Skurrile Erscheinungen

Auch nach dem AIZ-Prozeß weiß allein Allah, ob es in Deutschland die "terroristische Vereinigung" Antiimperialistischen Zellen jemals gegeben hat

Am 1. September wird im sogenannten AIZ-Prozeß gegen die beiden "ersten muslimischen politischen Gefangenen deutscher Nationalität" Michael Steinau (32) und Bernhard Falk (31) das Urteil gefällt. Die statistische Bilanz in diesem Staatsschutzverfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf: 130 Verhandlungstage, fünf Richter des 6. Strafsenats haben rund 200 ZeugInnen vernommen, Hunderte beweisfähige Artefakte gesichtet, wohl über tausend Schriftstücke gelesen, Dutzende Verfassungsschützer und BKA-Fahnder in Sachen verdeckte Observationstechniken gehört, den Ausführungen kriminalpolizeilicher Experten über satellitengestützte Hochtechnologiefahndung gelauscht.

Das im November 1997 begonnene Verfahren gegen die Antiimperialistischen Zellen (AIZ) wird wohl als der vorerst letzte große Terroristenprozeß in die bundesdeutsche Justizgeschichte eingehen. Für die Strafverfolgungsbehörde ist die Beweislage klar: Beide Männer seien Mitglieder der "terroristischen Vereinigung Antiimperialistische Zellen" und hätten in den Jahren 1994 und 1995 insgesamt sechs Sprengstoffanschläge begangen sowie ein Attentat auf den SPD-Politiker Freimut Duve geplant. Die Tötung von Menschen hätten sie dabei "billigend in Kauf genommen". In einem knapp vierstündigen Plädoyer rechnete Oberstaatsanwalt Peter Ernst "mit der skurrilsten Erscheinung, die die Linke hervorgebracht hat", ab.

Jedoch mußte der Anklagevertreter einräumen, daß es nach über 20 Monaten Verhandlung lediglich gelungen sei, eine Fülle von Indizien zusammenzutragen. Diese seien in ihrer Einzelaussage nicht unbedingt schlüssig, die Gesamtwürdigung lasse jedoch "keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft der beiden Angeklagten zu". Er forderte 14 Jahre Knast für Bernhard Falk und elf für Michael Steinau.

Eine hohe Strafforderung - für Steinau wenigstens, angesichts der Tatsache, daß der mittlerweile strenggläubige Muslim während der Verhandlung ein Teilgeständnis ablegte und seine Tatbeteiligung an mehreren Anschlägen der Antiimperialistischen Zellen eingestand: "Ein Fehler, den ich aus Unglauben begangen habe." Sein schiitischer Glaubensgenosse, der Einser-Abiturient Falk hat dagegen von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht. Die beiden ehemaligen Physikstudenten waren im Februar 1996 von einem Sondereinsatzkommando festgenommen worden. Der Anklagevertreter: "Der Spuk war von einem Tag auf den anderen vorbei. Es ist fast so, als hätte es die AIZ nie gegeben."

Sind die Antiimperialistische Zellen möglicherweise eine Fiktion? Ein Konstrukt der BAW, um die Weiterexistenz des Strafverfolgungsapparates in Karlsruhe und Wiesbaden zu legitimieren, nachdem die RAF den bewaffneten Kampf eingestellt hatte? Hat der Verfassungsschutz gar die AIZ in der Öffentlichkeit wider besseren Wissens zur "gefährlichsten Terrortruppe von 25 bis 50 Personen" aufgeblasen, obwohl lediglich zwei Personen als mögliche Mitglieder schon längst in ihr Visier geraten waren? Waren die Ermittlungen gegen Steinau und Falk möglicherweise ein Testlauf für die Verschmelzung nachrichtendienstlicher und polizeilicher Tätigkeit beim VS, wie es Steinaus Anwalt Johannes Pausch in seinem Plädoyer unterstellt?

Fest steht: Zwischen 1992 und 1996 übernahmen sogenannte Antiimperialistische Zellen die Verantwortung für mehrere Sprenstoffanschläge, die Sachschaden angerichtet hatten. In immer abstruseren Erklärungen schwafelten sie von einer weltweiten antiimperialistischen Front mit islamistischen Bewegungen: "Wir haben den islam als revolutionäre waffe in voller schärfe und schönheit kennenlernen dürfen."

Fest steht zudem: Das Fahrzeug von Michael Steinau wurde am Abend des Anschlags auf das peruanische Generalkonsulat in Düsseldorf in der Nähe des Tatortes mit Hilfe eines sogenannten Global Positioning Systems (GPS), einem satellitengesteuerten Positionsbestimmungsgerät, geortet. Und: Der Ex-Autonome Steinau hat seine Beteiligung an drei Sprengstoffanschlägen eingestanden. "Meine Beteiligung ist nicht unwesentlich für das Stattfinden der Aktion gewesen." Fest steht allerdings auch: Die Benennung der für das Konstrukt einer "terroristischen Vereinigung" juristisch unabdingbaren dritten Person ist die Strafverfolgungsbehörde bis heute schuldig geblieben.

Mit zweifelhaften Behauptungen strickte sie ein Geflecht von Antiimperialistischen Zellen, in denen sich Steinau und Falk bewegt haben sollen. Mindestens bis Ende 1994 habe es, so behauptet Oberstaatsanwalt Ernst, eine solche, aus mehreren Personen bestehende Gruppe gegeben, deren "Absicht die Verübung terroristischer Straftaten gewesen" sei. Die Gruppierung sei jedoch in dem Moment auseinandergefallen, als Steinau und Falk auch Anschläge auf Menschen in Betracht gezogen hätten. Eine weiterer Bruch sei die Hinwendung der beiden Angeklagten zum "revolutionären Islam" gewesen.

Diese Annahmen stützt die Bundesanwaltschaft auf die Aussage einer, wie sie selbst einräumen muß, nur bedingt glaubwürdigen Zeugin. Die präsentierte sich kurz nach Prozeßeröffnung in Spiegel-TV mediengerecht als der fehlende "dritte Mann". Ihre sich widersprechenden Aussagen riefen bei vernehmenden Staatsschutzbeamten jedoch nur heftiges Kopfschütteln hervor. Auffällig blieb die sehr zurückhaltend inszenierte Präsentation der Zeugin vor Gericht.

Auch eine monatelang durchgeführte geheimdienstliche Aktion förderte nicht gerade umwerfende Indizien zu Tage. Das Haus von Bernhard Falks Mutter wurde mit drei Kameras systematisch überwacht, ihr Telefon abgehört, das Fahrzeug verwanzt. Aus einer konspirativen Wohnung heraus wurde die Aktion gesteuert. "Bruder geht zur Mülltonne", "Mutter schaut kurz aus der Eingangstür", "Falk betritt mit einer Aktentasche das Grundstück", protokollierten die Observanten.

Die beiden Falk-Anwälte, Edith Lunnebach und Heinrich Comes, plädieren dafür, ihren Mandanten nach über dreijähriger Untersuchungshaft freizulassen und mangels Beweises freizusprechen. Die Verteidigung von Steinau forderte Freispruch vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und für die eingestandene Beteiligung an den Anschlägen eine Freiheitsstrafe von deutlich unter zehn Jahren. Michael Steinau wurde von dem forensischen Gutachter Norbert Leygraf eine "verminderte Schuldfähigkeit" wegen einer frühkindlichen organischen Hirnschädigung attestiert.

Bernhard Falk läßt sich von den Verfahrensdetails nicht sonderlich beeindrucken, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung groß ist. Der "öffentlich exponierteste Vertreter der Fundamentalopposition in der BRD", wie er sich selbst nennt, studiert seit Jahren den Koran: "Jeden Tag, an dem ich gegen die Politik der USA, der BRD und des Zionismus politisch aktiv sein darf, ist ein Geschenk von Allah, ta'ala."