Mehr Money durch Bonny

Um unzufriedene Jugend-Milizen in Nigerias Öl-Fördergebieten ruhig zu stellen, entwickelt Staatspräsident Obasanjo ein Modell zivilitärischer Herrschaft.

Das Projekt war wegen seiner ökologischen Vorzüge gelobt worden, obwohl der Shell-Konzern in Nigeria sonst keine gute Presse hat: Für 3,8 Milliarden Dollar entstand auf der südostnigerianischen Insel Bonny eine Anlage zur Verflüssigung von Erdgas. Statt bei der Öl-Förderung abgefackelt zu werden, soll das Erdgas nun in den Export gehen, vornehmlich nach Europa.

Die Begeisterung der örtlichen Bevölkerung hielt sich in Grenzen. Angehörige einer der im Süden Nigerias weit verbreiteten Jugend-Milizen besetzten das Fabrikgelände, um Regierung und Konzerne zur Zahlung von Entschädigungen für Umweltschäden und zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu zwingen. Mit Rücksicht auf die teure Anlage zeigten diese sich kompromissbereit, sogar Präsident Olusegun Obasanjo eilte zu Verhandlungen herbei. Den Besetzern wurden Zugeständnisse gemacht, der Erdgas-Export soll nun, mit zweimonatiger Verzögerung, am 15. Oktober beginnen. Ansonsten wird bei den Konflikten eine härtere Linie bevorzugt. Nachdem Jugend-Milizionäre am 9. September vier Soldaten getötet hatten, begann die Armee mit einem Rachefeldzug, dem mindestens hundert Menschen zum Opfer fielen.

Die brutalen Interventionen des Regimes haben in Nigeria eine lange Tradition. Als es 1995 Ken Saro-Wiwa gelungen war, für kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Zusammenspiel von Öl-Konzernen und Regime zu lenken, die das Niger-Delta zu einem Katastrophengebiet gemacht und Proteste mit brutaler Gewalt niedergeschlagen hatten, ließ die damals von Sani Abacha geführte Militärregierung den Schriftsteller hinrichten.

Von symbolischen Sanktionen abgesehen, unternahmen die westlichen Staaten nichts, die Konzerne machten weiter wie zuvor. In den folgenden Jahren organisierte sich in Milizen ein Widerstand, der auf ökonomischen statt auf internationalen Druck setzte. Durch die Besetzung und Zerstörung von Förderanlagen und Pipelines gelang es mehrfach, bis zu einem Drittel der Öl-Förderung lahm zu legen. Das Regime antwortete mit Zugeständnissen, Versprechungen und staatsterroristischen Kampagnen. Auch nachdem mit der Amtsübernahme Obasanjos Ende Mai die Militärherrschaft endete, ist von einem Bemühen, die Lage durch eine Entmilitarisierung des Konflikts und zügige Reformen zu entschärfen, wenig zu bemerken.

Durch die Widerstandsbewegung der Milizen ist mit der Delta-Region ein vierter politischer Machtfaktor in Nigeria entstanden. Bislang wurde der Machtkampf im Wesentlichen zwischen den Oligarchien der Haussa/Fulani im Norden und der Yoruba im Südwesten ausgetragen. Die dritte, politisch deutlich schwächere Region ist der von den Igbo dominierte Südosten.

Die traditionelle Dreiteilung geht auf die britische Kolonialmacht zurück, deren "indirekte Herrschaft" die islamische Aristokratie der Haussa/Fulani bevorzugte, die es verstand, ihren Einfluss auch nach der Unabhängigkeit zu wahren. Das hat bis heute die Verbreitung moderner Parteien, sozialer Bewegungen und Gewerkschaften behindert. Im Südwesten, wo sich Handel und Industrie konzentrieren, sind moderne soziale Schichten stärker vertreten. Hier liegt das Zentrum der Demokratiebewegung.

Offiziere aus dem Norden dominieren in der Armee, während in der Bourgeoisie Yoruba überwiegen. Eine scharfe Trennung zwischen ziviler und militärischer Oligarchie gibt es jedoch nicht. Bei allen Differenzen findet man rasch zusammen, wenn es darum geht, die Forderungen ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen zurückzuweisen. So war das Ende der Militärherrschaft auch eher ein Deal zwischen den diversen Fraktionen der Oligarchie als ein Demokratisierungsprozess.

In den Jahren der Militärherrschaft waren Gier und Maßlosigkeit so sehr angewachsen, dass nicht einmal genug für den Erhalt der Öl-Wirtschaft übrig blieb. Zusammen mit den Unruhen in den Fördergebieten und dem Verfall des Öl-Preises führte dies zu einem deutlichen Rückgang der Staatseinnahmen. Zudem brach Abacha die allgemeinen Geschäftsgrundlagen der Oligarchie, indem er zu viel für sich allein beanspruchte und missliebige Generäle (darunter Obasanjo) einsperren ließ.

Angesichts dieser Gefährdung von Macht und Pfründen setzte sich in der Oligarchie ein "aufgeklärter" Flügel durch. Abacha starb im Juni 1998 unter ungeklärten Umständen. Sein Nachfolger Abdulsalam Abubakar kündigte einen vom Militär gesteuerten Übergang zur Zivilherrschaft an. Ein restriktives Wahlgesetz sorgte dafür, dass nur von der Oligarchie der größten Bevölkerungsgruppen geführte Parteien in den Parlamenten vertreten sind. Es gelang den Generälen auch, ihren Wunschkandidaten Obasanjo zum Präsidenten zu machen.

Der ehemalige Militärdiktator Obasanjo gilt nicht als korrupt, hat als "Realpolitiker" aber keine andere Wahl, als sich mit korrupten Generälen und Politikern zu verbünden. Seine wichtigsten Sponsoren sind Ex-Diktator Ibrahim Babangida und Ex-Generalstabschef T.Y. Danjuma. Obasanjos Strategie besteht darin, sich von mehreren Fraktionen der Oligarchie finanzieren zu lassen, um eine einseitige Abhängigkeit zu vermeiden.

Unter diesen Bedingungen sind Reformen enge Grenzen gesetzt. Ein Teil der repressiven Gesetzgebung wurde aufgehoben, die meisten politischen Gefangenen wurden entlassen. Die Zwangspensionierung von Offizieren betrifft jedoch, ebenso wie Maßnahmen gegen die Korruption, fast ausschließlich Anhänger Abachas. Das neue Regime will sich gegen eventuelle Putschgelüste absichern, das Vermögen seiner Sponsoren dagegen wird Obasanjo nicht antasten. Im Gegenteil: Bei der anstehenden Privatisierung wichtiger Staatsbetriebe sollen einheimische Investoren den Vorzug erhalten.

Zahlreiche Oppositionsgruppen hatten vor den Wahlen erklärt, eine Verfassunggebende Versammlung müsse die politischen Strukturen reformieren. Gefordert wurde vor allem eine Dezentralisierung der Macht, das herrschende System des Klientelismus zu durchbrechen und eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu ermöglichen. Bislang ist Obasanjo auf diese Forderungen nicht eingegangen.

Menschenrechtsorganisationen befürchten nun, dass die Armee eine groß angelegte Aktion zur Zerschlagung der Widerstandsgruppen in der Delta-Region vorbereitet. Deren wichtigste Vertretung, der Ijaw Youth Council (IYC), ist jedoch mit der radikalen Yoruba-Organisation Oodua People's Congress (OPC) verbündet, beide Organisationen werden von Jugendlichen und jungen Männern getragen und verfügen über paramilitärische Einheiten.

Ihre Rebellion ist auch ein Kampf gegen die traditionellen Führungsschichten. Neben modernen politischen Ideen finden sich in vielen Oppositionsgruppen ethnischer Mystizismus und religiöser Obskurantismus. Nicht alle Konfrontationen werden von der Oligarchie provoziert, die Konflikte in der Delta-Region sind häufig Konkurrenzkämpfe von Milizen um die beste Ausgangsposition für Verhandlungen mit den Konzernen und dem Regime.