Keine Macht den Gottlosen

Der tschetschenische Warlord Bassajew kämpft in Dagestan für einen islamistischen Kaukasus

Im Kaukasus stehen die Zeichen auf Krieg. Am Sonntag starteten russische Fallschirmjäger eine Offensive auf strategisch wichtige Höhen in der Gebirgsregion Dagestans, die von islamistischen Rebellen gehalten werden. Unterstützt wurden die russischen Truppen aus der Luft. Russische Nachrichtenagenturen meldeten, bei heftigen Gefechten seien am Wochenende mindestens 80 Aufständische getötet worden. Nach Angaben aus dem Moskauer Innenministerium halten die Rebellen sieben Bergdörfer in der dagestanischen Grenzregion zu Tschetschenien besetzt.

Nach monatelangen Scharmützeln entlang der tschetschenischen Grenze war der Konflikt am vorletzten Wochenende offen ausgebrochen. Etwa tausend bewaffnete Islamisten waren aus Tschetschenien kommend in die benachbarte russische Teilrepublik Dagestan eingefallen. Letzte Woche dann riefen die Rebellen eine unabhängige islamische Republik Dagestan unter Führung des Schura-Rates aus.

Als Anführer der Rebellengruppe outete sich Schamil Bassajew, ein tschetschenischer Warlord. Im Krieg gegen russische Truppen hatte er 1996 an der Spitze der tschetschenischen Freischärler die Hauptstadt Grosny zurückerobert. Von Januar bis Juni 1998 war er unter Präsident Aslan Maschadow Premierminister, dann übernahm er die Führung des "Kongresses der Völker von Tschetschenien und Dagestan", um sich mit ganzer Kraft der "Befreiung und Vereinigung" beider Staaten zu widmen.

Er sei von den dagestanischen Rebellen zu ihrem Führer gewählt worden, ließ Bassajew vergangene Woche der Presse mitteilen. Die Wahhabiten - Anhänger einer in Saudi-Arabien verbreiteten fundamentalistischen Sekte - hätten ihn zu Hilfe gerufen. Kurz darauf erklärte Bassajew auf einer Pressekonferenz in einem der besetzten Dörfer, "keine Macht der Erde außer dem Allmächtigen" könne die Gotteskrieger bei ihrem Vorhaben stoppen, die Russen und "Ungläubigen" aus dem Nordkaukasus zu werfen.

In Dagestan allerdings hält sich die Begeisterung für diesen "Heiligen Krieg" in Grenzen. Bassajews Idee eines islamistischen Kaukasusgroßreiches wird unter den 36 Nationalitäten des Staates der Russischen Föderation als unrealistisch angesehen. Schließlich werden fast 90 Prozent des dagestanischen Budgets von Moskau finanziert.

"Wir hatten in unserer ganzen Geschichte Probleme mit Rußland, doch das Schicksal Dagestans ist mit der Russischen Föderation verknüpft", sagte der Vorsitzende der dagestanischen Nationalversammlung, Mukhu Alijew, am vergangenen Donnerstag. Dagestanische Polizeitruppen unterstützen die russischen Einheiten, und die dagestanischen Behörden heben bewaffnete Freiwilligenverbände aus. Auch die dagestanischen Imame erheben ihre Stimme gegen die wahhabitische Häresie. In lokalen Fernsehsendern bezeichneten die Muslimchefs die Rebellen als Verräter.

Aber die Situation in Dagestan ist alles andere als stabil. Nach Angaben von Le Monde kontrollieren mafiose Clans die Haupteinnahmequellen des Landes: Handel mit Öl und Kaviar und eine florierende Entführungsindustrie. In den vergangenen beiden Jahren sind rund 40 Politiker und Geschäftsleute den Rivalitäten zum Opfer gefallen. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 80 Prozent, und so zieht es insbesondere junge dagestanische Männer in die tschetschenischen Ausbildungscamps unter Bassajew.

Neben Bassajew stehen der tschetschenische Warlord Salman Radujew und der aus Jordanien stammende Khattab, der nach Informationen des Time Magazine einst in König Husseins Leibwache diente, hinter der Invasion in Dagestan. Die drei Warlords sind zugleich Widersacher des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, Chef des tschetschenischen Pseudo-Staates mit dem zersplitterten Gewaltmonopol. Sie werfen ihm Unterwürfigkeit gegenüber Moskau vor, das die 1996 proklamierte Unabhängigkeit der Kaukasusrepublik nicht anerkennt.

In Grosny weist man jede Verwicklung der Regierung in die Kämpfe von sich. Ein Präsidentensprecher sagte: Nur "irregeleitete" Tschetschenen seien unter den Kämpfern. Wegen der anhaltenden Kämpfe in Dagestan wurde am Samstag im tschetschenischen Fernsehen ein Erlaß zur Verhängung eines vierwöchigen Ausnahmezustandes verlesen; alle Militäreinheiten und insbesondere die Grenztruppen sollten ab Montag in höchste Alarmbereitschaft versetzt und eine nächtliche Ausgangssperre sollte verhängt werden.

Tags zuvor hatte der russische Ministerpräsident Wladimir Putin angekündigt, russische Truppen würden nicht zögern, die islamistischen Rebellen auch in Tschetschenien anzugreifen. "Tschetschenien ist russisches Territorium, und wo immer sich die Kämpfer aufhalten, werden wir sie schlagen", sagte er gegenüber einer Gruppe russischer Regionalfürsten. Bislang scheinen die Kämpfe hauptsächlich auf Dagestan beschränkt zu sein; ein russischer Luftangriff soll jedoch nahe der Ortschaft Kenkhi auf der tschetschenischen Seite der Grenze zu Dagestan geflogen worden sein.

Nach russischen Angaben helfen Söldner aus dem Mittleren Osten Bassajews Truppen. Der russische Außenminister Igor Iwanow sandte der Washington Post zufolge am Samstag einen Brief an UN-Generalsekretär Kofi Annan und Kopien an die Außenminister der restlichen sieben G 8-Staaten und den Vorsitzenden der Organisation der Islamischen Konferenz, in dem er sich jede Einmischung in den Konflikt verbat. Rußland habe "unbestreitbare Beweise" ausländischer Hilfe für die islamistischen Rebellen, und "jede Form von Unterstützung für die Terroristen und ihre Aktionen werden als grobe Einmischung in Rußlands innere Angelegenheiten mit allen möglichen Konsequenzen betrachtet".

Für Rußland steht einiges auf dem Spiel: Eine Niederlage gegen die islamistischen Rebellen

in Dagestan würde einen endgültigen Verlust Tschetscheniens bedeuten. Auf dem Spiel stehen zudem die Kontrolle der Pipeline zum Export des Öls vom Kaspischen Meer und der sowieso schon geschwächte russische Einfluß im Transkaukasus, in Georgien und Aserbaidschan.

Noch in der vergangenen Woche hatten die russischen Truppen weitgehend auf Luft- und Artillerieangriffe vertraut. Daß man so nicht gegen die in den unwegsamen Bergdörfern verschanzten Rebellen siegen kann, ist Moskau klar: Neben Elitetruppen des Innenministeriums (Omon) wurde nach Angaben des russischen Senders NTV auch die auf Gebirgskrieg spezialisierte 58. Armee aus Wladikawkas nach Dagestan verlegt. Sie soll, erklärte Boris Jelzins am Donnerstag vergangener Woche im russischen Fernsehen, "wie geplant, allmählich und ohne Hast das Problem lösen".

Das klang wie das Pfeifen im Walde. Der Kaukasus-Experte am Moskauer Carnegie Institute, Pavel Felgenhauer, jedenfalls sagte in der Moscow Times dem russischen Militär ein erneutes Desaster voraus: Die effizienten Truppen befänden sich auf "Friedenssicherungsmissionen" in Abchasien, Bosnien und im Kosovo, die Koordination und das Vertrauensverhältnis zwischen Innenministerium und Verteidigungsministerium seien schlecht.

In Moskau selbst ist die Lage nicht viel gemütlicher. Erstmals seit Beendigung des Tschetschenienkrieges patrouillieren dort wieder Militärfahrzeuge durch die Straßen, berichteten russische Zeitungen.

Und die Gerüchteküche brodelt: So spekulierten die Tageszeitung Versia und das Wochenblatt Segodnja, Alexander Woloschin, Jelzins Verwaltungschef im Kreml, habe sich mit Bassajew getroffen, um den Ausbruch des Konflikts zu planen. Und Alexei Mulaschenko vom Carnegie Institute meinte in der St. Petersburg Times vom vergangenen Freitag, die Kämpfe sähen aus wie "inszeniert" und könnten als Anlaß für einen die Duma-Wahlen im Dezember aussetzenden Notstand genommen werden.