Hochkonjunktur für Heimatfilme

Haider auf dem Weg an die Macht: Bleibt die ÖVP bei ihrer Entscheidung, in die Opposition zu gehen, sind Neuwahlen in Österreich bereits programmiert.

In den Wandelgängen des österreichischen Innenministeriums in der Wiener Herrengasse hat die Zukunft schon begonnen. Am Sonntagnachmittag, als noch keine Hochrechnungen eingetrudelt waren und sich die rund 300 akkreditierten Journalisten zu langweilen begannen, startete die bemühte PR-Abteilung des Ministeriums eine nette Unterhaltungssoffensive, um die internationale Presse bei Laune zu halten. Die Fernsehschirme wurden eingeschaltet und der gute alte und leider schon tote Vico Torriani sang sich in einem Heimatfilm aus den Sechzigerjahren in die Herzen fescher in Dirndln gekleideter Österreicherinnen und ebenso fescher, in Lederhosen gekleideter Österreicher.

Sauber ist die Bergwelt und rein die Luft zum Atmen. So mutierte das schwer bewachte Ministerium zur Idylle, während draußen noch in der heilen Welt der Alpenrepublik die Schlacht an den Wahlurnen tobte. Pünktlich um 16 Uhr aber, als die Austria Presse Agentur ihre ersten Hochrechnungen veröffentlichte, mischte sich so etwas wie Aufgeregtheit in die bis dahin laue Sonntagsstimmung. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) setzte gerade an, die Österreichische Volkspartei (ÖVP) in der Wählergunst auf Platz drei zu verdrängen. 0,08 Prozent lag die Haider-Partei zu dieser Zeit vor der ÖVP. Eine französische Journalistin meinte fassungslos: "Ich bin seit acht Jahren das erste Mal wieder in Österreich. Ich kann nicht glauben, dass sich so viel geändert hat." Hat sich aber. Das mußte auch n-tv-Reporter Martin Pendl bemerken, dem wie üblich wieder ein sattes Rot ins Gesicht stieg, als er die ersten Hochrechnungen durchsah.

Weniger satt und noch weniger rot dagegen das Wahlergebnis. Die Sozialdemokraten von der SPÖ mussten die empfindlichsten Verluste in der Geschichte der II. Republik hinnehmen. 4,8 Prozent haben sie gegenüber den Nationalratswahlen von 1995 verloren, mit 33,39 Prozent schrumpfte die Partei, die noch Mitte der achtziger Jahre die absolute Mehrheit in Österreich hielt, zur Mittelpartei. Andreas Rudas, dem glücklosen Bundesgeschäftsführer und Kommunikationschef der Sozialdemokraten, blieb nichts anderes übrig, als ein bisschen hilflos zu versprechen: "Wir müssen uns ändern."

Doch das hatte die Partei in den letzten Jahren ohnehin schon getan. Von einer starken, eher links orientierten Bastion wurden die Sozialdemokraten spätestens seit Viktor Klimas Machtübernahme im Januar 1997 zu einer reinen Kanzlerpartei. Wie sehr der gesamte Wahlkampf auf den Chef zugeschnitten war, zeigten die bemitleidenswerten Versuche, aus der kurzzeitigen Erkrankung Klimas eine knappe Woche vor der Wahl politisches Kapital zu schlagen.

Als sich der Kanzler nach zwei Tagen Aufenthalt in einer Wiener Nobelklinik von seiner leichten Lungenentzündung wieder erholt hatte, wurde über die bisherigen SPÖ-Plakate ein gelber Streifen mit den aufrüttelnden Worten "Auf den Kanzler kommt es an!" geklebt. Mit den üblichen Parolen von der Verantwortung Österreichs kam man offenbar nicht durch.

Die gelbe Banderole war zugleich der etwas misslungene Versuch, den Wählerinnen und Wählern die gewohnte Angst vor einem Bundeskanzler Haider einzutreiben. Diesmal allerdings war alles umsonst. Die Angst vor einem Kanzler Haider ist in Österreich nicht größer als die Langeweile mit einem Kanzler Klima, und genau das wurde den Sozialdemokraten nebst ihrer diffusen Ausländerpolitik zum Verhängnis.

Irgendwie nämlich brach schon Wochen vor den Wahlen das große Wendefieber aus. In den österreichischen Medien - und denen kann man Feindlichkeit zur SPÖ tatsächlich nicht unterstellen - grassierte der politische Virus von der Notwendigkeit der radikalen Veränderung. Nach knapp 30 Jahren sozialdemokratischer Kanzlerschaft und 13 Jahren Großer Koalition zwischen Sozialdemokraten und ÖVP erreichte diese Regierungsform einen noch nie da gewesenen Sättigungswert.

Zu spüren bekam das zuerst einmal die ÖVP. In den Meinungsumfragen vor den Wahlen sackte die konservative Partei von Vizekanzler Wolfgang Schüssel auf überschaubare 23,5 Prozent ab. Dementsprechend beschwerte sich Schüssel am Wahlabend auch über die Medien. Sie und die Meinungsforscher hätten ihn und seine Gruppierung "totgeschrieben". Dabei war es gerade diese Berichterstattung, die schließlich doch zum durchaus verkraftbaren Verlust von nur 1,3 Prozent der Stimmen auf ziemlich genau 27 Prozent führte. Denn ohne die "Totschreibe" hätte Schüssel auch nicht zum großen taktischen Befreiungsschlag ausholen können, der schließlich für den bescheidenen Wahlerfolg ausschlaggebend gewesen sein mag: Knappe zwei Wochen vor den Wahlen drohte Schüssel in seiner Verzweiflung, die ÖVP werde "in Opposition gehen, wenn sie auf dem dritten Platz landet".

Die Aufholjagd, die auf diese Ankündigung folgte, war unerbittlich, aber genau betrachtet auch erfolglos. Rund 14 000 Stimmen trennen die ÖVP von der FPÖ. Schüssel hofft nun auf die rund 80 000 Wahlkarten, die ihm vielleicht doch noch den zweiten Platz bescheren. Doch mit der Taktik wurden die Wählerstimmen auch zur toten Manövriermasse der Parteien. Sowohl Viktor Klima und seine SPÖ als auch Jörg Haider und seine Freiheitlichen stehen ohne Koalitionspartner da, wenn Schüssel seine Drohung ernst nimmt. Zumindest die Statements der ÖVP-Spitzenpolitiker am Wahlabend lassen darauf schließen. "Was vor der Wahl gegolten hat, gilt auch nach der Wahl", heißt die einheitliche Sprachregelung, die von allen ÖVP-Politikern gebetsmühlenartig wiederholt wird.

Wenn die ÖVP aber tatsächlich daran festhält und nicht noch eine argumentative Hintertür findet, so driftet Österreich schon recht bald in die nächsten Neuwahlen. Denn die einzige Regierungsform wäre eine Minderheitsregierung der Sozialdemokraten mit Duldung der ÖVP. Kanzler Klima nannte das kurz vor den Wahlen eine "Regierung der besten Köpfe", tatsächlich aber wäre sie den neuen parlamentarischen Machtverhältnissen völlig schutzlos ausgeliefert.

Die großartige "Reformpartnerschaft", wie sie sich Klima wünscht, ist mit einer Minderheitsregierung nicht zu machen. Der Eindruck des Stillstandes, der die Wählerressourcen von SPÖ und ÖVP ohnehin schon auffrisst, würde sich in der Bevölkerung noch verstärken. Klima hat es am Wahlabend anders formuliert: "Gute Taten werden offenbar von den Wählern nicht ausreichend honoriert", ärgerte sich der Kanzler.

Nach dem Intermezzo einer Minderheitsregierung würden die folgenden Neuwahlen wohl endgültig das Schicksal der bisherigen Großparteien SPÖ und ÖVP besiegeln: Die ÖVP könnte von den Wählern die Quittung für ihre Verantwortungslosigkeit erhalten, die SPÖ würde der finalen Unfähigkeit geziehen. Haider wäre der nächste Kanzler mit der stimmenstärksten Partei.

Aber auch eine andere Variante künftiger Regierungsfähigkeit kann nicht wirklich froh machen. Jörg Haider nämlich ist bereit, der ÖVP für eine Koalition ein großzügiges Angebot zu machen: "Wir sind so realistisch, daß wir im Gegenzug für eine Regierungsbeteiligung der ÖVP die Kanzlerschaft anbieten würden", formulierte es etwa FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler wenige Tage vor der Wahl. Wolfgang Schüssel wäre dann endlich am Ziel und im größten Büro des österreichischen Bundeskanzleramtes am Wiener Ballhausplatz. Dennoch wäre er gegen die FPÖ hilflos. Bereits jetzt geben die Freiheitlichen tatsächlich die Themen vor, in einer Regierung könnten sie das noch viel eher tun. Schon in Kärnten hat Haider in den vergangenen Jahren die ÖVP auf diese Art überrumpelt: Sie durfte den Landeshauptmann stellen und wurde spätestens nach zwei Jahren gekillt. Haider putscht sich hoch, den Rest erledigen die Wähler.

Doch so sehr auch eine große Koalition tragfähig wäre, so letztmalig wäre sie auch. Fällt SPÖ und ÖVP nicht eine andere Art des Regierens ein, so wird die FPÖ spätestens im Jahr 2003 ihr Ziel erreichen und stimmenstärkste Partei werden. Denn das in Österreich plötzlich ausgebrochene Wendefieber steigt - und der Heimatfilm hat wieder Saison.