Asylstreit in Großbritannien

Die Insel ist voll

Als Tony Blair letzte Woche aus seinem toskanischen Sommerurlaub zurückkehrte, beherrschte - trotz des absehbaren Scheiterns des nordirischen Friedensprozesses - ein neues Thema die Medien in Großbritannien: Sein Home Secretary Jack Straw und Ann Widdecombe, Schatten-Innenministerin im Kabinett von Oppositionsführer William Hague, hatten die sommerliche Abwesenheit ihrer Chefs genutzt, um einen kräftigen Schlagabtausch über die Flüchtlingspolitik des Königreichs zu führen.

Damit schafften es beide, für drei Wochen im Zentrum der Pub-Palaver zu stehen. Während jedoch Straw nach der Rückkehr seines Chefs sofort wieder in der zweiten Reihe verschwand, werden Widdecombe neuerdings Aspirationen auf die Parteiführung oder sogar die Spitzenkandidatur der konservativen Tories nachgesagt.

Das hat weniger mit dem ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung zu tun, dem sich das schwarzgefärbte Landei aus der Grafschaft Kent hingibt. Es liegt vor allem an der Härte in der politischen Auseinandersetzung, mit der sich Widdecombe als würdige Nachfolgerin Margaret Thatchers zu profilieren sucht. Und an dem sicheren Instinkt, der sie die Flüchtlingspolitik in den Mittelpunkt ihrer Profilierungsversuche stellen ließ.

Mit nur sieben Asylsuchenden pro 10 000 Einwohner lag Großbritannien im vergangenen Jahr zwar weit hinter Ländern wie den Niederlanden, Deutschland oder Schweden zurück. Die Anerkennungsquote ist mit knapp fünfzig Prozent jedoch so hoch, daß letztlich etwa doppelt so viele Flüchtlinge Bleiberecht erhalten wie in der Bundesrepublik.

Wenn Straw diese Quote nicht senke, sagt Widdecombe, werde die Insel bei Flüchtlingen weiterhin als "soft touch" gelten - als "weiche Landung". Seit bekannt wurde, daß die Asylbewerber-Zahlen in den letzten Monaten um etwa 50 Prozent angestiegen sind, läßt sich mit diesem Argument gut Stimmung machen.

Dabei ist Straw keineswegs der Kämpfer wider den Rassismus, als der er sich jetzt geriert. Erst kürzlich denunzierte er Roma als "sogenannte Reisende, die in Hauseingängen defäkieren", und die Asylpolitik der Regierung Blair stellt im wesentlichen eine Verschärfung derjenigen der konservativen Vorgängerregierung dar - die von Widdecombe mitverantwortet wurde.

Doch die britische Asylpraxis eignet sich hervorragend für populistische Instrumentalisierung, und zwar insbesondere in den Tory-Hochburgen im Süden der Insel. Die Verfahren ziehen sich über Jahre hin, und seit Anfang 1996 gilt eine Regelung, nach der die Gemeinden, in denen Asylbewerber ihren Antrag stellen, für Unterbringung und Verpflegung zuständig sind - und das sind vor allem die Hafenstädte entlang der Kanal-Küste und die Boroughs der Hauptstadt. In Dover schüren die Konservativen bereits kräftig den sogenannten Volkszorn. Und vergangene Woche meldete sich Hague mit einem Besuch im wohlhabenden Londoner Innenstadtbezirk Westminster aus dem Urlaub zurück, wo er sich vor laufenden Kameras empörte, hier gebe es ja "mehr von Sozialhilfe abhängige Flüchtlinge als alte Damen im Pflegeheim".

Straw hat nun zwar angekündigt, Asylbewerber künftig über das ganze Land zu verteilen und Schlepper hart zu bestrafen. Damit wird er jedoch einer rassistischen Kampagne der Konservativen kaum den Wind aus den Segeln nehmen können.