Landesfürst und General

Im deutschen Bundesland Brandenburg wird am 5. September gewählt. Der rechtskonservative Kandidat Schönbohm und Landesherr Stolpe sind auf Koalitionskurs

"Meisterhaft" sei das gewesen, wie Manfred Stolpe den Stasi-Vorwurf umgemünzt habe in ein Gefühl der Verbundenheit zwischen ehemaligen DDR-Bürgern. Jörg Schönbohm, bis letztes Jahr Innensenator der deutschen Hauptstadt Berlin und Rechtsausleger der Christdemokraten (CDU), nickt beinahe anerkennend in die Kamera des Fernsehmagazins Kontraste, wenn er den sozialdemokratischen Konkurrenten beschreibt.

Zehn Tage vor der Landtagswahl in dem ostdeutschen Bundesland Brandenburg versuchen Reporter, die Stimmung des Wahlvolkes einzufangen. Hauptaussage: Das Volk interessiert sich kaum für das Spektakel, CDU-Kandidat Schönbohm ist vielen Wählerinnen und Wählern unbekannt. Ansonsten bleibt wahrscheinlich fast alles beim alten, auch wenn die Regierungspartei SPD allen Voraussagen nach erhebliche Verluste zu erwarten hat. "Der Landesvater und der General" - so die Erwartungen - werden beide siegen: Zwar wird Stolpes SPD ihre absolute Mehrheit verlieren, aber CDU-Schlachtroß Schönbohm erweist sich als weniger kampfstark als gedacht. Obwohl er sich alle Mühe gibt, niemanden auszugrenzen. Auf Plakate der offen neofaschistischen DVU angesprochen, versucht er, Distanz zu wahren und gleichzeitig zu sagen: "Jede Stimme ist wichtig. Es gibt keine guten und schlechten Stimmen."

Manfred Stolpe und Jörg Schönbohm tingeln durch Brandenburg. Aus der Nähe betrachtet, weist der Wahlkampf der beiden Kontrahenten vor allem Gemeinsames auf: Die Veranstaltungen sind schlecht besucht, beide vermeiden das Thema Rechtsradikalismus, und beide geben sich überaus moderat. Kirchenadvokat Stolpe streichelt mit freundlicher Miene ein behindertes Kind im Rollstuhl, Ex-Bundeswehr-General Schönbohm läßt seinen Presseadjutanten ein wenig die Ordnung vermitteln, die er einzurichten droht: "Jede Landtagswahl ist ein Feldzug." Ungerührt von vergangenen und gegenwärtigen Entwicklungen verspricht Stolpe jedem Brandenburger Jugendlichen einen Ausbildungsplatz (derzeit suchen noch 17 000 vergeblich). Schönbohm hält seine Versprechungen lieber allgemein: Die Brandenburger sollen von der Alleinherrschaft der SPD "erlöst" werden.

Ministerpräsident Stolpes Schattenkabinett birgt kaum Überraschungen: Es sieht nur eine Veränderung vor - der im Oktober ausscheidende Landeswirtschaftsminister Burkhard Dreher (SPD) soll durch den parteilosen Chef der brandenburgischen Industrie- und Handelskammer, Peter Egenter, ersetzt werden. Egenter gilt als Unternehmensvertreter, der auch in der Vergangenheit vor Kritik an der Landesregierung nicht zurückschreckte. Ein Tribut an die Modernisierungstruppe der SPD. Ansonsten wirkt die Brandenburger SPD-Liste vom Geschlecht her streng quotiert und altersmäßig durchmischt. Nach Stolpe, der im Brandenburgischen auch mal "Landesfürst" genannt wird, folgen die ebenfalls populäre amtierende Sozialministerin Regine Hildebrandt und SPD-Landesgeschäftsführer Klaus Ness.

CDU-Spitzenkandidat Schönbohm will die absolute SPD-Mehrheit brechen. Anvisiert sind 25 Prozent der Stimmen, und die aktuellen Umfragen sagen der CDU auch ein Wahlergebnis in dieser Größenordnung voraus. Vor fünf Jahren waren es 18,7 Prozent. Damals erreichten die Sozialdemokraten 54,1 Prozent. Den Voraussagen zufolge werden sie diesmal noch 42 bis 45 Prozent erhalten. Bis zum Juli sanken die Umfragewerte für die SPD, während die CDU stetig zulegen konnte. Doch die dünne Personaldecke der Brandenburger CDU ist deutlich sichtbar - Schönbohm hat im Gegensatz zu Stolpe keine einigermaßen kompetent erscheinende Ministeranwärter zu bieten. Er ist bei den Wahlveranstaltungen auf die Hilfe der Parteifreunde aus dem Westen angewiesen, denn das einheimische Parteivolk ist klein und seit Jahren vor allem mit sich selbst beschäftigt. Schon seit langem nehmen die Brandenburger vor allem die Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) als aktive Opposition zum Herrschaftszirkel um Stolpe wahr.

Nur acht Prozent aller Brandenburger wollen Schönbohm zum Ministerpräsidenten küren. Trotzdem sind sich viele Beobachter sicher, daß das Wahlergebnis ohne den Kandidaten Schönbohm auf konservativer Seite längst zu Gunsten Stolpes feststünde. Ein Ministerpräsident Schönbohm erscheint noch unwahrscheinlicher als der Einzug der Freien Demokratischen Partei (FDP) in den Landtag. Dennoch könnte der sich volkverbunden gebende Berliner Rechtsaußen die Brandenburger Landespolitik künftig entscheidend beeinflussen. Sollte die absolute Mehrheit für Stolpe verloren gehen, ist eine Koalition mit der CDU nicht ausgeschlossen. In einer aktuellen Umfrage votierten 54 Prozent der Wähler für eine "große Koalition" aus SPD und CDU und lediglich 32 Prozent für eine Regierungsmannschaft aus SPD und PDS. Stolpe selbst hat sich sehr früh zu möglichen Koalitionen geäußert - eine Zusammenarbeit mit der PDS lehnte er kategorisch ab.

Aber die PDS-Genossen können dennoch in Hoffnungen schwelgen, denn die jüngsten Umfragen stellen ihnen einen Stimmenzuwachs in Aussicht, der die Landtagsfraktion erheblich vergrößern würde: Von bisher 18,7 Prozent wird das Ergebnis der PDS demnach auf "20 Prozent plus X" steigen. Sollte das zutreffen, wird ein beachtlicher Teil der neuen PDS-Klientel aus der SPD stammen. Ein Papier des Bundestagsfraktionschefs Gregor Gysi, das den Anschluß an sozialdemokrtische Positionen sucht, wird vom brandenburgischen PDS-Vorstand in weiten Bereichen geteilt. Und da Stolpe weder einen linken Vermögenssteuer-Vorstoß aus dem westlichen Bundesland Saarland unterstützt, noch in anderen Bereichen gegen den Bundeskanzler opponiert, könnte es sein, daß frustrierte Sozialdemokraten zu Wechselwählern werden.

Auch diese Klientel will die PDS erschließen. So richtig angebaggert wird das Brandenburger Wählervolk aber vor allem mit der populären Ossi-Masche: Eine Unterschriftenkampagne fordert mehr Gerechtigkeit für die Ostbürger. In dem Aufruf wird das Sparpaket der Bundesregierung kritisiert, die Angleichung der Ost-Löhne an West-Niveau und eine Vermögenssteuer gefordert. Auch die Ost-Renten sollen angepaßt und DDR-Qualifikationen anerkannt werden. Diese Forderungen sind in der PDS selbst und ihrem Umfeld nicht umstritten, wohl aber die Art der Präsentation. Die Form der Unterschriftenkampagne sei "a priori populistisch" räumte PDS-Pressesprecher Hanno Harnisch ein.

Die Brandenburger haben am Wahlsonntag noch andere Möglichkeiten. Sowohl die an der deutschen Regierung beteiligten Grünen als auch die FDP kämpfen um die Etablierung ihrer Parteien im Osten. Während jedoch die FDP vom Wähler als schlicht nicht notwendig wahrgenommen wird, wirkt sich bei den Grünen laut Umfragen die Bundespolitik negativ aus. Nach einem kurzen Intermezzo in einer märkschen Ampelkoalition zwischen 1990 und 1994 waren die Bündnisgrünen bei der letzten Landtagswahl mit 2,9 Prozent der Stimmen aus dem Potsdamer Parlament geflogen. Allerdings ist die Hoffnung auf ein vorzeigbares Ergebnis nicht ganz so aus der Luft gegriffen wie bei der FDP: Fünftausend Stimmen mehr als bei der Bundestagswahl 1998 würden den Grünen den Einzug in den Landtag bescheren.

Bleibt noch die DVU. Planziel der extremen Rechten ist es, in Brandenburg so abzuschneiden wie in Sachsen-Anhalt, um eine Fraktion bilden zu können. Die aus der bayerischen Hauptstadt München gesteuerte Truppe erreicht in Umfragen drei bis vier Prozent. Ein höheres Ergebnis am Wahltag ist nicht ausgeschlossen, aber für die DVU dürfte sich CDU-Kandidat Schönbohm als wirkliche Konkurrenz erweisen.