Dolch ins Herz

Geldwäsche, Unterschlagungen, Veruntreuung von IWF-Geldern - die Vorwürfe gegen das russische Establishment werden immer schwerwiegender

Russiagate, Gangsterstaat, Kleptokratie - die westlichen Medien sparen nicht mit starken Worten, wenn es um Rußland und Geld geht. Aber nicht in Mokau begannen die jüngsten Ermittlungen zur Geldwäsche russischer Mafiosi, sondern in der Bank of New York.

Nach Angaben von US-Ermittlern wurden über Konten dieser Bank von Oktober bis März mindestens 4,2 Milliarden Dollar geschleust. Die untersuchten Konten gehören überwiegend der Firma Benex, die mit dem mutmaßlichen russischen Paten Semjon Jukowitsch Mogiljewitsch in Verbindung gebracht wird; nach Angaben der New York Times existiert ein FBI-Report, wonach Mogiljewitsch beim Abzug der russischen Truppen aus der Ex-DDR Waffen von russischen Generälen aufgekauft und an Länder wie den Irak und Iran weiterverkauft habe.

Die Affäre hat auch eine politische Dimension: Mogiljewitsch soll enge Kontakte zu den beiden einflußreichsten politischen Machtzentren Rußlands haben: zu dem Finanz- und Medienmagnaten Boris Beresowski aus der Umgebung Boris Jelzins und zu Systema, einer Firmengruppe, die den Jelzin-Rivalen und potentiellen Präsidentschaftskandidaten Juri Luschkow unterstützt. Newsweek zitierte darüber hinaus US-Geheimdienstquellen, nach denen auch Ex-Premier Wiktor Tschernomyrdin und der ehemalige Chefprivatisierer Anatoli Tschubais in Geschäftsbeziehungen zu Mogiljewitsch standen. Beide bestreiten jedes Fehlverhalten.

Noch halten sich die Konsequenzen aus dem Skandal in Grenzen: Zwei Angestellte der Bank of New York wurden Mitte August vom Dienst suspendiert: Zum einen Natascha Garfinkel Kagalowski, ehemalige Vize-Präsidentin der Bank in New York; ihr Ehemann Konstantin Kagalowski war von 1992 bis 1995 Rußlands Repräsentant beim IWF. Zum andern Lucy Edwards, Vize-Präsidentin der Bank in London - Edwards wurde mittlerweile gefeuert.

Die Herkunft der möglicherweise gewaschenen Gelder ist bislang unklar: Es ist wohl zuviel, als daß es allein aus dunklen Geschäften in Rußland stammen könnte; möglicherweise sind auch IWF-Gelder dabei - Arbeitshypothesen der Ermittler sind nach Angaben von Le Monde, daß die Bank of New York dazu benutzt wurde, 200 Millionen Dollar aus IWF-Geldern zu unterschlagen; oder auch Gelder aus Staatseinkünften für Öl- oder Aluminiumexporte.

Und die Ermittlungen weiten sich aus. Untersucht werden nun auch mögliche Unterschlagungen in Millionenhöhe bei US-Getreidelieferungen an Rußland durch korrupte Regierungsbeamte und Banden. Das FBI ermittelt bei der BankBoston wegen angeblicher Geldwäsche von 2,7 Milliarden Dollar in einem Zeitraum von 30 Monaten. Im übrigen versuchen US-Ermittler, verdächtige Konten bei den Banken Chase Manhattan, Citygroup und First Union ausfindig zu machen. Und schon seit längerem läuft eine Untersuchung zur Russischen Zentralbank, die IWF-Gelder zu Spekulationszwecken auf der Kanalinsel Jersey untergebracht haben soll.

Die Reaktion in Moskau war bis Mitte letzter Woche verhalten. Die Korruptions- und Geldwäschevorwürfe des Westens kommentierten russische Politiker mit Schweigen. Doch mit der Ruhe war es vorbei, als US-Finanzminister Laurence Summers verkündete, die USA würden die Auszahlung der anstehenden Tranche des Internationalen Währungsfonds (IWF) an Rußland so lange behindern, bis geprüft sei, was mit den bisherigen Krediten geschehen ist. Eine durchaus reale Drohung, denn als zahlungskräftigstes Mitglied behalten sich die USA bei wichtigen Entscheidungen eine Sperrminorität vor.

Die Aussicht, auf weitere IWF-Zahlungen vorerst verzichten zu müssen, ließ in Rußland Kalte-Kriegs-Szenarien vom "Eisernen Vorhang" wieder erstehen. In der russischen Presse wurde einstimmig von einer Kampagne des Westens - und damit sind nach alter Tradition fast immer die USA gemeint - gegen Rußland gesprochen. Es folgten Berichte, wer denn eigentlich in den USA von dem Skandal profitiere.

Die Wogen glätteten sich, als bekannt wurde, daß der Generaldirektor des IWF, Michel Camdessus, weitere Zahlungen an Rußland befürwortet. Rußland habe die - im Vergleich zu anderen Ländern liberal gehaltenen - Kreditvorgaben eingehalten, ja übererfüllt; außerdem fehle es bisher an Beweisen. Ähnlich sah dies am vergangenen Mittwoch der deutsche Außenminister Joseph Fischer: Die Intention des IWF, Rußland weitere Kredite zu gewähren, sei "wichtig und gerecht", zitierte ihn Le Monde und fügte süffisant hinzu: "Frankreich hat in der Debatte offiziell keine Position eingenommen. In Paris beschränkt man sich darauf zu sagen, daß die Politik des Westens hinsichtlich Rußlands immer von den Vereinigten Staaten und Deutschland vorangetrieben wurde, von den ersten aus geostrategischen Gründen, von letzterem aus Gründen der Bedeutung des Engagements seiner Banken in Rußland." Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung setzt sich nach einem Bericht des Focus für eine Fortsetzung der Finanzhilfen ein.

Das aber könnte nur die Ruhe vor dem Sturm sein. Denn dieses Mal bleibt selbst Boris Jelzin mit seiner "Familie" nicht verschont. Fast gleichzeitig mit den Anschuldigungen zum New Yorker Geldwäscheskandal erschienen in der Presse Enthüllungen über angebliche Konten des Präsidenten im Westen. Die Schweizer Firma Mabetex, seit Anfang der neunziger Jahre gut im Geschäft mit der Sanierung der Moskauer Innenstadt und des Kreml, soll der gesamten Familie ca. eine Million Dollar zur freien Verfügung gestellt haben. Aus dem Kreml hieß es dazu lakonisch: "Der Präsident verfügt über keine Konten im Westen." Am Wochenende bestätigte der suspendierte Generalstaatsanwalt Juri Skuratow erstmals, daß in der Schweiz und in Rußland Korruptionsermittlungen gegen Jelzin und seine Kreml-"Familie" laufen.

Aber selbst das veranlaßte den Kreml zu keiner umfangreicheren Stellungnahme, im Gegenteil: Man wolle schließlich nicht "den Auftraggebern des Skandals in die Hände spielen", hieß es. Statt dessen soll mit zahlreichen geheimen Beratungen, auf denen die Kremlstrategen ihr weiteres Vorgehen diskutieren, der Eindruck erweckt werden, man hätte alles unter Kontrolle.

Allerdings schweigt nicht nur der Kreml zu den Vorwürfen. Auch die Opposition übt keine Kritik und verzichtet auf die sonst üblichen Attacken gegen den unpopulären Präsidenten. Fest steht, daß auch eine neue Regierung ohne IWF-Kredite Probleme haben wird, die marode Wirtschaft am Laufen und den Haushalt und somit auch den Rubel einigermaßen stabil zu halten. Jetzt, wo sich der Luschkow-Primakow-Block reelle Chancen ausrechnet und die KPRF sich schon beinahe an der Macht wähnt, will durch weitere Aufdeckungen niemand die Zahlung von Krediten gefährden. Daß die KPRF ebenso wie die anderen Parteien auf Kredite aus dem Westen baut, zeigte sich bei den Verhandlungen zwischen dem KP-nahen Ex-Vizepremier Masljukow, der in Verhandlungen mit Vertretern des IWF alles mögliche tat, um weitere Zahlungsaufschübe zu erreichen und für neue Kredite zu werben.

Die Zwischenbilanz aus den Jahren des westlich inspirierten und finanzierten "Transformationsprozesses" in Rußland fällt somit eher betrüblich aus. Sollte es sich bei der Affäre um die Bank of New York um massive Geldwäsche handeln, ist der Fall ein "Dolch, der auf das Herz der russischen Elite zielt, die wir in der post-kommunistischen Ära aufgebaut haben", zitierte Newsweek einen US-Offiziellen mit Kenntnissen über die Untersuchung.