Heiteres Balkanbasteln

In Sarajevo trafen sich zahlreiche Regierungschefs, um Südosteuropa alles Gute zu wünschen

Für zwei Tage war Sarajevo eine blockierte Stadt. Während in der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas Ende vergangener Woche die Konferenz über den Stabilitätspakt für Südosteuropa stattfand, blieben die wichtigsten Straßen für den normalen Verkehr gesperrt.

Wer von einem zum anderen Stadtteil gelangen wollte, mußte zu Fuß gehen oder ein Taxi nehmen. Sämtliche Straßenbahnen und Busse waren außer Betrieb, für die Unternehmen wurden kurzerhand zwei Urlaubstage angeordnet. Für sie gab es auch wenig zu tun: Während der Konferenz konnte kein Mensch die Stadt verlassen oder betreten.

Jede Menge Arbeit hatten hingegen die zahlreichen Sicherheitskräfte, die die Stadt mit großem Aufwand bewachten. An jeder Ecke patrouillierten Sfor-Soldaten und einheimische Polizisten, ergänzt von Sfor-Hubschraubern in der Luft. Zum ersten Mal seit 1992 waren Polizisten aus der bosnisch-kroatischen Föderation zusammen mit ihren Kollegen aus Srpska, dem serbischen Teil der Republik, an einer Aktion gemeinsam beteiligt.

Rund 2 000 Journalisten aus der ganzen Welt waren für den Gipfel akkreditiert. Hinzu kamen die Regierungschefs und Vertreter aus 39 Ländern und 17 internationalen Organisationen. Die Konferenz wurde auf Initiative der EU und vor allem Deutschlands einberufen. So war es auch kein Wunder, daß Bodo Hombach als Koordinator des Pakts für Stabilität in Südosteuropa während der beiden Tage eine der Hauptrollen einnahm.

Bei dem Treffen ging es weniger um konkrete Pläne für den Wiederaufbau, sondern vor allem um die Unterzeichung der sogenannten Deklaration von Sarajevo. Darin verpflichten sich die Teilnehmer der Konferenz, die Länder im Südosten Europas - Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Mazedonien, Ungarn, Rumänien, Slowenien und die Türkei - zu unterstützen: bei der Durchsetzung von Menschenrechten, bei Demokratisierung, wirtschaftlicher Entwicklung und Zusammenarbeit sowie bei Sicherheit und Stabilität. Daß dieser Weg zwangsläufig die Integration in EU und Nato beinhaltet, wurde dabei von allen Teilnehmer als Selbstverständlichkeit angesehen.

Die Vertreter der südosteuropäischen Länder sehen Chancen für ihre Zukunft nur als Mitglieder dieser Organisationen. Obwohl die Bedingungen für die Mitgliedschaften für alle Staaten mehr oder weniger gleich sind, variieren die Startpositionen und die Zeitpläne. Die Vertreter der neun südosteuropäischen Staaten hatten sich bereits am Donnerstag vergangener Woche in Sarajevo getroffen, um ihre künftige Zusammenarbeit zu besprechen. Tags darauf folgte die politische Elite der westlichen Welt.

Nur einer fehlte: Slobodan Milosevic. Seine Abwesenheit sollte die Isolation von Serbien verdeutlichen und so den Druck auf die jugoslawische Staatsführung verstärken, endlich abzutreten. Die offiziellen Medien in Serbien nahmen dies zum Anlaß, den Gipfel zu kritisieren: In Sarajevo seien jene zusammengekommen, die an der Aggression gegen Jugoslawien aktiv teilgenommen oder sie unterstützt hätten. Nun würden sie sich wieder treffen, um eine neue Teilung des Balkans und Serbiens zu beschließen.

Dazu gerechnet werden wohl auch die in Sarajevo anwesenden Vertreter der serbischen Opposition, der orthodoxen Kirche und einige Nichtregierungsorganisationen, die als Beobachter eingeladen worden waren. Besonders Radojko Avramovic, Vorsitzender des "Bündnisses für Änderungen", dürfte künftig in Serbien schlecht angesehen sein. In Sarajevo häuften sich die Äußerungen, daß der Westen ihn unterstütze.

Avramovic saß Anfang der neunziger Jahre kurz als Wirtschaftsminister in der serbischen Regierung und mußte wegen eines Streits mit Milosevic gehen, nachdem er sich für Rentner und sozial Benachteiligte eingesetzt hatte. Danach lebte er lange Zeit im Westen und knüpfte dort Kontakte zur europäischen Sozialdemokratie. Der finnische Präsident Martti Athisaari betonte auf einer Pressekonferenz in Sarajevo, der 70jährige Avramovic sei sein "persönlicher Freund".

Im Gegensatz zu Milosevic nahm auch der westlich orientierte Präsident von Montenegro, Milo Djukanovic, an der Konferenz teil und gab nach Ende der Sitzung am Freitag seine eigene Pressekonferenz. Er sagte, Milosevic sei Vergangenheit für den Balkan und für Montenegro; sollte Belgrad in den nächsten zwei Monaten nicht auf den Vorschlag von Montenegro über die neuen Regelungen der Beziehungen zwischen diesen beiden Teilen Jugoslawiens reagieren, werde Montenegro selbst die ersten Schritte auf dem Weg zur Unabhängigkeit unternehmen.

Der kroatische Präsident Franjo Tudjman hingegen boykottierte den ersten Tag der Konferenz und schickte seinen Außenminister Mato Granic. Tudjman sieht Kroatien nicht als Teil des Balkans, sondern als Teil Mitteleuropas. Die Zuordnung Kroatiens in die Gruppe der Balkan-Staaten wird in Zagreb als Niederlage der eigenen Außenpolitik begriffen.

Obwohl die Balkan-Staaten die wichtigsten Handelspartner Kroatiens sind und in Zukunft auch bleiben werden, orientiert sich Tudjman stärker an der europäischen Integration. Ähnlich verhielt es sich bei den Delegationen aus Slowenien und Ungarn, die ebenfalls ungern an der Balkan-Konferenz teilnahmen.

Um so glücklicher war Zlatko Lagumdzija, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei von Bosnien-Herzegowina (SDP). Auf ihn setzen sowohl der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch andere sozialdemokratische Parteien in der EU große Hoffnungen.

Lagumdzija biedert sich entsprechend an: In Sarajevo präsentierte er sich als Gastgeber der deutschen Delegation. Gegenüber Jungle World sagte er: "Ich hoffe, daß das, was in Sarajevo heute passiert ist, das Ende der Herrschaft von nationalistischen Parteien (SDA, HDZ und SDS beispielsweise) bedeutet, die Fortschritte in jeder Hinsicht zunichte machen und mit denen es keine Integration in Europa geben kann. Ohne ökonomischen Fortschritt aber ist in Bosnien-Herzegowina kein gesellschaftlicher Fortschritt möglich."

Bosnien-Herzegowina steht zur Zeit vor der Privatisierung vieler bislang noch staatlicher Unternehmen. Ausländische Investoren sollen sich künftig sowohl durch Joint-Ventures als auch durch direkte Investitionen am Ausverkauf beteiligen können. Dies betrifft vor allem die Stadt Sarajevo, in der die Spuren des Krieges von 1992 bis 1995 immer noch sichtbar sind.

Zwar ist das Zentrum der Stadt weitgehend intakt, aber je weiter man sich von dort entfernt, desto mehr nehmen die Zerstörungen zu. Einzelne Objekte werden schon jetzt von ausländischen Investoren renoviert - je nach Interesse der Geldgeber: Islamische Staaten beteiligen sich an der Renovierung und am Neubau von Moscheen, die in Sarajevo immer zahreicher werden; Griechenland gab das Geld für die Instandsetzung einer orthodoxen Kirche im Zentrum der Stadt; die katholische Kirche eröffnete vor einigen Jahren ein Schulzentrum, überwiegend für kroatische Kinder und Schüler aus Sarajevo.

William Clinton wiederum nutzte seinen Aufenthalt in Sarajevo, um das Dritte Gymnasium einzuweihen, das während des Krieges zerschossen worden war und nun mit Hilfe von US-Geldern wiedergebaut wurde. So baut sich jeder seinen eigenen Teil von Sarajevo. In dieser Hinsicht war Sarajevo wohl der geeignete Ort, um über den geplanten Wiederaufbau des Balkans zu beraten.