Albaner sein oder nicht sein

Die UCK hat sich auf die Verfolgung der Minderheiten im Kosovo spezialisiert - die Staatsbildung hat begonnen

Wieder einmal gibt es Ärger zwischen der Nato und Rußland. Der Grund: Die Entmilitarisierung der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UCK will und will nicht enden. Zwar müssen die derzeit rund 9 000 ehemaligen Skipetaren-Freischärler mit dem 19. September alle ihre Waffen abgeben, doch zumindest 3 000 von ihnen ist das Glück beschieden, aus dem Grauzonen-Status in eine anerkannte Organisation geboostet zu werden: Die Nato hat sich mit dem "provisorischen Premierminister" Kosovos, Hashim Thaqi, darauf geeinigt, ein "Kosovo-Korps" aus ehemaligen Befreiungskämpfern zu bilden. Nato-Generalsekretär Xavier Solana beschrieb das Korps als "zivile Organisation humanitärer Natur".

Doch diese "humanitäre Natur" wird zumindest von den Russen bezweifelt: Das Moskauer Außenministerium möchte bei der bevorstehenden Sitzungsperiode der UN-Vollversammlung in New York die vollständige Auflösung der UCK fordern. Die gleiche Forderung werden wohl auch der US-amerikanische Verteidigungsminister William Cohen und der Leiter der UN-Übergangsverwaltung für das Kosovo (Unmik) im Kosovo, Bernard Kouchner, zu hören bekommen.

Für Hashim Thaqi ist die Zustimmung des Westens wahrscheinlich einer der größten Triumphe, seit die Nato ihm die Hoheit über die serbische Provinz mit ihren Luftangriffen herbeibombte. Nun kann er seine Kader mit neuen Jobs versorgen und damit auch innerhalb der UCK Zerwürfnisse und eine eventuelle Palastrevolte wegen seines zeitweiligen Kuschelkurses mit den internationalen Besatzern verhindern.

Die Bilanz der bisherigen Appeasement-Politik gegenüber den bewaffneten Männern und Frauen aus dem Kosovo fällt zumindest für die nicht-kosovo-albanische Bevölkerung ernüchternd aus. In einem dieser Tage veröffentlichten Bericht des Uno-Hochkommissariats für Menschenrechte heißt es: "Kurz nachdem die Kfor-Truppen das Kosovo besetzt hatten, begannen Einheiten der UCK, Serben, Roma und Angehörige anderer Minderheiten zu mißhandeln, zu entführen und zu ermorden."

Die "internationale Gemeinschaft", wird in dem Bericht vermutet, hätte die Tragödien dieses Sommers voraussehen können: "Es war klar, daß dies die neuen Opfer sein würden." Denn die UCK-Mitglieder, aber auch zahlreiche nicht-organisierte Kosovo-Albaner, scheren sich wenig um die Appelle des Uno-Verwaltungschefs Bernard Kouchner oder die Mahnungen des Sondergesandten des Hohen Uno-Flüchtlingskommissars Dennis McNamara, der in der vergangenen Woche vor neuen "Greueltaten" warnte.

Nicht nur die wenigen in der Provinz verbliebenen Serben - nach einer Schätzung von Kouchner ist deren Anzahl im Kosovo auf unter 100 000 gesunken - leiden unter den Übergriffen von UCK und kosovo-albanischen Schlägertrupps, auch andere Minderheiten haben das Weite gesucht. So auch die kleine jüdische Gemeinde des Kosovo. Noch am 5. Juli schrieb Hashim Thaqi an den Abgesandten des American Jewish Joint Distribution Committee, Eli Elieziri, einen beruhigenden Brief: "Die UCK wird auch das Eigentum der Juden des Kosovo beschützen, egal, ob sie sich derzeit im Kosovo befinden oder nicht", so der damals noch internationale Anerkennung suchende Kosovo-Chef.

Inzwischen sind diese Zeilen Makulatur: Es habe rund 40 Juden im gesamten Kosovo gegeben, zitierte die österreichische Nachrichtenagentur APA Ende August Cedda Prlincevic, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Pristina. Alle 40 würden nun nach Israel auswandern wollen, da sie immer mehr den Angriffen kosovo-albanischer paramilitärischer Einheiten ausgesetzt seien: Weil sie nur schlecht albanisch sprechen, von den Kosovo-Albanern auch schon mal der Mittäterschaft an den Verbrechen der Serben geziehen werden und manchmal wohl auch nur, weil sie Juden sind.

Das Schicksal der kosovarischen Juden ist ein Indiz für das stärker werdende albanische Nationalbewußtsein: Wer nicht albanisch ist, hat im Kosovo nichts verloren. Ob da tatsächlich jemand serbischen Paramilitärs zu Diensten war, als die durch das Kosovo wüteten, spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Denn in der Staatskonzeption eines unabhängigen Kosovo liegt auch die Dominanz der albanischen Bevölkerung begründet.

Entsprechend - und vor allem systematisch - wird auch an der Einschüchterung und Vertreibung der Roma im Kosovo gearbeitet. Nach einem Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte der Uno gibt es Indizien, daß die zivile Administration der UCK an die lokalen Vertreter Instruktionen ausgegeben hat, von Serben und anderen Minderheiten bewohnte Häuser zu registrieren.

Von einer Systematik bei der Vertreibung von Minderheiten spricht inzwischen auch Veton Surroj, Herausgeber der kosovo-albanischen Tageszeitung Koha Ditore: "So traurig es ist, dies sind keine vereinzelten Zwischenfälle. (...) Solches Benehmen ist faschistisch", meinte er jüngst in einem Kommentar in seiner Zeitung.

Anfang Juli besuchte eine Delegation des Europäischen Zentrums für Roma-Rechte das Kosovo. Was sie entdeckten, war eine deutliche Verminderung der Roma in der nunmehr befreiten Provinz. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Roma-Bevölkerung um die Hälfte geschrumpft. Der Großteil der ursprünglich 200 000 Roma im Kosovo ist inzwischen geflohen, einige aber sind auch von der UCK entführt und höchstwahrscheinlich ermordet worden. Zuletzt wurde am vergangenen Donnerstag eine Roma-Frau in Suva Reka von UCK-Angehörigen erschossen.

Selbst ein Kosovo-Fanclub wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GbV) sah sich vergangene Woche gezwungen, von einer "ethnischen Säuberung", begangen von UCK-Milizen an Minderheiten, zu berichten. Von den vormals 150 000 im Kosovo lebenden "Angehörigen der Roma- und Aschkali-Minderheit", so präsentierte die GbV ihre Zahlen, seien 90 000 vertrieben worden. Die UCK habe auch vor Vergewaltigungen und Morden nicht zurückgeschreckt.

In einem Bericht der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch werden mögliche Gründe für das Vorgehen der Kosovo-Albaner genannt: "Die Intention hinter den vielen Morden und Entführungen seit Anfang Juni scheint der Wunsch nach einer Beseitigung des Roma- und Serben-Anteils an der kosovarischen Bevölkerung zu sein und nicht der Wunsch nach Rache allein."

Die Wut der Kosovo-Albaner über den serbischen Terror als Grund für die Übergriffe ist also möglicherweise einem größeren Plan gewichen: Die Unabhängigkeit des Kosovo kann nur erreicht werden, wenn andere Bevölkerungsgruppen nicht mehr vorhanden sind - ein Nationalstaat in seiner reinsten Ausprägung soll entstehen. Vielleicht können ja auch die 3 000 Mitglieder des "Kosovo-Korps" einen Beitrag dazu leisten.