Modell Mitrovica

Eine Kleinstadt im Kosovo gilt als Testfall für Erfolg oder Misserfolg der Bemühungen, das Kosovo zu befrieden. Der Misserfolg liegt derzeit näher.

Es begann wie immer: Ein bisschen gelangweilt standen etwa 15 französische Kfor-Soldaten am Donnerstag vergangener Woche auf jener Brücke, die in der Stadt Kosovska Mitrovica das serbische und das kosovo-albanische Stadtviertel - die ansonsten strikt getrennt sind - miteinander verbindet. Binnen weniger Sekunden war es mit der gespannten Beschaulichkeit vorbei: Zwei Handgranaten wurden auf die Brücke geworfen. Anschließend zählte man 60 Verletzte.

Zwei Tage zuvor, am Dienstag, war es in der rund 30 Kilometer nordwestlich von Pristina gelegenen Stadt zu einem anderen Zwischenfall gekommen. Nach dem Begräbnis von zwei Kosovo-Albanern wurde die 5 000 Menschen große Trauergemeinde von einer Welle der Aggression erfasst: Plötzlich begannen die Kosovo-Albaner, einige serbische Autos mit Steinen zu bewerfen, mehr als 30 Menschen wurden verletzt. Ein Serbe starb wenig später an den Folgen der Steinwürfe.

Die französischen Kfor-Truppen haben der immer wieder ausbrechenden Gewalt wenig entgegenzusetzen. Im Gegenteil. Knapp die Hälfte der am Dienstag Verletzten waren Franzosen, unter ihnen auch der Leiter der französischen Gendarmerie, Oberst Claude Vicaire. Auch ein von russischen Soldaten geschützter serbischer Konvoi wurde angegriffen.

Als Reaktion auf die erneut ausgebrochenen Unruhen hat inzwischen die Kfor begonnen, weitere Spezialeinheiten aus Pristina nach Kosovska Mitrovica zu verlegen. Der UN-Gesandte und Leiter der Zivilverwaltung der Vereinten Nationen (Unmik), Bernard Kouchner, warnte vor weiteren Ausschreitungen. In Serbien forderte der Vorsitzende der Sozialisten, Zivorad Igic, die Rückkehr der serbischen Sicherheitskräfte in die Provinz, da die Kfor nicht in der Lage sei, die Bevölkerung zu schützen.

Dabei sollte Kosovska Mitrovica eigentlich Modell-Charakter zukommen. Hier wollten Kfor und Unmik beweisen, dass sie imstande sind, die beiden größten Bevölkerungsgruppen des Kosovo friedlich koexistieren zu lassen. Entsprechend strengt sich die internationale Diplomatie an: Ende August ernannte Kouchner für die Stadt zahlreiche Richter und Staatsanwälte der Serben und der Kosovo-Albaner. Auch die Europäische Union versucht, das Beispielhafte Mitrovicas für das gelungene Krisenmanagement des Westens zu betonen. Und dafür ist sie auch bereit zu zahlen.

So spendete beispielsweise Anfang September die Kommission dem Hospital von Mitrovica eine Million Euro. Damit sollten die kosovo-albanischen Mediziner und Krankenschwestern bezahlt werden, die ansonsten unentgeltlich in Mitrovica arbeiten. Denn das Krankenhaus hat eine besondere Eigenschaft: Es steht im nördlichen, dem serbischen Teil der Stadt. Die Angestellten des Hospitals haben sowohl die Attacken serbischer Paramilitärs als auch den Nato-Angriff recht gut überstanden.

Heute ist das Krankenhaus nicht unbedingt ein Spiegel der Verhältnisse im Kosovo: Zwei Drittel des Personals sind Serben und werden auch von den Belgrader Behörden entlohnt, ein Drittel sind Albaner - und die erhielten bisher keine Zahlungen. Die Großzügigkeit aus Europa ist Teil eines noch viel anspruchsvolleren Programms: Mitrovica steht ganz oben auf der Prioritätenliste der vor drei Monaten gegründeten Kosovo-Task-Force der EU. 135 Millionen Euro werden alleine in diesem Jahr noch ausgegeben, um Projekte wie jene in Kosovska Mitrovica zu finanzieren.

Doch das alles geschieht nicht allein aus Gründen der Hilfsbereitschaft. Langfristig soll Mitrovica nicht bloß zum Modellfall für das friedliche Zusammenleben zweier zutiefst verfeinderter Bevölkerungsgruppen werden, sondern vor allem zur Spielwiese ausländischer Investoren. Die EU soll nun dafür sorgen, dass die nötigsten infrastrukturellen Einrichtungen funktionieren, damit später dann die Investoren kommen können.

Doch bis es soweit ist, wird es wohl noch dauern. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Dennis McNamara erklärte letzte Woche angesichts der zahlreichen Amokläufe in Mitrovica: "Besonders die örtlichen Behörden haben vollkommen versagt, um die ständigen Attacken und Zusammenstöße in Mitrovica zu verhindern." Der Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Knut Vollebaek, sprach von einer "konsequenten Durchsetzung von Recht und Ordnung", die von den stationierten Sicherheitskräften gewährleistet werden müsste.

Bisher scheinen allein die örtlichen Behörden - sprich: die UCK - in der Lage, Zusammenstöße zu verhindern. Die Angriffe der vergangenen Woche endeten erst, als ehemalige UCK-Kämpfer die Kosovo-Albaner zurückdrängen konnten. Spontane Angriffe sind ihre Sache nicht mehr. So meinte etwa der Kabinettschef von Hashim Thaqi, Bilal Sherifi, zuletzt Mitte September: "Wir werden das Problem Mitrovica binnen eines Jahres lösen." Wie diese Lösung genau aussehen soll, verriet Sherifi nicht.

Nach der bekannten UCK-Manier wird es wohl darum gehen, die verbliebene serbische Bevölkerung systematisch zu zermürben. Schon im letzten Jahr lag das Augenmerk der UCK besonders auf Mitrovica. Nach Berichten der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch war die Skipetaren-Guerilla zu Beginn ihres Kampfes in Mitrovica besonders eifrig, serbische Arbeiter aus den Minen der Gegend zu entführen.

Kosovska Mitrovica ist nicht nur wirtschaftlich von großer Bedeutung für die künftigen Staatsträger, sondern gilt auch ihnen als Modellfall: Die Minenstadt mit ihren rund 30 000 Einwohnern ist eine der wenigen, wo noch in einer größeren Anzahl Serben leben und damit der kosovo-albanischen Staatsdoktrin von der Reinheit des Staatsvolkes im Wege steht.

Schließlich lässt sich ein unabhängiges Kosovo nur verwirklichen, wenn die Serben geflohen sind. Die verbliebene serbische Minorität scheint auch ein wesentlicher Grund für die Zögerlichkeit der westlichen Besatzer, das Kosovo in die Unabhängigkeit zu entlassen.

Außerdem wäre Mitrovica einer der wenigen Orte des Kosovo, der bei einer Kantonisierung der Provinz von beiden Volksgruppen verwaltet werden müsste. So bleibt die Situation in der Stadt schwierig: Sie ist zu sehr Modell - für alle Seiten. Sowohl für den Westen als auch für die Serben. Und für die Kosovo-Albaner erst recht. Kann sein, dass zumindest einer der Faktoren bald wegfällt.