Interpretationen und Gepöbel

40 000 Tote in vier Monaten - Äthiopien und Eritrea wollen Frieden schließen, wissen aber nicht, wie

Nur einer blieb mit seinen Getreuen draußen und ließ sein Quartier, eine olivfarbene Zeltsiedlung, rund um das Sheraton Hotel in Algier aufbauen; alle anderen Abgesandten der 53 Mitgliedsstaaten der Organisation für afrikanische Einheit (OAU) waren in dem Hotel selbst untergebracht. Libyens Staatschef Muammar el-Gaddafi nahm zwar zum ersten Mal nach über 20 Jahren wieder an einem OAU-Treffen teil, seine Gewohnheiten ändern mochte er deswegen noch lange nicht.

Böse war ihm deswegen niemand, im Gegenteil: Ein in Algier vorgestelltes neues Friedensabkommen zum Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea soll auf eine Initiative Gaddafis zurückzuführen sein. Wie verschiedene Delegierte berichteten, habe Libyens Staatschef bereits vor Beginn des Gipfels eine neue Friedensinitiative vorgestellt. Zwar habe Gaddafi selbst von seinen Vorschlägen "keinen Durchbruch" erwartet. Doch durch das Insistieren auch anderer afrikanischer Regierungen sei zum ersten Mal seit einem Jahr wieder Bewegung in die Verhandlungen der beiden ostafrikanischen Staaten gekommen.

So schien nach 14 Monaten Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien nach dem OAU-Gipfel in Algier ein Ende der Kämpfe absehbar zu sein. Am 14. Juli, dem letzten Tag des Treffens, verkündete die Staatsführung von Eritrea, daß sie die Vorschläge der OAU für einen Friedensvertrag angenommen habe. Zwei Tage später stimmte Äthiopien zu - wenn auch unter Vorbehalten: Die "Modalitäten für die Durchführung des Friedensvertrages" würden "mit dem OAU-Rahmenvertrag in Einklang stehen", hieß es aus Addis Abeba.

Der äthiopische Premierminister Meles Zenawi machte allerdings klar, daß er die Grundlagen des Friedensvertrages zunächst seinem Parlament vorlegen wolle. Wann das passieren soll, ließ er offen. Auch Eritrea wollte nach dem Treffen in Algier erst einmal abwarten: "Wir sind noch nicht am Ziel angekommen, doch wir haben die Modalitäten akzeptiert und sind bereit, sie durchzuführen", sagte Yemane Gebremeskel, Berater des eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki, gegenüber Jungle World.

Afeworki selbst hatte sich zuvor in einer Rede zur Annahme der OAU-Vorschläge optimistisch gegeben und geäußert, er hoffe, daß das Übereinkommen das "Jahr 2000 zum Jahr des Friedens und der Sicherheit in Afrika" machen werde. Neben einer raschen Beendigung des eritreisch-äthiopischen Konflikts hatte sich die Mehrheit der OAU erstmals für ein Verbot militärischer Interventionen ausgesprochen.

Unmittelbar nach dem Ende des Gipfels war jedoch von den freudigen Erwartungen nicht mehr viel übrig: Afeworki reagierte erbost über Zenawis Entscheidung, erst noch das äthiopische Parlament zu konsultieren: So solle "eine Entscheidung vermieden werden, die eigentlich auf dem Gipfeltreffen fallen sollte".

Der Konter aus Äthiopien folgte einen Tag später: Auf einer Pressekonferenz behauptete der äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin plötzlich, Eritrea habe die Modalitäten des Friedensvertrags überhaupt nicht angenommen. Äthiopische Zeitungen zitierten ihn mit den Worten: "Was Eritrea eigentlich sagte, war 'Ja, aber' und was dem 'Aber' folgt, macht das 'Ja' bedeutungslos. Unter diesen Umständen braucht man viel Vertrauen, um zu glauben, daß Eritrea wirklich Ernst macht". Umgekehrt hieß es aus dem eritreischen Außenministerium, Äthiopien habe es vermieden, auf dem Gipfel klar Stellung zu beziehen. Statt dessen habe in "altbekannter Weise schrille und ineffektive anti-eritreische Rhetorik" vorgeherrscht.

Es war kaum zu erwarten, daß sich die beiden verfeindeten Kriegsparteien nach dem Gipfel in die Arme fallen würden und sich umgehend, wie es in dem Abkommen heißt, dazu "verpflichten, einen formellen Waffenstillstandsvertrag zu unterzeichnen". Dennoch hatten die Schlichter in Algier zumindest eine Mäßigung der altbekannten feindseligen Rhetorik zwischen Äthiopien und Eritrea erwartet. Denn durch die provokativen Äußerungen von beiden Seiten wird bereits gegen das Abkommen verstoßen. Dieses sieht nicht nur das Ende der militärischen Auseinandersetzungen vor, sondern fordert von den Unterzeichnern den Verzicht auf "alle Ausdrucksformen, die dazu geeignet sind, das feindselige Klima zu fördern".

Auch die anderen Passagen der nun von Äthiopien und Eritrea offiziell akzeptierten OAU-Vorschläge zu einem Friedensplan sind ausgewogen. Beide Länder müssen demnach ihre Truppen aus allen besetzten Gebieten entlang der 1 000 Kilometer langen Konfliktzone unter der Überwachung von Militärbeobachtern der OAU und Uno zurückziehen. Eine von diesen beiden Organisationen zusammengestellte sogenannte Friedenstruppe soll dort nach der Demilitarisierung stationiert werden. Über den endgültigen Status der Territorien wird erst dann entschieden, wenn die Truppen das umstrittene Gebiet verlassen haben.

So weit, so klar. Und doch stehen wohl auch in der nächsten Zeit wieder die jeweiligen Interpretationen des Friedensvertrages im Vordergrund, während die Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens weiter auf sich warten läßt. Denn schon jetzt ist zwischen den beiden Kampfparteien umstritten, was in Algier überhaupt geregelt wurde.

So kritisiert Äthiopien, daß Eritrea auf einer finanziellen Kompensation für die etwa 60 000 Eritreer, die aus Äthiopien vertrieben wurden, besteht. Der äthiopische Außenminister Seyoum Mesfin erklärte vergangene Woche, daß auf dem OAU-Gipfel diese Forderungen zurückgewiesen worden seien. Eritrea hingegen behauptet, es habe den Friedensvertrag nur unter der Bedingung akzeptiert, daß die eritreischen Flüchtlinge aus Äthiopien entschädigt würden.

Bereits der erste Friedensplan, entwickelt von den USA und Ruanda, war vor allem an unterschiedlichen Interpretationen bereits erreichter Abkommen gescheitert: Eritrea verweigerte plötzlich den geforderten Rückzug seiner Truppen aus dem Badme-Dreieck - der während des Krieges am heftigsten umkämpften Region -, da dies als einseitige Stellungnahme für Äthiopien und dessen Sicht der Krieges gedeutet werde.

Das folgende OAU-Rahmenabkommen unterschied sich hinsichtlich des Badme-Dreiecks nicht sehr von dem gemeinsamen US-ruandischen Entwurf. Eritrea akzeptierte es zwar, nachdem äthiopische Einheiten Badme im Februar dieses Jahres besetzt hatten. Doch forderte nun die äthiopische Regierung, daß sich Eritrea aus allen nach dem 6. Mai 1998 besetzten Gebieten zurückziehen müsse.

In Eritreas Hauptstadt Asmara hatte man das OAU-Abkommen hingegen anders gelesen - die Kämpfe gingen daraufhin verstärkt weiter: Zwischen März und Juni, während der bislang blutigsten Zusammenstöße, fügten sich beide Seiten schwere Verluste zu. Allein in diesen vier Monaten sollen nach Schätzungen der Uno etwa 40 000 Menschen getötet worden sein. Insgesamt seien in den 14 Monaten des Krieges rund 100 000 Menschen umgekommen.