München gewitterleuchtet

Bayern hat einen Ex-Minister mehr, doch Stoiber mußte dafür mit seinem Nimbus bezahlen

Daß die bayerischen Maßkrüge am Griff eine Sollbruchstelle haben, das hat einen guten Grund. Denn leider haben diejenigen Anekdoten, die den Hang der Bayern zur handfesten Konfliktbereinigung zum Gegenstand haben, einen höheren Wahrheitsgehalt als die, in denen es um deren angeblich so harte Schädel geht. Wer im Voralpenland ein besonders hitziges Temperament sein eigen nennt, der sammelt die Gaststätten, in welchen er raufereibedingtes Lokalverbot genießt, wie der Hamburger seine Kreditkarten. Und wem an einem solchen Menschen als Stammtischbruder gelegen ist, der wird - als menschlicher Schutzschild - ihn bei Wirtshausbesuchen von allen möglichen Zornesquellen trennen.

Einer der wenigen Stammtische, an denen normalerweise nicht gerauft wird, steht im Wirtshaus "Zur Bayerischen Staatskanzlei" am Münchener Franz-Josef-Strauß-Ring. Wenn hier ein Streitpunkt aufkommt, dann schauen erst einmal alle auf den Wirt, und wenn der ja sagt, dann sagen alle ja, und wenn er nein sagt, dann sagen eben alle nein. Das hat bis jetzt immer supergut funktioniert, seit der Stoiber Edmund vor gut sechs Jahren den Laden übernommen hat. Und es hätte so weitergehen können: Vollkommene Harmonie, bis Stoiber im Oktober 2024 als 73jähriger einem Jagdunfall erlegen wäre: ein bayerischer Traum.

Bis letzte Woche. Da mußten mit Staatskanzleichef Erwin Huber, Finanzminister Kurt Faltlhauser und Innenminister Günther Beckstein gleich drei gestandene Mannsbilder ran, um zu verhindern, daß Stoiber, wenn's ihn denn überkommen sollte, dem Alfred Sauter an die Gurgel geht. Und, als ob die kleine Unbotmäßigkeit seines geschaßten Justizministers den Nimbus des Landesvaters auf Lebenszeit hätte von ihm abfallen lassen, wirkte auch Edmund Stoiber plötzlich alles andere als souverän.

Dabei hatte er doch soeben erst der bayerischen Tradition wieder zu ihrem Recht verholfen, hatte jenen Brauch verteidigt, der da ist: Wenn sich der König etwas zuschulden hat kommen lassen, dann erscheine unaufgefordert ein Knappe, der seinen Kopf auf den Richtblock legt, um an seiner Statt exekutiert zu werden. Wenn der Bube nicht spurt, dann wird er zur Strafe gevierteilt. Eine unappetitliche Sache. Die Herrschaften auf den besseren Plätzen zücken ihre seidenen Taschentücher, wischen ein paar Blutspritzer aus dem Gesicht und tun, als wäre nichts gewesen. Richtig unangenehm wird's erst, wenn der Delinquent sich wehrt. Dann kann es passieren, daß auch der Herrscher selbst einen warmen, roten Schwall abkriegt. Und das gilt als böses Omen.

Der Alfred Sauter ist so einer. Als vor gut sechs Wochen zunächst verhalten der Wunsch an ihn herangetragen wurde, er möge doch die Verantwortung für die Mißwirtschaft bei der halbstaatlichen Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft (LWS) übernehmen, bockte er - obwohl die Rücktrittsbitte, so wie man das bayerische System kennt, gespickt gewesen sein wird mit der Zusage, schon für einen lukrativen Job anderswo zu sorgen. Als man deutlicher werden mußte und drohte, Sauter dem Volkszorn zu überantworten, sträubte er sich nur noch mehr. Als man ihm die Werkzeuge zeigte und mit Entlassung drohte, wurde er laut. Und als man schließlich zur politischen Hinrichtung schritt, krakeelte er: "Tod dem Tyrannen!" Wie unangenehm.

Nicht deswegen wurde Sauter der Strick gedreht, weil er - was er nicht einmal bestreitet - in fachlicher Hinsicht Mist gebaut hat. Das wäre kein Kriterium in einem Bundesland, das sich schon einmal einen Verkehrsminister leistet, der sturzbetrunken einen Menschen totgefahren hat. Das "Menschenopfer" (Sauter über Sauter) mußte vielmehr sein, weil er nicht bereit war, mit seinem politischen Opfertod den Regenten zu entlasten - "Ich bekenne mich ausdrücklich zu meiner Verantwortung", beteuerte Sauter, "bisher bin ich immer noch der einzige, der dies tut." Weil er sich darüber hinaus mit seinen Mitschuld-Zuweisungen an die Adresse der Staatskanzlei zum "Kronzeugen der Opposition" (Stoiber über Sauter) machte. Kronzeugen würden doch "nur gebraucht, wenn es zu Straftaten gekommen ist", erwiderte der Ex-Justizminister listig.

Ein Punkt für ihn. Und Alfred Sauter ließ keine Gelegenheit aus in der letzten Woche, um noch weitere zu sammeln: Wo immer Stoiber einen Auftritt hatte, rief der kleine, glatzköpfige Schwabe: "I bi scho do!" Bei Kabinetts- und Ausschußsitzungen mußte man ihm einen Platz freihalten - weil man sich nicht ganz sicher war, ob der bayerische Ministerpräsident überhaupt das Recht hat, einen Ministerpräsidenten zu entlassen, und eine Fortsetzung des Spiels vor dem Verfassungsgerichtshof fürchtete. Wenn der Ministerpräsident zum wiederholten Male seine aus Unkenntnis resultierende Unschuld beteuerte, zischte Sauter so laut, daß jeder, der wollte, es hören konnte: "Unsinn!", "Lüge!" Wenn Stoiber neue Papiere auspackte, die belegen sollten, daß Sauter die Einsetzung eines Krisenmanagers verhindert hatte: "Schafscheiß!" Stoiber kochte. Anschließend versammelte Sauter, nicht Stoiber, die Journalisten um sich und punktete weiter.

Doch - und das wußte Sauter - das Punkten half ihm nichts mehr. Unaufhaltsam rückte der Tag seiner endgültigen Hinrichtung näher: Montag, der 13. September, im Morgengrauen um 10 Uhr im Bayerischen Landtag. Denn daran, daß sich in dem riesigen CSU-Block im Münchener Maximilianeum ein jeder über eventuell noch vorhandene Zweifel hinwegsetzen und den Daumen nach unten drehen würde, wenn Stoiber dies täte, konnte auch Sauter keinen Zweifel haben. Ein Hochverräter hat keine Freunde mehr, zumal die Gauweiler-Clique in der CSU, der Sauter zugehört, schon seit letztem Jahr unter gewaltigen Druck geraten ist. Wer wird sich da noch kompromittieren, indem er einem gestürzten Mann die Hand reicht? Der größte Akt der Solidarität heißt da noch: Daheimbleiben bei der Abstimmung.

So wird so etwas exekutiert. Es bleibt ein metallischer Nachgeschmack zurück, bei dem einen vielleicht das Gefühl, er könnte der Nächste sein, der da vor die Schranken gerufen wird, bei dem anderen die Ungewißheit, was der Sauter alles über ihn wissen könnte und was er damit wohl machen wird, jetzt wo er so viel Zeit hat: Das System hat seine Funktionstüchtigkeit bewiesen, aber plötzlich fehlt die Leichtigkeit. Stoiber hat sich durchgesetzt, aber er ist nicht mehr der strahlende Prinz, an dem alle Affären abgleiten. Und dann verstößt er auch noch gegen den Regionalproporz: Einen Schwaben durch einen Mittelfranken ersetzen, so eine Dummheit, und wenn er hundertmal der fähigere Mann ist! Auch Schwaben können hassen, und von Augsburg nach München sind es nur fünfzig Kilometer.

Im kanadischen Ontario wartet unterdessen der Waffenhändler Karlheinz Schreiber auf die polizeiliche Vernehmung, und so mancher CSU-Spezi bangt mit ihm: "Sagt meinen Freunden, daß ich zu ihnen halte", bellte er in die Mikrofone, als er am 9. September auf Kaution aus dem Gefängnis freigelassen wurde, und es hörte sich verdammt nach Al Capone an. Wenn so einer sagt, daß er zu einem hält, dann kauft man sich besser eine kugelsichere Weste. Denn es geht um Panzer, es geht um handfeste Bestechung, vor allem aber geht es um Geld, um sehr viel Geld: Ungefähr die 367 Millionen, die die LWS bisher verwirtschaftete, sollen hier allein an Schmiergeld gelaufen sein. Die Staatsanwälte ermitteln, und der Name so manchen guten Parteifreundes ist dabei schon gefallen. Das hörte sich dann immer etwas nach Gewittergrollen an. Wenn das über uns hereinbricht, so fragt man sich in der CSU, werden Stoibers Abwehrmechanismen dann noch immer so reibungslos klappen? Oder brauchen wir dann wieder mal ein Menschenopfer, ein ganz großes diesmal?