Kapital ohne Vaterland

Maastricht-Streber Portugal will aus "nationalem Interesse" eine Fusion im Bankensektor verhindern - und scheitert damit an der EU-Kommission

Eine merkwürdige Diskussion beherrscht seit Wochen die portugiesische Öffentlichkeit. Seit Ant-nio Champalimaud, einer der reichsten Männer des Landes, angekündigt hat, sein Finanzimperium mit der spanischen Bank Santander Central Hispano (BSCH) zu fusionieren, ist sein Ruf ruiniert: Von einem Tag auf den anderen gilt der "Patriot der alten Schule", wie er sich selbst gern bezeichnet, als Vaterlandsverräter. Die regierende Partido Socialista (PS), bisher glühende Verfechterin des freien Marktes und der EU-Integration, fürchtet hingegen den "Ausverkauf des Landes" an ausländische Investoren.

Für Champalimaud und die Regierung steht viel auf dem Spiel: Immerhin handelt es sich um eine der größten Übernahmen in der portugiesischen Finanzgeschichte. Die spanische Bank soll 40 Prozent der Anteile der Unternehmensgruppe erhalten. Im Gegenzug bekommt Champalimaud 1,6 Prozent der BSCH im Wert von 600 Millionen Euro.

Daß ausgerechnet der große Nachbar und Erzrivale seinen Einfluß auf die Wirtschaft des Landes erheblich ausbauen könnte, schürt die Emotionen. Denn das Champalimaud-Imperium beherrscht rund ein Fünftel des portugiesischen Finanzmarktes und damit auch einen großen Teil der nationalen Industrie. Außer der BPSM, dem derzeit drittgrößten Kreditinstitut des Landes, gehören noch der Versicherungskonzern Mundial Confianca sowie die Banken Totta & Acores und Credito Predial dazu.

Besonders Ministerpräsident Ant-nio Guterres, der zugleich PS-Vorsitzender ist, spuckte Gift und Galle: "Portugal ist keine Bananenrepublik", verkündete er in einem Interview. Seine Regierung werde sich zwar an EU-Normen halten, aber ebenso "die nationalen Interessen" und "die Achtung vor dem portugiesischen Staat" zu verteidigen wissen.

Mit allen Mitteln versucht die Regierung, gegen die Fusion vorzugehen. Mitte Juni legte sie ein Veto gegen die Übernahme ein - und riskierte dafür einen Konflikt mit der EU. Nachdem Champalimaud gegen das Veto geklagt hatte, hob die zuständige EU-Kommission es vorläufig wieder auf. Zum ersten Mal untersagte damit die Kommission einem Mitgliedsstaat, eine Fusion zu verbieten. Portugal habe nicht das Recht, einem Unternehmen aus einem anderen EU-Land vom Erwerb einer portugiesischen Firmengruppe abzuhalten, erklärte der zuständige EU-Kommissar Karel van Miert. Das verstoße gegen die Regeln des Binnenmarktes, da eine marktbeherrschende Stellung durch die Fusion nicht gegeben sei. Bis Anfang September kann die Regierung jetzt nur noch aufsichtsrechtliche Einwände gelten machen.

Schlechte Aussichten für die Regierung in Lissabon, die auf jeden Fall verhindern wollte, daß die Kontrolle über eine der Schlüsselbranchen des Landes in ausländische Hände gerät. Und sogar der sozialistische Finanzminister Sousa Franco, den ansonsten die Aura eines emotionslosen Technokraten umgibt, entdeckte angesichts der Offerte von Santander höhere Werte. "Die Nation kommt vor dem Markt, und es gibt menschliche Werte, die über den Geschäften stehen", sagte er.

Wie es der Zufall will, kündigte kurz darauf die zweitgrößte Bank Portugals, die Banco Comercial Portugués (BCP), eine Gegenofferte an. Sie will mit der verlockenden Aussicht auf eine Gewinnbeteiligung von rund 80 Prozent um die Gunst der Minderheitenaktionäre der Champalimaud-Gruppe werben. Für dieses Angebot müßte sie rund 4,4 Milliarden Mark aufwenden.

Eine solche Lösung des Konflikts, auch wenn sie unwahrscheinlich ist, käme der sozialistischen Regierung sehr gelegen. Denn diese hat alle Mühe, ihren Einspruch zu verteidigen. Guterres mache sich völlig unglaubwürdig, kritisierte etwa die liberale Wochenzeitung expresso. Schließlich galt bisher die Liberalisierung des Markts auch für die Sozialistische Partei als unantastbar, und die europäische Integration wurde noch von jeder Regierung als Schlüssel für eine goldene Zukunft angesehen.

Seit seinem EU-Beitritt hat Portugal eine beispiellose Aufholjagd gestartet und galt als einer der Musterschüler in Europa. Das Land erreichte alle Kriterien des Maastrichter Vertrages und verzeichnet in den letzten Jahren überdurchschnittliche Wachstumszahlen. Joint Ventures, wie z.B. Auto-Europa, das in Kooperation mit VW und Ford entstand, oder das Siemens-Endwerk für Computerchips tragen mittlerweile zu über zehn Prozent des Exportvolumens bei. Im jüngsten weltweiten Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit der Nationen liegt Portugal auf Platz 26 - und damit nur noch zwei Stellen hinter Deutschland.

Zu dem Boom beigetragen haben vor allem die hohen Zuwächse in den Konsumbranchen. Noch ein Vierteljahrhundert nach Ende der faschistischen Diktatur ist der Nachholbedarf enorm: In kaum einem anderen Land der EU steigt die private Nachfrage so schnell wie in Portugal. Die Handy-Dichte ist eine der höchsten in Europa, die Autohändler freuen sich über zweistellige Zuwachszahlen. Und wer sich die kleinen Träume nicht leisten kann, verschuldet sich: 1998 lagen die Verbindlichkeiten der privaten Haushalte schon bei 66 Prozent der Jahreseinkommen - dreimal soviel wie vor zehn Jahren.

Vielen bleibt auch kaum etwas anderes übrig, als auf Pump zu kaufen. Außerhalb der modernen Joint Ventures wird mit viel Personal und veralteten Maschinen produziert. Die Löhne in Portugal sind nach wie vor - trotz der geringen Arbeitslosenquote von derzeit knapp vier Prozent - die niedrigsten in der EU. Der Durchschnittsverdienst beträgt rund sechs Euro in der Stunde und liegt damit gerade mal bei einem Viertel des deutschen Niveaus. Die Preise allerdings haben den europäischen Standard schon erreicht.

Um den hohen Konsumbedarf zu decken, werden immer mehr Waren importiert. Insbesondere spanische Unternehmen und Finanzinstitute drängen aggressiv auf den Wachstumsmarkt in dem benachbarten Land. Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich das gegenseitige Geschäftsvolumen verzehnfacht. Aber während Portugal im vergangenen Jahr Waren im Wert von neun Milliarden Euro aus Spanien einführte, betrug der Export nur 3,1 Milliarden Euro. Die wachsende Kluft führt nun in Portugal zu der Angst vor einem ökonomischen Kolonialismus, während Spanien seinem Nachbarn eine protektionistische und ultra-nationalistische Haltung vorwirft.

Kein Wunder also, daß die Übernahme eines der wichtigsten portugiesischen Finanzdienstleister durch eine spanische Bank in Lissabon auf wenig Begeisterung stößt. Daß die sozialistischen Vorwürfe des Vaterlandsverrats dabei ausgerechnet Ant-nio Champalimaud treffen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Der Finanzmagnat, dessen Vermögen auf rund zwei Milliarden Mark geschätzt wird, hat seinen Besitz während der Diktatur von Ant-nio de Oliveiro Salazar aufgebaut.

Unter der faschistischen Herrschaft wurde die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik des Landes von einigen wenigen Familienunternehmen dominiert. Die einst unbedeutende Hausbank Pinto & Sotto Mayor (BPSM) profitierte von der Gunst des Diktators und entwickelte sich zu einem der größten portugiesischen Kreditinstitute - natürlich immer im Dienste des Vaterlandes. Der 81jährige Unternehmer Champalimaud verteidigte sich denn auch in einem Interview in expresso gegen seinen angeblichen "Verrat an nationalen Interessen": "Für mich hat das Kapital ein Vaterland, und dieses Vaterland ist die portugiesische Nation - auch wenn sie mich oft so schlecht behandelt hat".

Schlecht behandelt fühlte sich Champalimaud insbesondere während der Nelkenrevolution von 1974. Nach dem Sturz der Diktatur wurden Großgrundbesitzer und Banken enteignet; der Patriot wurde ins Exil nach Brasilien geschickt. 1980 kehrte er zurück, als die damalige sozialdemokratische Regierung die Reprivatisierung der Unternehmen und des Landbesitzes beschloß. Er erhielt seine Banken und Versicherungen wieder, mußte dafür aber versprechen, daß er sie nie an einen ausländischen Investor verkaufen würde. Eine Zusage, an die er sich heute nicht mehr so gern erinnert.

Für die Regierung in Lissabon stehen die Chancen, die Fusion in letzter Minute zu verhindern, denkbar schlecht. Gegen das Votum der EU und gegen den Willen eines der mächtigsten Unternehmer des Landes wird ihr vermutlich auch der plötzliche Anfall von Patriotismus kaum noch helfen können.

Inzwischen setzt sie auf einen Kompromiß, mit dem sie wenigstens das Gesicht wahren kann. Champalimaud soll seine Klage gegen das Regierungsveto zurückziehen, dafür werde die Fusion nicht mehr grundsätzlich behindert.