Pogrome und HiTech

Wenn die Bevölkerung Jagd auf Ausländer macht, ist für Spaniens Innenminister klar: Bloß nicht noch mehr Afrikaner hereinlassen

Von "isolierten Einzeltätern" will Spaniens Innenminister Jaime Mayor Oreja nichts hören. Nach rassistischen Übergriffen in der Region Katalonien dürfe "keine Regierung die Taten verharmlosen", äußerte der konservative Politiker vergangene Woche.

Die eigene - zentralspanische - Regierung meinte er damit freilich nicht, sondern die katalonische Regionaladministration. Brandanschläge auf ein von Immigranten aus Afrika und dem Maghreb bewohntes Haus in Banyoles und auf eine Moschee in Girona, tagelange Ausschreitungen gegen Ausländer und eine Unterschriftenaktion gegen eine "Islamisierung" waren zuvor von Xavier Pomés, einem Vertreter der katalonischen Regierung, als "Halbstarkenstreiche" abgetan worden. Bei den Aktionen in der vergangenen und vorvergangenen Woche waren insgesamt mindestens zehn Immigranten durch Messerstiche und Brandsätze verletzt worden.

Angefangen hatten die Aktionen am 15. Juli in Ca n'Anglada, einem Arbeiterbezirk am Rande Barcelonas. Nach einem Streit zwischen einem spanischen und einem ausländischen Jugendlichen zogen Skinheads und Anwohner mit Messern bewaffnet durch die Straßen des Viertels, griffen Immigranten an und warfen die Scheiben ihrer Geschäfte ein.

Die Polizei, so berichtete Mustafa Abajtour von der Vereinigung eingewanderter Marokkaner auf einer Pressekonferenz, habe sich während der Ausschreitungen auffallend zurückgehalten. Seit Anfang der vergangenen Woche patrouillieren aber Einheiten der spanischen Nationalpolizei in Ca n'Anglada. Dafür kam es dann weiter nördlich, in der Provinz Girona, zu Brandanschlägen mit Molotow-Cocktails. Auch dabei wurden Immigranten verletzt - teilweise schwer.

Die Bewohner des Arbeiterviertels Ca n'Anglada wissen jedenfalls genau, daß sie nicht für die Gewalttaten verantwortlich sind, sondern eine Gruppe von Jugendlichen aus Nordafrika, die angeblich schwer integrierbar seien und das Klima aufgeheizt haben sollen. Mit Rassismus und den Angriffen auf die Immigranten wollen sie aber selbst nichts zu tun haben - wie offensichtlich auch die Regierung Kataloniens.

Innenminister Mayor Oreja kritisierte das zwar, warnte aber zugleich vor einer "Überbewertung" der Ereignisse. Er weiß schon, wieso: Während die spanischen Medien über die Ereignisse aus Katalonien berichteten, wurden in Madrid etwa 280 Roma von der Polizei gewaltsam vertrieben - mit reger Mithilfe der Anwohner. Verantwortlich für die Aktion war die Stadtverwaltung in Koordination mit dem spanischen Innenministerium. Die Roma, die sich vor etwa einem Jahr in Zelten auf dem Platz niedergelassen hatten, sind schließlich illegale Einwanderer. Und die werden in Spanien mit großem Aufwand bekämpft.

Das aber reicht noch nicht: Zur Sicherung der EU-Südflanke sind von der Madrider Regierung bereits Aufrüstungsmaßnahmen in Höhe von 120 bis 150 Millionen Euro geplant. Mit dieser Investition soll speziell die Meerenge von Gibraltar unüberwindlich gemacht werden. Immerhin gelangen über diese Engstelle Tausende von Armutsflüchtlingen aus dem Maghreb und Afrika in fragilen Booten unkontrolliert in den reichen Norden.

Nun aber sollen Hochleistungsradargeräte angeschafft werden, die vom spanischen Festland aus die Meerenge zwischen dem afrikanischen Kontinent und der spanischen Südseeküste lückenlos überwachen können. Das Totalüberwachungssystem umfaßt Wärmekameras, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber und Hochgeschwindigkeitsboote. Die Anschaffungen sollen zukünftig von einem besonderen Kontrollzentrum im an der spanischen Südspitze gelegenen Algeciras koordiniert werden. Im laufenden Jahr würden für die Verstärkung der "Mauer gegen den Hunger" bereits 10,2 bis 12,8 Millionen Euro ausgegeben, wie der Generaldirektor der paramilitärischen Guardia Civil, Santiago L-pez Valdielso, ankündigte. Damit solle das Koordinierungszentrum in Algeciras direkt an einer der "heißesten Stellen", an denen Immigranten illegal ins Land kommen, installiert werden.

Die bisherigen Maßnahmen der konservativen Regierung von José Mar'a Aznar zur verstärkten Überwachung der Südküste sind mehr oder weniger gescheitert. Insbesondere die spanischen Kolonialstädte des Maghreb, Ceuta und Melilla, sind trotz vielfacher Grenzbefestigungen nach wie vor durchlässig. Die Absicherung von Ceuta durch Stahlwände, Beobachtungstürme und Bewegungsmelder kostete bereits etwa 390 000 Euro. Aber die Migranten kriechen jetzt durch das Abwassersystem. "Gescheitert. Es gibt keine Mauer, die jene aufhalten kann, die Elend und Unterdrückung leiden", höhnt die spanische Tageszeitung El Pa's. Im Flüchtlingslager Calamocarro leben derzeit über 2 000 Flüchtlinge - Tendenz steigend. Und daran wird wohl weder die geplante Erhöhung des Zaunes noch das Zuschweißen der Abwasserrohre etwas ändern.

Die natürliche Wasserbarriere zwischen der iberischen Halbinsel und dem afrikanischen Kontinent hat die Flüchtlingsströme ebensowenig bremsen oder regulieren können. In den Frühlings- und Sommermonaten überqueren jede Nacht kleine Ruderboote, die eigentlich nur für fünf bis sechs Personen ausgelegt sind, mit 30 bis 40 Sin Papeles (Papierlosen) die Meerenge. Die Riesentanker, die, aus dem Atlantik kommend, die unruhige Grenzsee aus Atlantik und Mittelmeer passieren, sind dabei für die Flüchtlinge aus Afrika oft gefährlicher als die spanische Küstenwache: Sie überrollen die Kleinboote regelrecht. Und hohe Wellen lassen die kleinen Schiffchen mit Wasser vollaufen und bringen so Hunderten jährlich den Tod.

Wenigstens macht die stürmische See auch der Guardia Civil zu schaffen: Ihre herkömmlichen Radargeräte schaffen es häufig nicht, zwischen der sich brechenden See und den Booten zu differenzieren, klagt Zivilgardenchef L-pez Valdivielso. Fehlalarm und sinnlose Einsätze seien die Folge.

Seit Monaten habe seine Institution deshalb verschiedene Hochleistungsradargeräte "im Kampf gegen illegale Einwanderer, Rauschgiftdealer und Schmuggler" getestet: "Unser Ziel ist, auf beiden Seiten der Meerenge ein Radarsystem zu installieren, um dann von einem Einsatzzentrum aus automatisch die entsprechenden Wärmekameras aktivieren zu können", erläutert L-pez Valdivielso die Überwachungspläne des spanischen Innenministeriums. Aufgrund der menschlichen Wärmeabstrahlung seien die hochempfindlichen Kameras gar in der Lage, die Personenzahl in den Nußschalen genau zu bestimmen. Der spanischen Grenzstaffel ist es damit möglich, den Einsatzumfang genau zu dosieren.

Unabhängig davon soll eine intensive Kooperation mit der marokkanischen Polizei verhindern, daß sich überhaupt Boote mit den Sin Papeles gen Norden auf den Weg machen. "Wir arbeiten hervorragend mit der marokkanischen Polizei zusammen, besonders bei der Suche nach illegalen Werkstätten, in denen die Booten hergestellt werden", berichtet L-pez Valdivielso stolz. Im Kampf um die südwestliche Wassergrenze Europas will der Polizeichef auch die Zahl seiner Flüchtlingsjäger erhöhen.

Das mag sich vielleicht alles nicht so ausländerfreundlich anhören, aber Innenminister Mayor Oreja macht das angeblich gar nicht gerne: "Spanien muß auf dem Niveau sein, das die Europäische Gemeinschaft von ihm verlangt." Zu den verstärkten Sicherheitsmaßnahmen gebe es daher keine Alternativen.

Die Kritiker der regierenden Volkspartei formieren sich derweil gegen die verschärfte Abschottungspolitik. Ein Sprecher der Menschenrechtsvereinigung Asociaci-n Pro Derechos Humanos beschuldigt Spaniens Konservative, die Immigranten kriminalisieren zu wollen: "Sie täuschen sich, wenn sie glauben, das Land in eine Festung verwandeln zu können." Und sogar die Sozialdemokraten, die die bestehenden Befestigungsanlagen initiiert haben, kündigen Ablehnung an: Der sozialdemokratische Bürgermeister von Algeciras, Patricio Gonz‡les, nennt die Befestigungs- und Aufrüstungspläne schlicht "bekloppt". Auch der andalusische Sozialpolitiker Isa'as Pérez Salda-a kritisiert die Maßnahmen: "Wir wollen nicht, daß sich Spanien in den Gendarmen Europas verwandelt."

Aber wenn doch, so finden wiederum Ministerpräsident Aznar und sein oberster Grenzschützer, dann sollen die Millionen für die Neuanschaffungen nicht aus dem spanischen Haushalt zusammengespart werden. Die Europäische Union soll nach dem Wunsch der Regierung in Madrid für die Kosten der Küstenaufrüstung zahlen.