abschiebung von über 60 000 Schwarzen in das benachbarte Senegal. Ein Jahr später wurden Tausende schwarzer Militärs und Staatsbeamte - rund 60 Prozent der Soldaten waren dunkler Hautfarbe - unter der Beschuldigung festgenommen, einen Putsch gegen das Militärregime des Staatschefs und Hauptmanns Ould Taya vorzubereiten. Rund 500 Armeeangehörige starben bei den anschließenden Säuberungen. Die schmutzige Arbeit wurde dabei oft von Offizieren schwarzer Hautfarbe erledigt, die aber nach arabisch-maurischer Kultur erzogen worden waren. Dies ist auch der Fall bei dem jetzt angeklagten Offizier.

Bisher waren Menschenrechtsgruppen immer damit gescheitert, die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Bereits im März 1993 hatte eine in Lyon ansässige Initiative Strafantrag gegen den mauretanischen Offizier Ould Boilil gestellt, der ebenfalls der Folter bezichtigt wurde. Die Gerichtsbarkeit verfolgte den Fall jedoch nicht weiter, und der Beschuldigte konnte unbehelligt ausreisen. Daraufhin beschloß das mauretanische Parlament - in dem die legale Opposition über keinen einzigen Sitz verfügt - ein totales Amnestiegesetz für die gesamte Periode von 1989 bis 1992.

Nach mauretanischem Recht hätte der beschuldigte Offizier also nicht belangt werden können. Der Vorsitzende der FIDH, Patrick Baudouin, erklärte daher in der Libération, daß auf diese Weise "die universellen Werte Vorrang haben vor Entscheidungen, die auf nationaler Ebene getroffen wurden". Diese zunehmende Tendenz, für eine im Zeichen der Menschenrechte agierenden Justiz universellen Geltungsanspruch zu erheben, könnte sich jedoch als zweischneidig herausstellen: Sie liefert den westlichen Führungsmächten auch die passenden Vorwände, wenn sie sich mißliebiger Staatschefs oder lästiger Ex-Verbündeter entledigen wollen.

Daß sich die französische Politik in Afrika künftig an den allgemeinen Menschenrechten orientieren wird, ist andererseits kaum zu erwarten. Ein deutliches Zeichen setzte die Republik am 14. Juli, als zum französischen Nationalfeiertag erstmals auch außereuropäische Truppen über die Pariser Champs Elysées paradierten. Diese Ehre galt ausgerechnet der königlichen Garde des marokkanischen Despoten Hassan II., der in den zurückliegenden drei Jahrzehnten reichlich Material für die Jahresberichte der Menschenrechtsorganisationen geliefert hat.

So wußte der als Hardliner bekannte marokkanische Innenminister Driss Basri jedenfalls genau, wieso er amnesty international verboten hat, ihren für August geplanten Jahreskongreß in dem nordafrikanischen Land abzuhalten. Er fürchte, so die mündliche Begründung der marokkanischen Botschaft in London gegenüber den Menschenrechtlern, "am Rande des Kongresses Manifestationen bezüglich der Menschenrechte in unserem Lande".