Kino? Theater? Kino! Theater!

Wen interessiert noch Theater? Ein Interview mit Thomas Ostermeier

Interessiert sich heute überhaupt noch jemand fürs Theater?

Das Theater hat mit starker Konkurrenz zu kämpfen. Heutzutage geht man ins Kino statt ins Theater. Aber das pendelt hin und her: Vor zwanzig Jahren steckte auch das Kino in der Krise, als das Fernsehen solche Hochzeiten feierte. Inzwischen hat das Kino aber wieder aufgeholt und ist zu einem Sehnsuchtsort geworden, so eine romantische Institution, wo man mit der Freundin reingeht und sich die Filme anguckt, die man nur im Kino sieht.

Ähnlich ist es auch beim Theater. Wir hatten in der Baracke ein Publikum, das ich so nicht erwartet hätte. Das ist so eine Art Gegenbeweis, wenn behauptet wird, das Theater stecke in der Krise. Es gibt bei jungen Leuten eine große Aufgeschlossenheit, wieder ins Theater zu gehen.

Weil Sie ein Theater machen, das an Kino erinnert?

Das zum einen, aber auch, weil im Theater Dinge möglich sind, die im Fernsehen ganz bestimmt nicht möglich sind. Das beste Beispiel: "Shoppen & Ficken" war zum Theatertreffen eingeladen und sollte wie üblich aufgezeichnet und im Fernsehen gezeigt werden. Aber sie haben sich geweigert, weil das Stück zu explizit war, was die Darstellung der Gewalt angeht, und auch in der Position, die es gegenüber der Gesellschaft einnimmt.

Ich interessiere mich sehr für Film, und ich werde bestimmt auch mal Film machen. Aber ich weiß, daß ein Drehbuch fünf-, sechs-, siebenmal umgeschrieben werden muß, bevor es verfilmt wird, weil die Produzenten mitreden und gewisse Sache einfach nicht erzählt werden dürfen. Deswegen stehe ich zum Theater.

Wie sieht Ihr ideales Publikum aus?

So, wie wir es in der Baracke hatten. Das sind Leute, die man normalerweise nicht im Theater sieht, eher ein Kinopublikum, sehr aufgeschlossen, ohne Schwellenängste, aber gar nicht unbedingt so jung.

Zu "Shoppen & Ficken" allerdings kamen einige Leute nur wegen des Titels und der Schwulengeschichte. Es ist schon etwas komisch, in den Ruf zu geraten, der billigste Porno-Laden der Stadt zu sein. Aber die Leute haben etwas anderes zu sehen bekommen, als sie wahrscheinlich erwartet haben. Das hat sich von selbst erledigt.

Ihr Theater erinnert an Tarantinos Filme, in denen es auch diese übertriebene Gewalt gibt.

Das ist vor allem bei "Fette Männer im Rock" so, aber nicht bei allen unseren Stücken. Es kommt auf das Sujet an. Nicky Silver ist ein amerikanischer Autor. Es lag also nahe, in dieser Form mit Gewalt umzugehen. Aber das ist nicht so neu. Es gibt für diese Form viele Beispiele in der Theatergeschichte, zum Beispiel das "Badener Lehrstück vom Einverständnis" von Brecht. Dieses Stück ist auch so eine Groteske: Auf offener Szene werden einem Clown die Hände, die Arme und dann die Beine abgeschnitten. Und auch die griechischen Satyrspiele haben mit einer Komik der Gewalt gearbeitet. Diese Form ist also gar nicht so neuartig.

Wird das Theater wieder wichtiger?

Ja, ich habe ganz stark das Gefühl. Inzwischen werden wir gehandelt wie Popstars. Nach meiner Inszenierung von "Feuergesicht" in Hamburg gab es in einer Zeitschrift eine Hitliste junger Regisseure und Theatermacher. Auch bei den Blättern, die jetzt bei mir anfragen, Gala und Bunte, Cosmopolitan und dieses ganze Zeugs, gibt es einfach ein Interesse an der Populärkultur.

In allen Ländern, besonders in Großbritannien, gibt es eine junge Schreiber-Szene, in Skandinavien arbeiten viele interessante Leute. Es gibt einen ganzen Stapel von Stücken, die ich gerne machen will. Und ich finde es auch spannend, was in Berlin derzeit passiert.

Paßt Ihr Theater zur Schaubühne?

Wir konnten nicht ewig in der Baracke weitermachen. Schon zum Ende der ersten Spielzeit habe ich "Mann ist Mann" sehr groß und sehr laut inszeniert, weil ich beweisen wollte, daß dieser Raum in der Baracke eigentlich viel zu klein ist für uns. Wir sind hier nach ein paar Monaten einfach an eine Grenze gestoßen.

Wenn es einen Raum gibt, der unserer Art, unserer Sehnsucht, Theater zu machen, entspricht, dann ist es die Schaubühne. Sie ermöglicht als einziges Theater in Berlin unser Spiel mit dem Zuschauerraum. So eine fest zementierte Guckkasten-Bühne, wie es sonst in den Theatern der Stadt üblich ist, das ist nicht unser Ding.

In einem Interview haben Sie sich gegen ein "Zeitgeist-Theater" ausgesprochen. Kommen die Leute nicht gerade deshalb, weil Ihr Theater ziemlich nah dran ist an den Themen, die sie interessieren?

Wir versuchen aber nie, hip oder jung zu sein. Alles kommt aus dem Stück heraus, von den Schauspielern. Das ist ein Autoren- und Schauspielertheater. Insofern sind wir sehr konservativ und entsprechen überhaupt nicht dem Zeitgeist oder dem Trend. Wir arbeiten z.B. ohne Videoprojektionen, ohne DJs, die nebenbei auflegen, was bei vielen Theaterexperimenten im Moment gemacht wird, z. B. von Stefan Pucher an der Volksbühne, und was die Leute aus Gießen und Hamburg probieren, Gob Squad, Falk Richter. Das ist für mich Zeitgeist-Theater.

Dennoch trifft Ihr Theater ein bestimmtes Zeitgefühl.

Ja, wenn man "Zeitgeist" als positiven Begriff gebraucht, dann hoffe ich auch, daß wir mit aktuellen Mitteln arbeiten. Allerdings lege ich die Verantwortung in die Hände der Schauspieler und setzte nicht auf die Technik und irgendwelche Effekte.

Kann Theater sich heute eigentlich noch auf die Gesellschaft beziehen, oder lediglich auf bestimmte Szenen?

Ich glaube nicht, daß unser Theater ohne gesellschaftlichen Bezug ist. "Fette Männer im Rock" z. B. hat eine klare gesellschaftliche Stoßrichtung. Das ist eine Absage an die Therapie-Kultur und an das sozialpädagogische Geschwafel, an diese amerikanische Auffassung - ich kann alles, ich kann Herr meiner selbst werden. Das ist ein Selbstbetrug, der in unsere Gesellschaft Einzug gehalten hat. Die Leute hören auf, nach den Ursachen des Problems zu fragen, und gehen statt dessen lieber zum Psychiater und sagen, ich muß in mich gehen und in meine Kindheit gucken. Alles wird auf eine individuelle Problemlage zurückgeführt und es wird gar nicht mehr gefragt, ob vielleicht grundsätzlich was falsch ist.

Die Aufführung schrammt das in einer unterhaltsamen, komödiantischen Weise. Sie entlarvt auch diese Talkshow-Kultur, diesen Geständnis-Zwang.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Theater und Politik beschreiben?

Ich glaube, daß das Politische im Privaten liegt. Damit geht es los. Daher konzentrieren wir uns auf Stücke, die mit einer präzisen Beschreibung des Privaten etwas aufzeigen, was vielleicht im größeren Ganzen falsch läuft. Wir greifen im Moment nicht nach den großen Welterklärungsmustern. Wir suchen in den kleinen Dimensionen.