Tiger leben länger

Asienpfanne, Teil I: Zwei Jahre nach der Krise investieren die Kapitalanleger wieder in der Region - bis zum nächsten Crash

Asien ist wieder da, die Krise längst ausgestanden. Rating-Agenturen, Banken und Investmenthäuser aus Europa und Nordamerika empfehlen ihren Kunden derzeit, wieder Geld in Japan oder den einstigen Tigerstaaten anzulegen. Das sei zwar risikoreich, würde sich aber dennoch lohnen. Die US-Fondsgesellschaft Fidelity beispielsweise sieht deutliche Anzeichen, "daß es wirtschaftlich wieder aufwärts geht und Investoren einer Erholungsphase entgegensehen".

Das Hauptargument der Finanzberater lautet einfach: Das Schlimmste ist vorbei. Nach dem Kurssturz vor rund zwei Jahren, der "Bereinigung" der überbewerteten Devisenkurse und damit des gesamten ostasiatischen Marktes, habe die Region nun wieder überdurchschnittliches Potential.

Für dieses Jahr sagen die Wirtschaftsexperten sogar wieder ein Wachstum voraus: Die Wirtschaftsleistung der Region soll um rund ein Prozent steigen. Und für das kommende Jahr werden sogar knapp drei Prozent erwartet. Das verspricht höhere Renditen und darum geht es schließlich.

Also alles wieder in bester Ordnung? Wie die Leser der Zeit in der vorvergangenen Woche erfuhren, stimmt das alles gar nicht: Denn die Konsumwut der Reichen in Asien "ist nicht flächendeckend, die Armen sind durch die Krise noch ärmer geworden". Die Erkenntnis ist nicht sonderlich überraschend: Soziale Absicherungen gab es in den asiatischen Entwicklungsdiktaturen so gut wie nicht. Um die Exportfähigkeit zu sichern und für ausländische Investoren attraktiv zu bleiben, waren die Löhne niedrig, die Repressionen dafür um so härter.

Bei der aktuellen Krisenverwaltung ist man in Asien entsprechend wenig zimperlich: Bei Umstrukturierungen in der Industrie und bei den Banken kommt es zu Massenentlassungen, ohne daß die Arbeitslosen anschließend irgendeine Einnahmequelle in Aussicht hätten. Wegen der hohen Preissteigerungen sind Grundnahrungsmittel kaum noch bezahlbar, Streiks werden gewaltsam niedergeschlagen oder schon im Vorfeld verhindert. In Thailand beispielsweise ist die Konsumbranche zu weniger als 60 Prozent ausgelastet, weil sich angesichts der Krise nur noch wenige ein Auto oder einen Restaurantbesuch leisten können; in Indonesien leben nach Schätzungen knapp die Hälfte der Bevölkerung in Armut.

Angesichts der sozialen Situation flüchten sich viele Länder in national, ethnisch, religiös oder sonstwie konstruierte Identitäten: Malaysia verabschiedete einen National Internal Act zur Internierung und Abschiebung indonesischer Arbeiter, Thailand will Arbeitsmigranten aus dem benachbarten Burma loswerden. In Indonesien - mit seinen etwa 220 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Tigerstaat - haben die Militärs es gut verstanden, durch Einsatz von Provokateuren Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu initiieren und zu forcieren.

Doch für einen echten Wirtschaftsexperten sind solche Indikatoren irrelevant. In der ersten August-Hälfte zeigte sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in seinem Wochenbericht "vorsichtig optimistisch". Zweifellos aber, so gestanden die Wirtschafts-Weisen des DIW ein, werde die Region noch unter den Folgekosten der Krise leiden - insbesondere unter den vielen faulen Bankkrediten.

Bestimmte Währungen wie der südkoreanische Won, der thailändische Baht und die malaysische Rupie stehen nach Einschätzung des Institutes jedoch zur Zeit unter Aufwertungsdruck. Sie werden gezielt niedrig gehalten. Auch die japanische Zentralbank hat bereits mehrmals in diesem Jahr mit dem Kauf von US-Dollar auf den Devisenmärkten interveniert, um den Yen nicht zu stark werden zu lassen und damit die weitere Entwicklung zu steuern.

Die Strategie ist in Asien bestens bekannt: Die einzelnen Nationalstaaten halten den Kurs ihrer Währungen niedrig, um die Exportwirtschaft zu fördern. Das war schon einmal Ausgangspunkt des "asiatischen Wunders" - bis die aufstrebenden Staaten realisierten, daß sich ein solcher Exportüberschuß ohne größere Investitionen nicht weiter aufrechterhalten läßt. Also muß Geld aus dem Ausland her. Künstlich aufgewertete Devisenkurse sollten nun wiederum den Kapitalimport sichern - Geld, das größtenteils aus Krediten kam. Das asiatische Erfolgsmodell der sogenannten nachholenden Entwicklung wurde, wie Robert Kurz es beschreibt, "von Anfang an durch das Schwungrad eines transkontinentalen Defizitkreislaufs betrieben".

Das DIW wird schon wissen, warum es trotz seines Optimismus vor weiteren Finanzkrisen und Kursstürzen in der Region warnt. Warum die asiatischen Staaten dennoch einen neuen Anlauf unternehmen, ist auch klar: Immerhin wurden während der Asien-Krise über 54 Milliarden Mark aus den Märkten der betroffenen Länder abgezogen. Unabhängig davon, ob sich die südostasiatischen Staaten mit der Bitte um finanzielle Hilfen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) gewandt haben oder nicht, weiß man in den Regierungskabinetten: Ohne das Ausland gibt es keinen Ausweg aus der Krise. Das gilt selbst für Malaysia, das vor zwei Jahren demonstrativ ankündigte, es werde den IWF auf keinen Fall um Unterstützung bitten: Das Land unter Premier Mahathir bin Mohammad setzt weiter auf die Exportwirtschaft als wichtigste Devisenquelle und will so die Krise überwinden.

Mahathir gehörte bereits vor zwei Jahren zu jenen, die verschwörungstheoretisch "spekulative Attacken" aus dem Ausland zur Ursache der Krise erklärten. Entsprechend fordert er leidenschaftlich eine Regulierung der Finanz- und Devisenmärkte: Der internationale Kapitaltransfer solle durch Gesetze und Steuern eingeschränkt werden, Spekulationsgewinne durch Wechselkursvereinbarungen nach dem Vorbild des Bretton-Woods-Abkommens verhindert werden. Seiner Differenzierung zwischen produktivem und spekulativem Kapital entsprechend, hatte Mahathir die Schuldigen auch sogleich parat: Die Juden seien schuld, verkündete Malaysias Regierungschef.

Die Vertreter des IWF argumentieren gegensätzlich zu Mahathir. Nicht die fehlende, sondern eine zu starke Regulierung des Kapitalverkehrs habe die Asien-Krise herbeigeführt. Schließlich gab es in den am stärksten betroffenen Ländern Regelungen, die den Anteil ausländischen Kapitals an nationalen Firmen beschränkten - meist auf weniger als die Hälfte. Diese protektionistische Regelung begünstigte nach

Ansicht der Marktliberalen die Kumpanei zwischen Politik und Wirtschaft. Nicht wettbewerbsfähige Unternehmen konnten so überleben - finanziert durch Kredite.

Die Devise des IWF ist entsprechend einfach: Radikale Liberalisierung, Schließung unrentabler Unternehmen, Neuordnung des Banksektors und transparente Kreditvergabe. Diese Erkenntnis ist aber auch beim IWF erst zwei Jahre alt. Nachdem es zu Beginn des Jahres 1997 in Südkorea und Thailand bereits durch Bankrott bedingte Firmenschließungen gegeben hatte, erklärte IWF-Direktor Michel Camdessus noch im März: "Ich sehe keinen Grund für eine Weiterentwicklung dieser Krise." Vier Monate später kam es doch soweit.

Einem richtigen Spekulanten kann jedenfalls egal sein, wie sich der Kapitalismus weiterentwickelt - solange er die Optionsscheintips der Branchenprofis berücksichtigt. So empfiehlt der Handelsblatt Investor seinen Lesern sogenanntes Hedging: "Dabei wird zu einer Position, etwa einem Aktienbestand, eine Gegenposition am Terminmarkt aufgebaut, deren Wert sich gegenläufig entwickelt. So werden Verluste der Aktien beispielsweise durch Wertzuwachs der Terminmarktposition - zumindest zum Großteil - ausgeglichen." Geht der Emittent durch einen Crash pleite, nützt einem aber auch dieses Rechenbeispiel nichts.

Im zweiten Teil der Asienpfanne wird Südkorea serviert.