Experten in der Warteschleife

Austauschbar bis auf die Buchstaben. Von Djindjic bis Dinkic forderten die serbischen Oppositionellen auf ihrer Demonstration in Belgrad dasselbe wie Milosevic: Neuwahlen. Die Frage ist nur, wann gewählt wird

Etwa 150 000 Serben wurden am 18. August Zeugen, wie zerstritten die Oppositionsgruppen Jugoslawiens sind. Als Vuk Draskovic, Chef der Serbischen Erneuerungsbewegung und ewig zwischen Regimetreue und Aufmüpfigkeit hin- und hergerissener Politiker, gemeinsam mit dem Chef der Demokratischen Partei Zoran Djindjic auf der Bühne vor dem jugoslawischen Bundesparlament stand, brach plötzlich erheblicher Tumult aus: Die reichlich vorhandenen Bodyguards der beiden Oppositionsköpfe lieferten einander eine nette kleine Rempelei.

Daß Draskovic überhaupt auf der Kundgebung anwesend war, schien schon so etwas wie ein Hinweis auf die neue Einigkeit der serbischen Opposition zu sein. Tage zuvor hatte er seine Teilnahme noch abgesagt. Die Gerüchteküche in Belgrad brodelte daraufhin hoch: Angeblich habe es ein Treffen zwischen Draskovic und dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic gegeben, bei dem ein Deal ausgehandelt worden sei. Draskovic sollte seine Teilnahme an der Kundgebung absagen, dafür würde Milosevic vorgezogenen Neuwahlen im November zustimmen. Für Draskovic wäre damit das Ziel, endlich jugoslawischer Premier zu werden, ein kleines Stück näher gerückt. Wenn seine Serbische Erneuerungsbewegung erneut als stärkste Partei aus den Wahlen hervorginge, hätte er beste Chancen auf den Posten des Regierungschefs. Doch offensichtlich ist der Deal geplatzt.

Schließlich scheint auch die Aufregung Milosevics über die Kundgebung etwas übertrieben zu sein. Zoran Djindjic hatte den Präsidenten schon Mitte Juli zum Rücktritt aufgefordert und versprochen, mindestens eine halbe Million Teilnehmer würden die Demonstration besuchen. Die politische Wettervorhersage lieferte Djindjic auch gleich mit: Er prophezeite Milosevics Sturz zuerst für Ende Juli, dann für den Tag der Kundgebung und ist nun bei Mitte September angekommen. Die ständige Verschiebung der Prognosen zum Abgang des jugoslawischen Präsidenten hat auch die Bevölkerung nicht unbedingt in ihrem Willen gestärkt, das Ende des Regimes herbeizuführen.

So hat diese Demonstration Milosevic eher genutzt als geschadet: Viele Teilnehmer verließen die Veranstaltung noch vor ihrem Abschluß, rund 400 000 der Prophezeiten kamen erst gar nicht. Das Staatsfernsehen spöttelte derweil, daß nicht sicher sei, wer nun unzufriedener mit dieser Opposition sein müsse: Die Organisatoren oder die Nato, die das Event angeblich zwei Monate lang intensiv vorbereitet habe.

Zumindest einer dürfte unzufriedener geworden sein: Vuk Draskovic. Zwar beklagte er in salbungsvollen Worten, Serbien sei zu einem Gefängnis verkommen, wandelte sich aber recht schnell zum unfreiwilligen Botschafter Milosevics: Vorzeitige Neuwahlen sollten für einen friedlichen Übergang sorgen, das System müsse von innen bekämpft werden. Seine Rede war schnell beendet: Demonstranten begannen, ihn auszupfeifen und diverse ältere Lebensmittel auf ihn zu werfen.

Großen Erfolg hatte dagegen Djindjic mit seinem Vorschlag, das Regime ganz zu beseitigen und eine Regierung der Experten einzuberufen, die ein Jahr Zeit haben sollte, Jugoslawien zu stabilisieren, um dann Wahlen möglich zu machen. Ein Experte hat sich schon qualifiziert: Mladjan Dinkic, Koordinator der Gruppe 17, eines mittlerweile auf rund 20 Wissenschaftler angewachsenen, 1997 gegründeten Bündnises. Dinkic gehörte zu den Organisatoren der Belgrader Demonstration und tritt ebenfalls für eine "Expertenregierung" ein, die das Land übergangsweise auf Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaat programmieren soll. Regierung und Opposition sollten in der Zeit eine "politische Waffenruhe" vereinbaren - und den "Experten" die Macht überlassen.

Doch auf eine solche Übereinkunft will Djindjic nicht warten. "Wahlen sind nur ein Weg für Milosevic, Zeit zu gewinnen", analysierte der in Deutschland ausgebildete Philosoph. 15 Tage gab Djindjic Milosevic noch, um zurückzutreten. Allerdings blieb er die Erklärung schuldig, mit welchen Sanktionen dem Präsidenten gedroht werden sollte, wenn er das Ultimatum verstreichen ließe.

Momentan sieht es eher so aus, als müßte sich Milosevic auch nach dem Ablaufen dieser Frist keine Sorgen um seine Zukunft machen. Denn die verpatzte Großdemo könnte die Opposition um die Unterstützung der serbisch-orthodoxen Kirche gebracht haben. Während Erzbischof Artemije in den vergangenen Wochen Milosevic mehrmals zum Rücktritt aufgerufen hatte, will die Kirche nun nur noch als "Vermittler zwischen Regierung und Opposition" dienlich sein.

Die Oppositionschefs, das hat sich spätestens am letzten Donnerstag gezeigt, sind sich selbst ihr schlimmster Feind. Die Machtergreifung wird durch sie selbst blockiert und Milosevic muß die Schlüssel für die Präsidentenvilla im Stadtteil Dedinje noch nicht abgeben. Nachhaltigster Effekt des Events dürfte nun die Einsicht der Regimegegner sein, daß mit dieser Opposition kein Politikwechsel, sondern höchstens der Aufbruch in ein chaotisches Machtvakuum zu machen ist.

Die bisherige Chefin der "Bürgerlichen Allianz" und ehemalige Verbündete Djindjics und Draskovics, Vesna Pesic, hat das schon vorher erkannt. Bereits zwei Wochen vor der Belgrader Demonstration sagte sie auf einer Kundgebung in der Provinz: "Es könnte sein, daß Serbien für den Machtwechsel das rumänische Modell wählt." Dieser Satz hat ihr jetzt eine Anklage wegen Aufrufs zum Verfassungsbruch eingebracht. Darauf stehen zehn bis 20 Jahre Haft.