Arrival delayed

Inge Viett ist wieder abgetaucht: Diesmal in die Esoterik. Von dort hat sie einen Bekennerbrief geschickt: "Cuba libre bittersüß".

Inge Viett war auf Kuba und hat ein Buch darüber geschrieben. Wer nichts über Kuba weiß und nichts über Inge Viett, erfährt aus dem Reisebericht "Cuba libre bittersüß" ein bisschen über die Insel und ein bisschen mehr über die Autorin, die als Ex-Guerillera der Bewegung 2. Juni und der RAF ins DDR-Exil gegangen war, nach der Wende an die BRD ausgeliefert wurde und erst 1997 wieder aus dem Knast gekommen ist.

Ein Jahr nach ihrer Entlassung hat sie Kuba besucht, in einem landwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet, Fidel Castro gesehen, mit vielen Leuten geredet, und Inge Viett war beeindruckt. Aber wer erwartet, dass sich in diesem Reisebericht etwas von ihren politischen Erfahrungen wieder findet, ein wenig politische Reflexion aus der Perspektive einer ehemaligen Metropolen-Guerillera, die ein Land besucht, das so lange Fokus für die bewaffnet kämpfenden Gruppen in Lateinamerika war, wird enttäuscht. Mehr aber hat der Verlag auch nicht versprochen, der das Buch als "Liebeserklärung an die Menschen auf Kuba" ankündigt.

So beschreibt Inge Viett das Land fast ausnahmslos mit Begeisterung, die nur manchmal von Skepsis durchbrochen wird. Bei solchen Gelegenheiten wird die Autorin dann esoterisch: "Kuba ist auf einem schweren Weg in eine unwägsame Zukunft. Hat es seine Götter im Gepäck?" fragt die Autorin zu Beginn ihrer Aufzeichnungen. Eine Antwort findet sie nicht auf ihrer dreimonatigen Reise, aber am Ende weiß sie doch: Von allen Göttern kann die Insel noch nicht verlassen sein, denn die Revolution "ist mir oft begegnet, wenn auch mit einem tiefen Schatten". Kuba mühe sich, "seine schöne revolutionäre Seele nicht aus dem neuen hermaphroditischen Körper fahren zu lassen".

Wer nun glaubt, das sei noch kein Aberglaube, sondern nur schlechte Metaphorik, liest weiter und trifft dabei eine Menge Kubanerinnen und Kubaner, die natürlich fast alle hinter der Revolution stehen, Fidel Castro ganz toll und das Leben auf der Insel zwar hart finden, aber dennoch ausgesprochen fröhlich sind. Vietts Beschreibungen bleiben an der Oberfläche und lassen nur dort Hintergründe durchblicken, wo die Touristin, die keine sein will, sondern eine "Reisende", mehr über sich selbst sagt als über das Land.

So trifft sie eine Santera, eine Priesterin der synkretistischen afro-kubanischen Yoruba-Religion, aber die ist eine Weiße, und das geht eigentlich nicht: "Mich beschleicht manchmal das Gefühl, als wäre Josefa keine richtige Santera, sondern eine Scharlatanin. Sie ist eine Weiße, der Yoruba-Kult kommt nicht aus ihrer Tradition, nicht von ihren Ahnen." Doch halt: "Möglicherweise tue ich ihr Unrecht, denn es geht auch die Geschichte um, sie hätte einem jungen Mann, der dem Tode nahe war, neues Leben ermöglicht, indem sie ein anderes zum Verlöschen gebracht hätte, und man sagt, das funktioniere nur mit dem Einverständnis der Beteiligten und ihrer Orishas."

Schließlich lernt Inge Viett die Kraft des Übersinnlichen tatsächlich auch noch persönlich kennen. Frische Kaktusblätter verdorren, weil "es zwischen der Genossin und mir ziemlich unauflösbare Probleme" gab, aber später, an Tagen "intensiver Diskussionen und guter Gefühle (...) brachten die Kaktusblätter einen kräftigen neuen Sproß hervor. Das hat keine große Bedeutung, in Kuba ist es gar eine Selbstverständlichkeit, für uns war es bemerkenswert."

Vom Alltag der Kubanerinnen und Kubaner schreibt Inge Viett wenig bis gar nichts. Sicher, die Leser erfahren, dass "die kubanische Gesellschaft (...) ihre Geheimnisse (hat), die sich Fremden in dem Maße erschließen, wie sie zu Freunden werden", aber Inge Viett, die bestimmt eine Freundin Kubas ist, lüftet die Geheimnisse nicht.

Das soziale Desaster vieler Menschen auf Kuba, insbesondere derjenigen, die keine Möglichkeit haben, an Devisen zu kommen, ist für die Autorin "kein Elend", sondern bloß "ein Problem, ein ständig neu zu lösendes". Sie sah zwar "elende Hütten", ließ sich aber sofort von einem auf der Insel lebenden Deutschen belehren, dass deren Bewohner zwar arm seien, aber "nicht gesellschaftlich und sozial isoliert", weil sie an den Gemeindeversammlungen teilnähmen und in den "Komitees zur Verteidigung der Revolution" (CDR) organisiert seien. Außerdem, so der Deutsche, gingen die Kinder der Armen in die Schule und bräuchten nicht zu verhungern.

"Im übrigen", schreibt Inge Viett weiter, "sind mir in den drei Monaten in Kuba kaum Bettler begegnet, allerdings sehr viele Schnorrer, die nicht aus wirklicher Not betteln. Sie nehmen nur Dollar und verschmähen den Peso. Aber auch die wenigen, die hastig und verschämt den Peso in die Tasche stecken, um den sie baten, schnitten mir jedesmal empfindlich ins Bewußtsein, auch wenn ich weiß, daß es in jeder Gesellschaft Menschen gibt, die ihr Leben nicht selbst organisieren können und sich dem Wohlwollen oder der Verachtung der Gesellschaft ergeben." Was heißt das? Sozial-Schmarotzer gibt's eben überall, auch wenn es schmerzlich ist, sie sehen zu müssen?

Sicher ist die neue Armut auf Kuba nicht zu vergleichen mit der alten in den meisten anderen Ländern Lateinamerikas. Aber viele, immer mehr Kubanerinnen und Kubaner messen sich nicht, wie Inge Viett verlangt, am "Dritte Welt"-Standard, sondern allenfalls an dem ihrer in die USA rübergemachten Verwandten, ehemaligen Nachbarn oder Kollegen, die ab und zu sogar Dollars schicken können.

Das ist dann selbst Inge Viett nicht verborgen geblieben, und so notiert sie, dass für "die Kubanerinnen und Kubaner" die Schweiz "ein erstrebenswertes Modell" sei. Wissen "die Kubanerinnen und Kubaner" nicht, dass sie sich an Haiti, Kolumbien oder vielleicht noch Argentinien zu messen haben, aber nicht an einem der reichsten kapitalistischen Länder der Welt?

Nein, sie wissen es nicht, denn sie sind auf der Suche: "Kuba sucht einen neuen Weg", schreibt Inge Viett. Der "Dritte Weg", den die kubanische Gesellschaft sucht, beginnt seine Suche "auf der Grundlage revolutionärer Erfahrungen, revolutionärer Errungenschaften und einer schwer erkämpften Souveränität", und die "Ernsthaftigkeit dieser Suche garantiert noch lange keinen positiven Ausgang des Kampfes, sie schließt auch unvermeidliche Irrtümer, falsche Entscheidungen und Schritte ein, aber sie berechtigt zu Hoffnungen und gebietet Solidarität".

Und wenn die Suche sich schon mal sprachlich in der Suche verwirrt hat, wenn der "Dritte Weg" in einem Satz vom Objekt zum Subjekt wird, dann wird auch gleich noch die Weltanschauung unwichtig: "Ich meine, Kuba ist keine Angelegenheit von Ideologie, wenigstens nicht als erstes und nicht jetzt. Es ist eine Angelegenheit des Herzens."

Genau wie die Nationalhymne des Landes. Als die auf einer Feier "erklang", ging laut Inge Viett "eine einzige Bewegung durch die Menschen, wie ein einziger Körper standen die Tausenden auf, erhoben ihren Kopf und ihre Stimme. Ein Schauder zog durch meinen Körper, die Hymne klang wie ein unerschütterlicher Herzschlag für Kuba und es schien mir, als wären viele nur gekommen, um daran teilzuhaben." Dieser nationale Kitsch dürfte die Herzen deutscher Linker ansprechen - auch diejenigen derer, die auf der Suche nach einem Vaterland vorerst noch in Kuba hängen geblieben sind.

Inge Viett: Cuba libre bittersüß. Reiseberichte. Edition Nautilus, Hamburg 1999, 128 S., DM 19,80