Finaler Gong

Die chinesische KP ringt mit der Falungong-Sekte und ihrem Religionsmischmasch

Das "Rad des Gesetzes" unter dem Rad des Gesetzes - aus dem Nichts ist plötzlich ein Name in der Weltöffentlichkeit aufgetaucht: Falungong, eine bis dahin nur Insidern bekannte religiöse Sekte, ist zum Staatsfeind Nummer eins in der Volksrepublik China avanciert.

Seit Beginn letzter Woche wurde die Bewegung Ziel einer großangelegten Verhaftungswelle. Die Festnahme von etwa 70 führenden Falungong-Aktivisten führte in 30 Städten zu Massenprotesten von etwa 30 000 Demonstranten. Die Demonstrationen wurden von den Behörden aufgelöst, Falungong-Anhänger, die bereits auf dem Weg nach Peking waren, wurden in ihre Herkunftsorte zurückgeschickt.

Am vergangenen Donnerstag verhängte das Ministerium für Öffentliche Sicherheit ein offizielles Verbot aller Aktivitäten der Bewegung. Ihre Meditationszentren mußten den Betrieb einstellen. Begleitet wurde die Repressionswelle von einer Propagandakampagne in allen wichtigen Massenmedien. Die Sekte wurde beschuldigt, zu einer politischen Macht werden zu wollen, die Massen zu betrügen, Unruhe zu stiften und die soziale Stabilität zu unterminieren.

Der Gründer der Bewegung, der inzwischen in den USA lebende Li Hongzhi, sei eine "bösartige Person, die einen extrem desaströsen Einfluß auf die Gesellschaft ausübe", so die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Er habe Mitglieder davon abgehalten, notwendige Medikamente zu nehmen, und fanatische Anhänger hätten unter dem Einfluß der Lehre des "Meisters" Morde und Selbstmorde begangen.

Sprecher der Falun Buddha Society in Singapur wiesen diese Anschuldigungen zurück: Die Anhänger der Lehre seien "normale Leute", die sich an die Gesetze hielten und lediglich die Freiheit forderten, ihren Glauben zu praktizieren.

Das Verbot kam nicht vollkommen überraschend. Am 25. April hatte die Sekte ihre Mobilisierungsfähigkeit unter Beweis gestellt, als überraschend 10 000 Demonstranten im Pekinger Regierungsviertel auftauchten, um die Legalisierung als religiöse Gemeinschaft zu fordern. Dieser Vorfall versetzte die KP in Alarmstimmung.

Das Zentralorgan Renmin Ribao bezeichnete die Kampagne gegen die Sekte als "ernsten ideologischen und politischen Kampf, der entscheidend für die Zukunft von Partei und Staat" sei. Nach eigenen Angaben hat die 1992 gegründete "Meditationsbewegung" weltweit 100 Millionen Anhänger, davon über 70 Millionen in der Volksrepublik China - und damit 10 Millionen mehr als die KP an Mitgliedern zählt.

Was die Pekinger Führung vor allem in Panik versetzt: Anders als die nur einige Tausend Mitglieder zählenden Intellektuellenzirkel, die von der Demokratiebewegung 1989 übriggeblieben und von den "breiten Volksmassen" isoliert sind, rekrutiert sich die Anhängerschaft von Falungong aus allen sozialen Schichten, auch in der Provinz. Nicht wenige Parteimitglieder bekleiden führende Funktionen in der Gemeinschaft, die KPCh mußte ausdrücklich Falungong-Anhängern den Parteiausschluß androhen.

Deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, daß Falungong nach der Verhaftung der Führungsriege in China einfach wieder verschwindet. Obwohl sich die Lehre vom Falungong Dafa betont apolitisch gibt, bedeutet sie eine weit gefährlichere Herausforderung des ideologischen Monopols der KPCh als die prowestlichen Intellektuellen.

Die Partei war sich seit Beginn der Wirtschaftsrefomen 1978 der Gefahr des ideologischen und politischen Kontrollverlustes bewußt; bekannt ist das Diktum des verstorbenen Deng Xiaoping: "Wenn man ein Zimmer lüftet, kommen unvermeidlich auch ein paar Moskitos herein."

Die Politik wurde "entideologisiert", der sinisierte Marxismus-Leninismus der Partei verkam immer mehr zur hohlen Phrase für Sonntagsreden, der mit der lupenrein kapitalistischen Realpolitik nichts mehr zu tun hatte, zumal die Spätfolgen der Willkürherrschaft der Kulturrevolution und die Korruption der Parteikader zur Entpolitisierung der Bevölkerung beitrugen.

Der liberalen intellektuellen Opposition ging diese "Säkularisierung" von Politik und Gesellschaft nicht weit und vor allem nicht schnell genug. Sie attackierte die verbliebenen Bastionen des politischen und ideologischen Monopols der Partei, das sie zu beseitigen, nicht zu beerben suchte. Die Partei wiederum vermochte nicht mehr, als ihr politisches Monopol zu behaupten.

Auf dem ideologischen Feld können alle Anstrengungen, eine "sozialistische geistige Zivilisation" aus der Retorte zu zaubern, nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr Anspruch gescheitert ist, wenigstens die Hegemonie auf dem Gebiet der Deutung und Sinngebung der gesellschaftlichen Entwicklung zu behaupten. Eine politische Philosophie, die eine enge Verzahnung von Theorie und Praxis postuliert, übersteht eine rigorose Trennung dieser Bereiche - anders als eine Religion - nicht folgenlos.

Das "spirituelle Vakuum", das somit entstanden ist, wurde von allen möglichen Strömungen gefüllt. Neben den nach offiziellen Angaben etwa 100 Millionen Mitgliedern der sechs großen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Status - Buddhismus, Taoismus, Konfuzianismus, Islam, Katholizismus und Protestantismus - gibt es eine unbekannte, aber größere Zahl an Anhängern nicht registrierter religiöser Gruppen: von autochthonen Lokalkulten, bäuerlich-christlichen Geheimgesellschaften bis hin zu millenaristischen Sekten.

Alle diese nicht registrierten Religionsgemeinschaften sind verschiedenen Repressionen ausgesetzt; zum politischen Feind aber wurde bisher keine dieser Gruppen erklärt, da sie in der Regel lokal begrenzt auftraten.

Auch bei Falungong handelt es sich weder um einen geistigen Import noch um eine besonders neue oder originelle Lehre. Die in der "Bibel" des "Meisters" Li Hongzhi alias Zhuan Falun zusammengefaßte Lehre stellt sich als ein mit Versatzstücken aus moderner Naturwissenschaft angereichertes Konglomerat buddhistischer und taoistischer Elemente dar.

Im Zentrum steht die Selbstvervollkommnung des xinxing, der inneren Natur, durch spezielle Übungen, die von den Anhängern in Parks und eigenen Versammlungsräumen praktiziert werden. Diese Übungen und das Befolgen der moralischen Grundsätze zhen, shan und ren (Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Duldsamkeit) heben das xinxing auf eine höhere Stufe, bis hin zu der des Buddha.

Die Selbstkultivierung durch Falungong erlaube es dem Adepten, direkt auf anderen Ebenen als der der gewöhnlichen Sinne wahrzunehmen und zu kommunizieren. Dadurch könnten medizinische Wunderheilungen bewirkt, der Alterungsprozeß gestoppt oder gar umgekehrt werden. Der "Meister" selbst reinige den Körper vom schlechten Karma durch Zufuhr reinen Karmas.

Vor allem die Berichte über Wunderheilungen und das Charisma des Sektengründers haben maßgeblich zur Verbreitung der Lehre beigetragen. Ansonsten handelt es sich um einen Mischmasch, der auch in hiesigen Esoterikkreisen konsensfähig sein dürfte.

Was ist daran gefährlich? Das plötzliche Anwachsen von Sekten zur Massenbewegung war in der chinesischen Geschichte immer mit Endzeiten von Kaiserdynastien verbunden. Die Parallele zu den "Boxern" der Jahrhundertwende oder den Taiping Mitte des 19. Jahrhunderts ist bereits gezogen worden.

Allerdings fehlt der Falungong-Lehre jedes utopisch-chiliastische Element, sei es rückwärts- wie bei den Boxern oder messianisch-vorwärtsgewandt wie bei den Taiping. Auch dadurch ist sie also kompatibel mit der Neuen Weltordnung. Die Falungong-Anhänger beziehen ihr Überlegenheitsgefühl gegenüber den sogenannten gewöhnlichen Menschen schon aus der Fähigkeit, als Arzt oder Parteikader der Versuchung zur Annahme der üblichen "Geschenke" zu widerstehen. Was schon alles über den Zustand der Gesellschaft aussagt.