Unabhängiges Kosovo

Nase im Wind

Bei seinen Gesprächen mit Beamten des Londoner Außenministeriums hat der Balkan-Experte der BBC, John Blystone, in den letzten Wochen einen seltsamen Meinungsumschwung bemerkt: "Früher wollten sie alle überhaupt nicht über die Möglichkeit einer Unabhängigkeit für das Kosovo sprechen, jetzt zucken sie die Schultern und meinen: 'Es ist wohl unausweichlich'". Die Verkleinerung Jugoslawiens hat aber noch niemand in London offen gefordert.

In Washington dagegen hat man die Nase vorn. Erst in der letzten Woche berichtete die Washington Post, dass der Meinungsbildungsprozess in der US-amerikanischen Hauptstadt schon ziemlich abgeschlossen sei. Angeblich erwarten ranghohe Beamte des US State Department "nichts anderes mehr als die Unabhängigkeit des Kosovo". Offiziell lautet die Sprachregelung noch immer: "Wir haben immer gesagt, die Unabhängigkeit des Kosovo nicht zu unterstützen und wir unterstützen diese Unabhängigkeit auch nicht", beharrt jedenfalls James P. Rubin, Sprecher von US-Außenministerin Madeleine Albright.

Gemeinsam mit dem Chef der Uno-Zivilverwaltung Unmik, Bernard Kouchner, aber tut man alles, um dem Kosovo alle insitutionellen Insignien eines unabhängigen Staates zu verleihen: Das Kosovo-Korps aus ehemaligen UCK-Rebellen beginnt schon, für Recht und Ordnung zu sorgen. Für die Bewohner der Provinz ist das ein deutliches Zeichen: Wenn hier einer die Einhaltung der Ruhe überwacht, dann sind wir das.

In den Amtsstuben Pristinas wird indes fleißig daran gearbeitet, den Provinz-Bewohnern auch eine neue Identität zu verleihen: Nicht bloß als jugoslawische Staatsbürger sollen sie registriert sein. Sie erhalten de facto eine Doppelstaatsbürgerschaft: Neue Papiere sollen sie als besondere Jugoslawen, als Kosovaren eben, ausweisen. Ob sich auch die wenigen im Kosovo verbliebenen Serben mit diesen neuen Ausweisen beglücken lassen, ist ungewiss.

Die Beförderung des Kosovo zum unabhängigen Staat wird schleichend vollzogen. Irgendwann könnten dann auch die ehemaligen europäischen Kriegskameraden vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Bis die dann auch einsehen: Eine Unabhängigkeit des Kosovo ist unausweichlich. Noch aber zieren sie sich. Im deutschen Außenministerium etwa ängstigt man sich noch immer vor den unabsehbaren Folgen einer Unabhängigkeit: "Die USA lehnen sich schon sehr weit aus dem Fenster. Für sie ist das Szenario einer Unabhängigkeit weniger bedrohlich. Aber eine Unabhängigkeit des Kosovo könnte auch für Mazedonien eine Zerreißprobe bedeuten."

In Rom spinnt man unterdessen noch bedrohlichere Szenarios: "Auch Bosnien-Herzegowina wird durch eine derartige Veränderung instabil. Hier fürchtet man vor allem eine neue Flüchtlingswelle, wie wir sie schon einmal hatten", meint etwa eine ehemalige italienische OSZE-Beobachterin.

Völlig unbeeindruckt von solchen Befürchtungen versucht sich Bernard Kouchner in Pristina dagegen in einer weiteren Integration der UCK. Er möchte den Status der eigentlich schon aufgelösten UCK aufwerten und dem Kosovo-Korps mehr Vollmachten geben. Zu dem Zweck hat er erst letzte Woche den französischen Präsidenten Jacques Chirac angerufen. Der Auftrag aus Pristina: Er möge die deutsche Regierung von der weiteren Resozialisierung der ehemaligen Pistoleros überzeugen.