Deutsche House-Musik

Sound der Mitte

Jeder Stadt wird nachgesagt, einen bestimmten Sound zu haben. In Hamburg wird gerockt, in Köln elektronisch herumgefrickelt, und Berlin gilt als Technocity. Gerade Vier/Viertel-Rhythmen, bums-bums-bums-bums und immer voll auf die Zwölf. Raven, bis die Haare leuchten. Doch außer dem Tresor, der weiter tapfer die Technofahne schwenkt, gibt es in der geographischen Berliner Mitte keinen reinen Technoclub mehr und in der ideellen Neuen Lifestyle-Mitte vermißt das eigentlich auch niemand.

Die Lifestyle-Mitte hat ihr Gravitationszentrum rund um die hippen Galerien in der Auguststraße und trifft sich im WMF, einem Club auf halbem Weg zwischen dem Tacheles und dem Friedrichstadtpalast. Die Einrichtung des WMF besteht aus Sesseln, Sofas und Bars aus dem Palast der Republik, glüht also in postsozialistischem Charme, wird illuminiert von wechselnden Dia- und Videoinstallationen, und dort läuft allsamstäglich House Music.

Von House gibt es ja nun ungefähr soviele Spielarten, wie das electronic-music-village Gebäude hat. Und der Sound des WMF, so wie er sich auf "Off Limits", der Mixplatte von DJ Dixon darstellt, gibt sich geschichtsbewußt. Da werden alte Deep House-Stücke mit genauso alten und raren New Yorker Tracks vermischt und das wiederum ergänzt durch Londoner und Berliner Produktionen. Dixon ist Teil des Sonar Kollektivs, einer Gruppe von DJs, Musikproduzenten, Party-Organisatoren und Labelmachern, die fast überall, wo es in Berlin um Geschmackssicherheit im Clubkontext geht, ihre Finger im Spiel haben.

Alles in allem tönt das sehr schön und rund: Brüche sind hier keine vorgesehen. Altes und Neues, instrumental und mit Gesang, eins fügt sich ins andere. Die Platte pflegt zur Geschichte des House ein ähnliches Verhältnis wie der Club WMF zu seiner Inneneinrichtung. Wir nehmen uns, was uns gefällt - alles, was gut aussieht oder sich so anhört, ist auch gut. Geschichte nehmen wir gerne hin, aber wir leeren ihre Zeichen vom historischen Gehalt. Die Neue Lifestyle-Mitte. Die wahren Sieger haben keine Siegerposen nötig.

Im Ruhrpott sieht das alles anders aus. Rund um das Lost Vegas-Label ist Geschmackssicherheit nur ein Nebeninteresse. Die Hauptfrage ist, pumpt es oder pumpt es nicht. Wenn nicht, will's eh keiner hören. Und so hat das Label eine Compilation zusammengestellt, die das ganze Spektrum von deutschen Houseproduktionen querschneidet: die "German House Suite". House hatte in den vergangenen Jahren keinen einfachen Stand in den hiesigen Breiten, deutsche House-Produktionen waren kaum der Rede wert.

Das scheint nun anders zu sein, und die "German House Suite" versucht, dem Rechnung zu tragen. Auch das Sonar Kollektiv ist mit einem Stück vertreten, zwischen allen möglichen anderen Produzenten aus allen Ecken des Landes. Von Hans Nieswandt aus Köln und Ian Pooley aus Mannheim bis zu Vicenzo aus Hamburg hat jede Stadt ihren Repräsentanten entsandt.

Der Schwerpunkt allerdings liegt auf dem Ruhrpott und den Produktionen aus dem eigenen Umfeld. Und die plündern relativ hemmungslos alle bekannten Rezepte, eine Tanzfläche in Bewegung zu setzen. Deep House-Stimmen, French House-Herumgefilter, angedeutete Pianos, Funk-Bässe - und herauskommen Tracks wie Muttern. Ein Plattenteller dreht sie, und sie schrauben und schrauben und schrauben.

Off Limits: Mixed and compiled by Dixon. Sonar Kollektiv/ Groove Attack German House Suite. Lost Vegas/ NTT